Dienstag, 21. Februar 2017
Véronique Olmi „Der Mann in der fünften Reihe“
„In ein paar Stunden […] Beginnt der Tag. Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen werde. Ich weiß nicht, was ich jetzt mit mir anfangen soll. Vor 24 Stunden war alles noch gewohnt und vertraut. Ich dachte, ich würde entscheiden und hätte alles im Griff. Ich dachte, ich würde leben.“

Nach diesen Sätzen der ersten Seite des neuen Romans von Véronique Olmi weiß ich bereits, dass mich auch dieses Buch wieder fesseln wird.

Die Ich-Erzählerin, Nelly, sitzt nachts am verlassenen Bahnhof in Paris und erzählt von ihren letzten 24 Stunden. Erzählt, wie sie sich wie immer auf den Weg zu ihrer Arbeit gemacht hat, wie viel Angst sie jeden Abend vor der Theatervorstellung hat, in der sie eine große Rolle spielt und wie für sie die Schauspielerei zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden ist. Und erzählt, wie sie am gestrigen Abend bei ihrem Auftritt plötzlich ein bekanntes Gesicht unter den Zuschauern in der fünften Reihe erblickt. Und wie sie denkt ihr Herz bliebe stehen.

Was es mit dem Mann in der fünften Reihe auf sich hat und wie Nelly zu ihm steht, erfährt der Leser im zweiten Teil des Buches. Gerade mal auf etwas mehr als einhundert Seiten beleuchtet die Autorin einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben ihrer Protagonisten. Sie erzählt die Geschichte so emotional und eindringlich, dass man als Leser mit Nelly mitfühlt, mitdenkt und mitlebt. Derart gefesselt und hineingezogen in dieses Leben ist es trotz der Kürze schwer wieder aufzutauchen. Es ist sicher nicht in erster Linie die Story selbst die hier besticht, sondern die Art, wie sie erzählt wird, die Sprache, die Tiefsinnigkeit. Die Autorin bleibt nie an der Oberfläche, sondern führt den Leser stets zum Eigentlichen, zum Kern einer Sache hin.

Oft habe ich nach Beenden eines Romans von Véronique Olmi das Gefühl, als habe sie in mir etwas hinterlassen, was ich nicht genau zu beschreiben fähig bin.

Einhundert Seiten gelesen, dreihundert Seiten gespürt!



Véronique Olmi hier im Blog:
Véronique Olmi“Nacht der Wahrheit“
Véronique Olmi“In diesem Sommer“


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Dienstag, 7. Februar 2017
Gisa Klönne „Die Toten, die dich suchen“
Sie können es noch, beide, Gisa Klönne das Krimischreiben und Judith Krieger das Ermitteln!

Vier Jahre ist es her, da wollte Kriminalkommissarin Judith Krieger alles hinter sich lassen: die Mordkommission, ihre Arbeitskollegen, Köln, ihre verzwickten Familienverhältnisse und eigentlich auch sich selbst. Nach Kolumbien hatte es sie verschlagen. Doch bald schon ist sie nach Deutschland zurückgekehrt. Es sollte jedoch noch einmal Jahre dauern bis sie, nach langer Fortbildungszeit, die leitende Stellung in der Vermisstenabteilung der Kriminalpolizei Köln annimmt. Zunächst unsicher und mit einigen Unwägbarkeiten beginnt sie ihren neuen Job und wird bald doch wieder zu Ermittlungen eines Mordes hinzugezogen. Spätestens jetzt weiß Judith, dass sie letztendlich allem entfliehen kann, jedoch nicht sich selbst und nicht den Toten.

Ein kolumbianischer Geschäftsmann wird, nachdem als vermisst gemeldet, tot, gefesselt und offensichtlich gefoltert in einem leer stehenden Gebäudekomplex gefunden. Das neue Team um Krieger herum will noch nicht so recht funktionieren, was die Ermittlungen zunächst erschwert. Lange Zeit bleibt zweifelhaft, was das Opfer nach Köln geführt hat, von wem das Blut und das schwarze Haar, was am Tatort gefunden wird, stammt und was ein gewisser Übersetzer und Bekannter des Opfers mit all dem zu tun hat. Weiterhin wird eine junge Frau, kolumbianischer Herkunft, von ihrer Freundin als vermisst gemeldet. Es gibt also viel zu tun!

Und so gerät die sonst so stark wirkende Kriminalkommissarin nicht nur wieder in einen Mordfall, sondern kämpft auch gegen ihre eigenen Geister, die sie in Kolumbien zurückgelassen zu haben glaubte.

