Dienstag, 15. Januar 2013
Veronique Olmi „In diesem Sommer“
Veronique Olmi bringt mir den Sommer mitten im Winter ins Haus. Schon diese Tatsache lässt diesen Roman zum Highlight werden. Schließt man zwischendurch die Augen, befindet man sich am Strand in der Normandie.

Dort treffen sich alljährlich drei Paare in einem Ferienhaus, um den 14. Juli zu feiern. Sie verlassen für ein paar Tage das hektische Paris, um am Meer gutem Essen und ihrer Freundschaft zu frönen. Delphine und Denis sind die Gastgeber; jedes Jahr dabei sind auch Marie und Nicolas; nur Lola glänzt immer mit einem neuen Partner, meist einem erheblich jüngeren. Aber das kennen alle schon, alles wirkt vertraut wie immer. Würde nicht plötzlich Jeanne, die Tochter der Hausbesitzer, einen jungen Mann mitbringen, den sie am Strand kennenglernt hat. Von nun an kippt die Stimmung. Denn Dimitri, der Fremde, scheint stellvertretend für die kleinen Lügen aller zu stehen.

Der eine glaubt in ihm den Vergelter eines Geschehens aus der Vergangenheit zu erkennen, das ihn für immer in Depressionen gestürzt hat, für den anderen ist er ein Lügner, der gewisse Dinge vor dem Partner und den Freunden verheimlicht, um es sich selbst nicht einzugestehen und für den dritten stellt er die letzte Bedrohung vorm Scheitern seiner Familie dar. Dimitri wird unbewusst zum Störfaktor dieser kleinen Gesellschaft, aber auch zum Aufklärer. Die Feier endet mit dem Verschwinden Jeannes und natürlich ist auch Dimitri nicht mehr zu finden.

Die Romane dieser Autorin faszinieren mich immer wieder. Sie beschreibt die Menschen so natürlich, nicht frei von Neid, Eigensinn und Egoismus und dennoch weich und verletzlich. Die Realitätsnähe macht Olmis Romane aus. Ihre Figuren und Geschichten wirken nicht ersponnen, erdacht, konstruiert, sondern authentisch und wahrhaftig. Veronique Olmi schreibt sensibel und klug. Und so wie ich es mag!

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Dienstag, 4. Dezember 2012
Arnold Thünker: „Verlangen nach Freundschaft“
Jakobs letzte Station auf seiner Reise durch Amerika ist New York. Um die Zeit bis zu seiner Rückreise nach Deutschland zu überbrücken, nimmt ihn Faunus, ein reicher, homosexueller, in die Jahre gekommener Mann in seiner Wohnung im East End auf und vermittelt ihm einen Job in einem Antiquariat. Faustus erzählt Jakob aus seinem Leben, seiner Kindheit und der Krankheit, die immer wieder ausbricht. Als Sohn einer niederländischen Kolonialisten Familie verbrachte er einige Zeit in einem Straflager in Japan. Diese Erfahrung und sein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Vater haben ihn geprägt. Es entwickelt sich eine Art Freundschaft. Faunus lässt Jakob an seinem Leben teilhaben und stellt ihn seinen Freunden und Bekannten vor.

Bis hierher ein durchaus interessanter Roman. Doch dann wird Jakob, „der junge Deutsche“, wie sie ihn nennen, irgendwie rumgereicht. Er gerät in allerlei Geschichten. Klischeehaft, wie man sich Manhattan in den 80ern vorstellt, besucht Jakob fortan regelmäßig einen Aidskranken, hilft einer jungen Frau Lebensmittel für Obdachlose auszuteilen, unterstützt einen etwas verrückten Künstler bei seiner Ausstellung und begleitet Faunus bei seinen Einladungen einer doch ziemlich verstaubten „besseren Gesellschaft“. Zwar findet sich der rote Faden der Erzählung am Ende wieder, aber die wahllose Aneinanderreihung von Schicksalen und Anekdötchen wirken eher ermüdend.

Ein Roman über Menschen, oder vielmehr über Aktivitäten dieser Menschen, ohne jeglichen Tiefgang. Arnold Thünker beherrscht die Sprache für einen Roman, aber nicht das Geschick den Leser zu fesseln. Die Charaktere bleiben oberflächlich, man erfährt von ihnen nichts. Jakob, der Protagonist des Buches, spricht nicht, denkt nicht, fühlt nicht; er bleibt starr und hölzern wie eine Schachfigur.

Ich frage mich: Warum schreibt ein Autor ein Buch über Menschen ohne ihnen Leben einzuhauchen, ohne etwas von ihnen zu erzählen UND wer ist eigentlich Jakob?

