Sonntag, 18. September 2016
Stewart O'Nan „Abschied von Chautauqua“
Emily‘s Mann Henry ist vor ein paar Monaten gestorben. Ein langes erfülltes Leben haben sie miteinander geteilt, zwei Kinder großgezogen und die Sommer stets in ihrem Haus am Chautauqua-See, südlich den Niagarafällen, verlebt. Das Haus steht bereits zum Verkauf, und so lädt Emily die ganze Familie mit Kind und Kegel noch ein letztes Mal ins Sommerhaus ein. Auch Henrys Schwester ist mit von der Partie.

Eine ganze Woche lang will die Familie den Abschied von Chautauqua zelebrieren. Während die Tage für Emily selbst eine nostalgische Reise in die Vergangenheit sind, in der sie alle Plätze noch einmal aufsucht, an denen sie mit ihrem Henry so glücklich war, ist in der Familie jeder einzelne mit seinen eigenen Angelegenheiten und Sorgen beschäftigt. Sogar jedes der Kinder hat bereits sein Päckchen zu tragen. Vordergründig erlebt die Familie fröhliche Tage beim Bootsfahren, Golfspielen, gemeinsamen Kochen und Abenden auf der Veranda. Hinter der Familienidylle allerdings schlummert so das eine oder andere Geheimnis, was der eine nicht vom anderen weiß oder wissen soll. An jedem einzelnen Tag entfernt sich die Familie ein bisschen mehr von ihrem Sommerdomizil, indem Möbel und Besitztümer möglichst gerecht verteilt werden und Vorbereitungen für die letzte Abreise getroffen werden. Aber auch mit jedem Tag kommen sich die einzelnen Mitglieder ein wenig näher.

Erscheint auch die Fülle an Problemen der Maxwells zunächst überladen, so bleiben die Figuren doch in sich stimmig und authentisch. Aus der Sicht eines jeden wechselt die Perspektive und so weiß der Leser jederzeit, was in jedermann so vor sich geht. Lediglich den anderen Familienmitgliedern bleibt das Innere des Gegenübers größtenteils verborgen. Der Autor nimmt sich die Tage einzeln vor und beschreibt sie in einer Ausführlichkeit, dass man das Gefühl hat, sie selbst mitzuerleben.

Stewart O'Nan hat hier keine Geschichte geschrieben, die einen spektakulären Anfang und ein fulminantes Ende hat, vielmehr nimmt er einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer ganz normalen Familie und beleuchtet diesen überaus genau. Auch nach dem Beenden des umfangreichen Romans ist man sicher, dass irgendwo da draußen in der wirklichen Welt das Leben der Familie Maxwell weitergeht. Die zahlreichen Charaktere bieten dem Leser eine enorme Fläche für Interpretation sowie persönliche Identifizierung mit sich selbst und der eigenen Familie.

Einfach ein Stück normales Leben, was hier beschrieben wird und nicht weniger unterhaltsam als der spannendste Krimi!

Ebenfalls hier rezensiert:

Stewart O'Nan: „Alle, alle lieben dich“


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