Nicht, dass dieser lang erwartete sechste Fall um Judith Krieger langsam und zaghaft beginnt, nein, die Autorin stürzt den Leser, ihrer Protagonisten gleich, geradezu kopfüber in den nächsten spannenden Kriminalfall; weit weg nach Kolumbien, in Drogenkriege und Korruption. Sie nimmt uns mit tief in die Seele und Gedanken der Kommissarin und lässt uns so begreifen, dass es wichtig ist, stets über den eigenen Tellerrand hinwegzuschauen. Mit allen Sinnen und äußerst empathisch beschreibt sie Situationen und die verschiedenen Charaktere.

Von der ersten Seite an hat mich dieser Krimi gefesselt und überzeugt und so hat sich das lange Warten gelohnt. Wieder einen Roman aus dieser Reihe zu lesen, fühlt sich ein bisschen an wie nach Hause kommen und alte Bekannte wieder zu treffen!


Wir dieses Buch nicht liest, ist selbst schuld!


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Dienstag, 3. Januar 2017
Volker Kutscher „Lunapark“
Kriminalkommissar Gereon Rath hat es derzeit nicht leicht. Im Berlin 1934 ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die immer stärker wertende Machtübernahme der Nationalsozialisten stellt alles auf den Kopf. Als der Kommissar vom Alexanderplatz zu einem Tatort gerufen wird, muss er bald feststellen, dass sich längst die geheime Staatspolizei eingemischt hat. Allen voran sein vormals untergebener Kollege Gräf. Wie kann das sein, dass dieser sich so schnell nach oben gearbeitet hat, während seine Karriere stagniert?

Also begibt sich Gereon Rath wohl oder übel gemeinsam mit den Kollegen der Gestapo auf die Suche nach dem Mörder eines SA Mannes, der, wie es scheint, totgeprügelt aufgefunden wird. Später wird sich herausstellen, dass der Mann zuvor an einem doch eher ungewöhnlichen Gegenstand erstickt war. Dann geschieht ein weiterer Mord eines hochrangigen Nationalsozialisten und während sich die Gestapo mit ihrer Suche nach dem Mörder auf eine Gruppe von Kommunisten versteift, ermittelt Gereon Rath in eine ganz andere Richtung.

Der Probleme nicht genug, gerät auch sein Privatleben aus den Fugen, nichts scheint mehr unter Kontrolle. Sein Ziehsohn sympathisiert mit der Hitlerjugend und seine Frau Charly hat beschlossen, nicht mehr nur Ehefrau und Mutter zu sein, sondern wieder arbeiten zu gehen. Und dann hat auch der Kommissar selbst noch seine eigenen “Leichen im Keller“.

Volker Kutscher nimmt uns Leser wieder einmal mit auf eine ungewöhnliche Zeitreise. Man wird nicht nur Zeuge eines überaus spannenden Kriminalfalls, sondern hier greifen verschiedenste Ereignisse und Handlungsstränge geschickt ineinander. Man spürt die zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung, nicht mehr zu wissen wem man trauen und was man öffentlich äußern kann. Der Autor watet mit einem überaus großen Geschichtswissen auf und schildert diese Zeit in Berlin bis ins kleinste Detail. Auch sprachlich passt er sich hervorragend an, sodass man sich geradezu zeitlich zurückversetzt fühlt. Bei seinen Schilderungen von Mord, Folter und anderen Gräueltaten ist Kutscher nicht zimperlich; da bleibt die eine oder andere Schrecksekunde beim Lesen nicht aus.

Ein überaus gelungener, spannender und kluger Krimi, der einen Lerneffekt nicht ausschließt und für das Genre in einer ungewöhnlichen Zeit spielt. Selten bin ich beim Lesen eines Romans hinterher so viel schlauer gewesen!

BRAVO!!!


Für mehr Info:

http://www.gereonrath.de


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Donnerstag, 22. Dezember 2016
Mein ganz persönlicher literarischer Jahresrückblick 2016
Die Zeit der Jahresrückblicke ist gekommen, und da Hinz und Kunz sich über die letzten zwölf Monate auslassen und über die größten Emotionen, die schrecklichsten Katastrophen und die erfolgreichsten Sportler berichten, dachte ich mir, mach ich das doch auch und erzähle von meinen literarischen Eindrücken.