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Mittwoch, 21. November 2012
Heinrich Steinfest: „Das himmlische Kind“
So einiges habe ich aus diesem Roman gelernt, so z.B. ein Stück vom Realismus einer Geschichte zurückzutreten, um das Große und Ganze darin zu erkennen. Denn zwar vieles, aber nicht alles entspricht hier einer Wirklichkeit, wie man sie kennt. Heinrich Steinfest erzählt die tragische Geschichte zweier Waisenkinder, die in einer Waldhütte versuchen zu überleben. Nicht nur Krankheit, sondern auch den Verlust der Mutter, die sich im Beisein ihrer beiden Kinder mit dem Auto in einen abgelegenen See gestürzt hat. Sie ertrinkt, die Kinder überleben. Und er erzählt die Geschichte so poetisch und gleichermaßen fantastisch, dass man das Buch nicht mehr weglegt.

Die beiden Halbwüchsigen, besonders die überaus intelligente wie altkluge 12jährige Miriam, die so jedem Klischee eines typischen Mädchens entspricht, wachsen in ihrem „Exil“ über ihre eigenen Fähigkeiten hinaus. Nicht zuletzt, weil Miriam ihrem kleinen Bruder Elias ein modernes Märchen so anschaulich zu erzählt vermag, das es ihm unmöglich macht, nicht zu überleben.

Ich würde Heinrich Steinfests „himmlisches Kind“ als philosophisches Märchen bezeichnen, das zeigt, dass nicht der Tod das Schlimmste ist, sondern das Sinnvolle darin besteht, wie die Überlebenden aus einer solchen Situation heraustreten.

Die Art der Sprache schaffte bei mir das Gefühl nicht genau gewahr zu sein, ob es sich hier um einen Traum handelt. Ähnlich wie die Protagonistin selbst traut man als Leser seinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr. Es bleibt einem nur, das Gelesene hinzunehmen und abzuwarten, was daraus wird.

Und es wird! Soviel kann ich versprechen!

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Mittwoch, 7. November 2012
Bodo Kirchhoff „Die Liebe in groben Zügen“
Vila und Renz führen ein wohlhabendes Leben: eine Stadtwohnung in Frankfurt, ein Sommerhaus am Gardasee, beide beim Fernsehen tätig, Geld und Porsche, an nichts fehlt es. In ihrer über 30jährigen Ehe haben sie sich gemütlich eingerichtet. Ihr ritualisiertes Dasein dreht sich um Freunde, Beruf, gelegentlichen Sex, die Sommer am See und Weihnachten in Jamaika. Beide pflegen Affären, „Weil zu wenig dagegen sprach. Und zu viel dafür.“ Aber plötzlich ist da Bühl, der Mieter des Hauses über den Winter und die gutaussehende Marlies, Producerin und Kollegin Renz‘. Und es ist Liebe. Für Vila gibt es fortan ein Bühl’sches Leben und ein Renz’sches. Nicht vereinbar, aber auch nicht trennbar.
Alles beginnt wie ein frischer Morgen, reinigend, neu, anders. Aber auch Bühl und Marlies haben eine Vorgeschichte und ein Leben, das auf verquere Weise in Verbindung zu stehen scheint. Die Hoffnung auf ein Enkelkind lassen Vila und Renz eine letzte Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch dazu kommt es nicht. Als Marlies an Krebs erkrankt, begleitet Renz ihren Leidensweg. Vila hingegen blüht auf in ihren heimlichen Telefonaten mit dem Mieter und dem erfüllenden Sexleben mit ihrer neuen Liebe. Sie wirkt verjüngt und ausgetauscht, „nah am Glück“. Mit Bühl begibt sie sich auf eine Reise zu ihrer Tochter nach Havanna, auf den Spuren von Franz von Assisi durch Italien und in ihre Jugendzeit. Denn schon lange hat sie sich nicht mehr so jung und begehrt gefühlt. „Welche Frau will keine Venus sein mit Ende vierzig.“
Aber die Jahre mit Renz haben natürlich Spuren hinterlassen, die sie nicht einfach wegwischen kann. Wohin auch immer sich beide bewegen, Vila und Renz, gehören sie doch irgendwie zueinander.

Was ist Liebe, wo beginnt Liebe, wo endet sie? Darum geht es in diesem 700seitigen Roman. Alles, was ich dazu sagen kann, klingt farblos und hohl neben Bodo Kirchhoff’s Sprachgewaltigkeit. Sein Erzählstil in groben Zügen schafft beim Lesen eine ganz besondere Atmosphäre; als beschreibe er einzelne Bilder aus den Leben seiner Protagonisten.
Kirchhoff schreibt unglaublich schöne Sätze über Liebe, ohne auch nur im Entferntesten schnulzig zu klingen. Einfühlsam und sensibel, aber auch ungeschönt und geradeheraus spricht der Autor über das alltägliche Erleben. Über Wünsche und Sehnsüchte des Liebens und Geliebt Werdens.

