Dienstag, 24. September 2013
Andreas Schäfer „Gesichter“
Gabor Lorenz ist Neurologe in einem Berliner Krankenhaus und steht kurz vor seiner Professur. Er untersucht die seltene angeborene Krankheit der „Gesichtsblindheit“, bei der die Patienten Gesichter nicht wiedererkennen können. Eben wünscht er sich selbst an diesem Leiden erkrankt zu sein, denn das Gesicht eines afrikanischen Flüchtlings geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Auf der Rückreise aus dem Familienurlaub auf einer griechischen Insel beobachtet er, wie sich ein Mann auf der Fähre in einem LKW versteckt. Um ihm irgendwie zu helfen, wirft er kurzerhand seine getätigten Einkäufe in den Unterschlupf. Bei Ankunft in Italien erhascht Gabor einen kurzen Blick auf den dunkelgelockten Fremden.

Erst zuhause bemerkt Gabor, dass sich in der Einkaufstasche die Ansichtskarten, adressiert an seine eigene Frau, befanden. Stets schreibt er diese im Urlaubsort, um sie später nach und nach abzusenden. So meint er, die schönste Zeit des Jahres gedanklich zu verlängern. Diese Geste könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden, denn der Flüchtling kennt nun seine Anschrift. Von diesem Moment an fühlt sich Gabor beobachtet und verfolgt. Das verstärkt sich, als eines Tages die erste Karte eintrifft.

„Doch er war in der Nähe, das spürte Gabor, so wie man das Meer spürt, schon Kilometer bevor man die Küste erreicht, so wie man weiß, dass es im Laufe des Tages regnen wird.“

Sein gesamtes Handel und Denken ist fortan nur der Idee geschuldet, dass der Fremde ihn und seine Familie findet. Sein wohlgeordnetes Leben gerät aus den Fugen. Die Angst steigert sich bis zu einer Paranoia. Gabor wird getrieben und als dann seine vierzehnjährige Tochter verschwindet, glaubt er, nur eins und eins zusammenzählen zu müssen.

Der Autor Andreas Schäfer bedient sich der Macht des Unausgesprochenen, der Macht von Vorurteilen und der Angst allem Fremden gegenüber. Geschickt konstruiert er die Panik eines Menschen, der sich diese selbst schafft. Der Leser weiß lange nicht, was der Wirklichkeit entspricht und was sich lediglich um Hirngespinste des Arztes handelt. Ungewöhnlich ist, wie der Schriftsteller über Gesichter schreibt ohne sie darzustellen. Obwohl das des Flüchtlings nahezu unbekannt bleibt, keine bildliche Beschreibung erfolgt, glaubt man doch es vor dem inneren Auge genau sehen zu können.

In einfacher Sprache und chronologisch erzählt lässt Andreas Schäfer uns in die Psyche der Menschen blicken, setzt der Gesellschafft einen Spiegel vor und behandelt hier das aktuelle Thema der Flüchtlingsproblematik. Nicht alles kommt hier zu einem schlüssigen Ende, das Buch ist aber dennoch lesenswert.

Ein bedrückender Roman, der einen nachdenklich werden lässt.

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Donnerstag, 22. August 2013
Kathrin Aehnlich „Wenn die Wale an Land gehen“
Die in Leipzig geborene Schriftstellerin nimmt uns mit in eine Zeit, in der Vinyl-Schallplatten heiß begehrt waren, Bücher nicht einfach zu kaufen waren. In der Jugendliche im Osten des Landes durch die Mauer von der Freiheit getrennt waren und mal still mal laut zu protestierten wagten. Levis Jeans, Fleischerhemden aber auch Janis Joplin und die Rolling Stones verkörperten die Unabhängigkeit, die alles vermissten.

An diese Zeit, die über viele Jahre zurückliegt, erinnert sich die Protagonistin Roswitha, als sie auf ihrer Scheidungsreise (“was ist wohl das Gegenteil von Honeymoon?“) in die USA fliegt, um ihre Jugendliebe Mick wiederzusehen. Mit ihm hat sie diese prägende Zeit erlebt. Doch im Gegensatz zu ihr ist er geflüchtet. Aufs geradewohl fliegt sie nach New York. Bei ihrer Suche nach Mick trifft sie auf viele, die damals durchgebrannt sind. Alle scheinen sie zu kennen, aus Mick’s Erzählungen, aber er selbst ist wie vom Erdboden verschluckt. Damals waren sie sich so nah; haben viele Stunden miteinander verbracht; mit lauter Jazzmusik haben sie sich in die ferne Welt geträumt, dem sozialistischen Alltag und allen Reglementierungen zum Trotz. Mick war immer anders und hat seine Wut und seinen Hass nie versteckt, und seine Liebe zur Musik, und zu Rose, wie er seine große Liebe nannte. Die Frage ist, ob diese ihren Mick findet oder bleibt er nur ein Gespenst aus der Vergangenheit, die Freundschaften und Leben gekostet hatte?