Bei all dem Gelesenen und Gehörten ist es natürlich schwer ein Ranking durchzuführen, aber würde man mich dazu zwingen, was ja niemand tut, käme ich zu folgendem Ergebnis:

Das beste Hörbuch in diesem Jahr war mit Abstand, und das kann ich ganz klar sagen, Friedrich Ani “Der namenlose Tag“. In meiner Kategorie Romane entscheide ich mich für Monika Zeiner “Die Ordnung der Sterne über Como“. Dennoch soll auch „Widerfahrnis“ von Bodo Kirchhoff und “Schöne Seelen“ von Philipp Tingeler nicht unerwähnt bleiben. Im Krimigenre hatte ich in diesem Jahr leider kein gutes Händchen, von Friedrich Ani mal abgesehen. Da ist es schwer gegen das Jahr 2015 mit Oliver Bottini und Jan Seghers anzukommen. Am ehesten würde ich da Christoffer Carlsson “Der Turm der toten Seelen“ nennen, wobei selbst dieser keinem Vergleich zu den gelesenen Krimis im Vorjahr standhalten kann.

Für erwähnenswert halte ich außerdem, dass sich der Todestag des Dichters William Shakespeare zum 400. Mal gejährt hat, dass der so von mir geschätzte Autor Bodo Kirchhoff den Deutschen Buchpreis 2016 gewann, Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur bekam. Besonders bestürzt war ich über die Nachricht, dass die Autorin Felicitas Mayall bereits im Sommer verstorben ist, deren Krimis ich sehr mag.

Doch bei all dieser Zurückblickerei möchte ich auch nach vorne schauen und beschließe hiermit, mich im nächsten Jahr wieder mehr Mord und Totschlag zu widmen. Literarisch natürlich!


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Montag, 5. Dezember 2016
Drüber gelesen: Verfilmung “Der namenlose Tag“
In einem Post bei Facebook habe ich jetzt gelesen, dass der Roman von Friedrich Ani “Der namenlose Tag“ verfilmt werden soll. Erst kürzlich habe ich mir diesen Krimi als Hörbuch auf die Ohren gegeben und war restlos begeistert. Laut Thüringischer Landeszeitung soll man sich dafür Volker Schlöndorff ins Boot geholt haben. Gedreht wird in der schönen Stadt Erfurt. Für die Rolle des Kriminalkommissars a.D. Franck ist der brillante und äußerst charismatische Schauspieler Thomas Thieme vorgesehen. Der Autor Friedrich Ani, aus dessen Feder bereits einige Krimis des Münchner Tatorts entspringen, hat mit seinem letzten Roman einen atmosphärischen Kriminalfall geschrieben. Sollte der Film nur halb so gut werden wie die Buchvorlage, wird er bestimmt ein Erfolg.

Ein bisschen Geduld müssen wir allerdings noch haben, denn laut besagten Artikel beginnen die Dreharbeiten erst im Februar 2017.

Also ich freu mich drauf!

Friedrich Ani “Der namenlose Tag“

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Dienstag, 29. November 2016
Isabel Allende „Der japanische Liebhaber“ Hörbuch
gelesen von Barbara Auer

Alma Belasco wird in den dreißiger Jahren aus Furcht vor den Nationalsozialisten von ihren Eltern ins ferne Amerika geschickt. Dort, bei den reichen Verwandten, soll es dem Kind an nichts fehlen. Da ihr Bruder Samuel bereits als verschollen gilt, wollen sie Alma in Sicherheit wissen. Sie selbst ahnen nicht, welches Schicksal ihnen schon bald zuteilwerden wird. Zunächst fühlt sich das junge Mädchen fremd und einsam bis es Freundschaft mit ihrem Cousin und dem Sohn des Gärtners schließt.

Das ist der Beginn der Geschichte, den Alma viele Jahrzehnte später ihrer Betreuerin Irina erzählt. Als über 80-jährige Frau lebt sie mittlerweile in einem Seniorenheim in der Nähe von San Francisco in eigenem Apartment. An Geld und Lebenslust scheint es ihr nicht zu mangeln. Irina hingegen kommt aus zerrütteten Verhältnissen und ist froh bei Alma Belasco eine Tätigkeit zu finden. Zunächst schüchtern und unsicher entwickelt sich bald eine warme intensive Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Frauen. Als Alma regelmäßig mysteriöse Briefe erhält und anschließend für Stunden oder Tage das Heim verlässt, wird Irina neugierig. Welches Geheimnis trägt die alte Dame mit sich? Dann beginnt Alma ihrer Freundin aus ihrem langen Leben zu erzählen und ahnt nicht, dass auch diese ein schweres Schicksal trägt.