Für mich hätten es gerne 100 Seiten weniger sein können. Die Hintergrundgeschichte über Franz von Assisi, sicherlich ein gelungener Einfall des Schreibers, ist meines Erachtens zwar nachvollziehbar, aber für einen solch guten Roman nicht notwendig. Wenn auch sonst thematisch ein wenig überfrachtet, steht doch eins für mich fest:
Bodo Kirchhoff trifft hier bei jedem Thema den richtigen Ton!

Absolut lesenswert!

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Freitag, 19. Oktober 2012
Jennifer Haigh: „Auftauchen“
Die McKotchs sind eine ganz normale Familie. Jedes Jahr verbringen sie ihren Urlaub mit ihren drei ganz unterschiedlichen Kindern auf Cape Cod in ihrem Ferienhaus. Was wie ein unbeschwerter Sommer 76 beginnt, endet in einer einschneidenden Veränderung aller Familienmitglieder. Bei Gwen, der Tochter, wird das Turner-Syndrom festgestellt, was ihr Wachstum hemmt und die Pubertät ausbleiben lässt. Für Gwen die Bestätigung: Sie ist eben anders. Aber sie selbst hat das schon lange gewusst und gespürt. Dafür war keine Diagnose wichtig. Diese bekennt nur ihren inneren Zustand. Die Krankheit macht ihr Anderssein lediglich sichtbar.
Für die Eltern bricht allerdings eine Welt zusammen. Während Paulette, die Mutter, sich überfürsorglich gibt, vergräbt sich Frank in seine Arbeit und versucht die Krankheit seiner Tochter auf eher nüchterne Art begreifbar zu machen. Beiden will ihr Weg damit umzugehen nicht recht gelingen und so zerbricht die Familie. Alle scheinen zu leiden, nur Gwen gelingt es, endlich aufzutauchen und ihr eigenes Leben zu führen.

Mit häufigen Wechseln der Perspektive erzählt die Autorin hier eine fesselnde Familiengeschichte, die keinesfalls als Tragödie daherkommt. Aus der Sicht jedes Einzelnen schildert sie eine Situation, mit der jeder anders umgeht, aus der jeder andere Wege geht und seine eigenen Chancen wahrnimmt. Vielleicht, so denke ich, leidet nicht der Betroffene selbst unter dem Anderssein, sondern vielmehr seine Umwelt.

"Auf Cape Cod herrscht ein zeitloser Rhythmus, unveränderlich. Eisige Wellen krachen an die Küsten. Dann kalte Wellen. Dann kühle. Die Bucht liegt da und wärmt sich an langen Tagen. Kinder mit blauen Lippen trotzen der Brandung."
(Jennifer Haigh)

Lese ich solche Sätze auf der ersten Seite eines Buches, dann hat es mich gepackt!

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Mittwoch, 12. September 2012
Rachel Joyce: „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“
Ein Mann, unscheinbar und bescheiden, geht tausende von Meilen quer durch England, um eine lang zurückliegende Schuld zu begleichen. Was als „ich geh mal zum Briefkasten“ beginnt wird bald als Leben verändernde Reise fortgeführt. Meile um Meile begleitet der Leser Harold Fry ohne so richtig zu erfassen, worum es ihm und der Autorin wirklich geht. Wer etwas Geduld und Einfühlungsvermögen mitbringt, wird durchaus belohnt mit einer guten Unterhaltung, die nicht nur an der Oberfläche bleibt, auch wenn es manchmal den Anschein hat, Rachel Joyce wisse nicht mehr genau, wo es langgeht. Aber sie weiß es, wie Harold Fry auch. Innerhalb einer mehrwöchigen Zeitspanne werden wir Zeuge eines Lebens, das mit all seinen Facetten so normal scheint und doch gleichzeitig so ungewöhnlich ist. Harold geht diesen Weg für sich, wie er anfangs betont, ohne zu ahnen welche Auswirkungen sein Tun auf seine unmittelbare Umwelt hat. Am Ende haben alle von seiner Anstrengung profitiert.

Das Buch war für mich eine erfrischende, mal zum Lachen aber auch zum Tränen wegwischende, Überraschung. Wer sich voll und ganz auf Harold und sein Leben einlassen kann, wird gut und rührend unterhalten. Für mich ein sommerlicher Büchertipp mit Tiefgang!

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