Die große Autorin Isabel Allende packt eine Unzahl an Themen in diesen kleinen Roman. Sie alle hier aufzuzählen wäre mühsam und vorgegriffen. Aber es sind eindeutig zu viele. Sprachlich allerdings wird der Leser mit schönen intelligenten Sätzen belohnt. Das ist wahrlich ein Genuss! An einer solchen Ausdrucksweise erkennt man die großen Schreiber unter den Autoren. Die Charaktere wie die Erzählung selbst bleiben allerdings oberflächlich und dünn. Da hatte ich leider mehr erwartet. Die Lesart der Schauspielerin Barbara Auer war für mich wider erwartend unangenehm und ihre Betonungen oft unpassend. Sie gab dem Ganzen einen zu sentimentalen und schnulzigen Charakter.

Dennoch: meine Kritik an diesem Roman möchte ich als Jammern auf hohem Niveau verstanden wissen. Im Vergleich zu vielen anderen Büchern, die ich in letzter Zeit gelesen bzw. gehört habe, bekam ich hier gute kurzweilige Unterhaltung!


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Samstag, 12. November 2016
Joachim Meyerhoff „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“
Im zweiten Band seines autobiografischen Romans und somit Nachfolgers von Alle Toten fliegen hoch – Amerika beschreibt Joachim Meyerhoff seine Kindheitsjahre. Inmitten des Geländes einer psychiatrischen Klinik lebt er mit seinen Eltern und zwei älteren Brüdern; sein Vater, als Leiter der Anstalt, ist ein angesehener Arzt.

Zum Inhalt des Buches lässt sich eigentlich nicht viel mehr sagen, denn der Schreiber, Autor möchte ich ihn noch nicht einmal nennen, reiht hier wieder ein Anekdötchen ans andere, scheinbar alles, was ihm gerade so einfällt. Und so besteht dieser Roman aus einzelnen voneinander unabhängigen Geschichtchen. Um diese etwas interessanter zu gestalten, wird wohl, wie ich glaube, dass eine oder andere dazu erfunden, denn manches wirkt derart unglaubwürdig, dass man sich die Haare raufen möchte.

Jeglicher Versuch mit kleinen Slapstick ähnlichen Einlagen das ganze witziger zu machen, geht hier vollkommen in die Hose. Die Sprache wirkt aufgesetzt bemüht und allzu erzwungen. Hier fehlt Leichtigkeit und lockeres Erzählen. Der Schreiber ist emsig darin, Dinge und Situationen mit einem Wust von Adjektiven zu beschreiben und überfrachtet damit jeden einzelnen Satz. Auch bildhaftes Schreiben zählt nicht zu Meyerhoffs Stärken. Viele diese Schilderungen sind kaum nach zu vollziehen.

Es mag an mir persönlich liegen, dass mich gerade das, was mir am ersten Teil noch unterhaltsam vorkam, mich jetzt unendlich genervt hat und mir keinerlei Lesespaß bereiten konnte. Oder aber daran, dass hier ein Schauspieler seinen Namen nutzt, um einen weiteren Roman zu verkaufen. Ihm fehlt meiner Meinung nach jegliches Gespür für Menschen und Situationen.

Der großen Lobhudelei, die ich im Internet bezüglich dieses Buches gefunden habe, kann ich mich hier leider nicht anschließen! Da möge sich bitte jeder selbst ein Bild machen!


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Dienstag, 25. Oktober 2016
Judith W.Taschler „Bleiben“
Die Wege von vier Personen kreuzen sich in der einen oder anderen Weise in Wien. Sie sind aber keine Fremden, denn vor zwanzig Jahren sind sie sich bei einer Zugfahrt nach Rom begegnet. Durch lediglich ein paar kurzen Gesprächen, die gemeinsame Zeit sich gegenüber sitzend im Abteil und einem schnellen Schnappschuss auf dem Bahnsteig sind alle nur flüchtige Bekannte geblieben. Bis jetzt, im Jahr 2015, werden sie verschiedene Ereignisse wieder zusammenführen.

Alle haben sich weiterentwickelt, sind ihren privaten und beruflichen Zielen mehr oder weniger gefolgt, haben sich in Beruf oder Kunst verwirklicht, sind um die Welt gereist, haben Familien gegründet oder auch als Single mehr oder weniger in den Tag hinein gelebt. Von jedem einzelnen erfahren wir aus dessen Leben, wie sie dorthin gelangt sind in der Zeitspanne zwischen Zugfahrt und Gegenwart. Alle scheinen sich in ihrem Leben eingerichtet zu haben, aber nicht alle können bleiben in diesem Leben.

Der Roman ist fast wie ein Kammerspiel angelegt. Innerhalb neun Monaten des Wiedersehens dieser so unterschiedlichen Menschen erzählt jeder von ihnen einem imaginären Freund, bzw. Freundin, aus dieser Zeit. Die Perspektiven zwischen den Personen und den einzelnen Monaten im Jahr 2015 sind wild durcheinandergewürfelt, was mindestens bis zur Hälfte des Buches zu viel Verwirrung, zu wiederholtem Zurückblättern und Chaos im Kopf des Lesers führt. Wie ein Knobelspiel aus der Zeitung muss man sich die einzelnen Leben zusammensetzen. Sprachlich eher kühl und sachlich bleiben die Persönlichkeiten der Protagonisten doch sehr oberflächlich. Man wird mit keinem der Charaktere so richtig warm. Gefühle bleiben schwarze Worte auf weißem Papier und haben mich beim Lesen nicht im Geringsten berührt.

Fast gewinnt man den Eindruck, als habe die Autorin ihr Hauptmerkmal auf Struktur und Ausrichtung des Romans gelegt, und weniger auf den Inhalt. Denn der bleibt bei diesem ganzen Durcheinander leicht auf der Strecke.

Hier ist meiner Meinung nach aus einer guten Idee und das Schreiben mit außergewöhnlicher Perspektive eine eher schleppende Geschichte geworden. Schade eigentlich!


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Sonntag, 18. September 2016
Stewart O'Nan „Abschied von Chautauqua“
Emily‘s Mann Henry ist vor ein paar Monaten gestorben. Ein langes erfülltes Leben haben sie miteinander geteilt, zwei Kinder großgezogen und die Sommer stets in ihrem Haus am Chautauqua-See, südlich den Niagarafällen, verlebt. Das Haus steht bereits zum Verkauf, und so lädt Emily die ganze Familie mit Kind und Kegel noch ein letztes Mal ins Sommerhaus ein. Auch Henrys Schwester ist mit von der Partie.

Eine ganze Woche lang will die Familie den Abschied von Chautauqua zelebrieren. Während die Tage für Emily selbst eine nostalgische Reise in die Vergangenheit sind, in der sie alle Plätze noch einmal aufsucht, an denen sie mit ihrem Henry so glücklich war, ist in der Familie jeder einzelne mit seinen eigenen Angelegenheiten und Sorgen beschäftigt. Sogar jedes der Kinder hat bereits sein Päckchen zu tragen. Vordergründig erlebt die Familie fröhliche Tage beim Bootsfahren, Golfspielen, gemeinsamen Kochen und Abenden auf der Veranda. Hinter der Familienidylle allerdings schlummert so das eine oder andere Geheimnis, was der eine nicht vom anderen weiß oder wissen soll. An jedem einzelnen Tag entfernt sich die Familie ein bisschen mehr von ihrem Sommerdomizil, indem Möbel und Besitztümer möglichst gerecht verteilt werden und Vorbereitungen für die letzte Abreise getroffen werden. Aber auch mit jedem Tag kommen sich die einzelnen Mitglieder ein wenig näher.

Erscheint auch die Fülle an Problemen der Maxwells zunächst überladen, so bleiben die Figuren doch in sich stimmig und authentisch. Aus der Sicht eines jeden wechselt die Perspektive und so weiß der Leser jederzeit, was in jedermann so vor sich geht. Lediglich den anderen Familienmitgliedern bleibt das Innere des Gegenübers größtenteils verborgen. Der Autor nimmt sich die Tage einzeln vor und beschreibt sie in einer Ausführlichkeit, dass man das Gefühl hat, sie selbst mitzuerleben.

Stewart O'Nan hat hier keine Geschichte geschrieben, die einen spektakulären Anfang und ein fulminantes Ende hat, vielmehr nimmt er einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer ganz normalen Familie und beleuchtet diesen überaus genau. Auch nach dem Beenden des umfangreichen Romans ist man sicher, dass irgendwo da draußen in der wirklichen Welt das Leben der Familie Maxwell weitergeht. Die zahlreichen Charaktere bieten dem Leser eine enorme Fläche für Interpretation sowie persönliche Identifizierung mit sich selbst und der eigenen Familie.

Einfach ein Stück normales Leben, was hier beschrieben wird und nicht weniger unterhaltsam als der spannendste Krimi!

Ebenfalls hier rezensiert:

Stewart O'Nan: „Alle, alle lieben dich“


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