In einfühlsamen und ruhigen Worte erzählt Kathrin Aehnlich diese unaufgeregte Geschichte der DDR. Die Zeitfenster wechseln sich relativ schnell ab und schaffen so die Nähe von Gegenwart und Vergangenheit. Kritisch beschreibt sie den Alltag und die Schwierigkeiten im Kommunismus; die Zerrissenheit zwischen Loyalität und Verrat. Die Autorin drückt aber auch Wehmut nach der früheren Zeit aus, ohne übertrieben (n)ostalgisch zu werden; beschreibt Empfindungen ohne Trivialität. Der Text ist mit vielen Songzeilen gespickt, die man regelrecht zu hören glaubt. Aehnlich’s Sprache ist schon fast poetisch zu nennen; Sätze, die man fühlt. Ein Buch, das sich leicht liest, sofort fesselt und ein warmes ruhiges Gefühl hinterlässt.

Einzige Kritikpunkte: die Geschichte kommt nicht ganz ohne Klischees aus und die Dialoge wirken mitunter arg konstruiert. Das trübt aber nicht das Leseerlebnis!

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Montag, 19. August 2013
James Meek „Liebe und andere Parasiten“
Ritchie, ehemaliger Rockstar, mittlerweile Moderator einer Castingshow für junge Talente, hält sich für einen guten Kerl. Er kommt nicht auf die Idee, dass dies anders sein könnte, er ein schlechter Mensch sein könnte. Nicht etwa, weil er seine Frau betrügt, und das mit Minderjährigen; nicht weil er erwägt seine Schwester öffentlich zu denunzieren, um seine eigene Haut zu retten, nicht weil er dem Mörder seines Vaters verzeihen will, um eine gute Sendung zu machen und noch berühmter zu werden. Aber nein! Seine eher zweifelhafte Prominenz ist für ihn Beweis genug. Ritchie strotzt nur so vor Selbstverliebtheit und Arroganz.

Nicht so seine Schwester Rebecca. Sie agiert eher im Hintergrund, ist Wissenschaftlerin und forscht nach einem Mittel gegen Malaria. Dazu stellt sie ihren eigenen Körper als Wirt für einen Parasiten zur Verfügung, den sie später nach ihrem Vater benennt. Sie wirkt im Stillen. Nachdem sie sich trotz versprochener Hochzeit von ihrem Verlobten trennt, ist dieser, Val, Chefredakteur einer großen Zeitschrift, „not amused“ und stellt Ritchie vor eine folgenschwere Entscheidung: er veröffentlicht dessen Vorliebe für zu junge Mädchen oder Ritchie bietet ihm stattdessen einen Fehltritt seiner Schwester.

Damit bricht eine Lawine gegenseitiger Anschuldigungen und Denunziationen los. Davon betroffen ist bald auch Alex, ehemaliges Bandmitglied Ritchies, der schon lange in Rebecca verliebt ist. Selbst als erfolgreicher Wissenschaftler tätig entwickelt er ein Medikament gegen das Altern. Als Val dann von der Bildfläche verschwindet, wähnt Ritchie sich in Sicherheit und von den Erpressungsversuchen befreit. Wäre da nicht die Moral Foundation, ein Verein, der Prominente Verfehlungen an die Öffentlichkeit bringt. In Rebeccas späterem Erfolg in Beruf und Privatleben sieht Ritchie plötzlich seine Chance. Im Verrat „läge, so Ritchie, eine Art Güte; es war gefährlich für seine Schwester, in dem irrigen Glauben weiterzuleben, sie sei rechtschaffen.“ Also war es nicht gar seine Pflicht sie davon zu befreien?

Man muss ihn hassen, James Meek’s Protagonisten. Er ist schlitzohrig, gemein und dreht sich die Tatsachen nach seiner Fasson. Voller Sarkasmus und typisch englischem Witz schildert der Autor eine Geschichte über Verrat, über die Frage nach Richtig und Falsch und der eigenen Rechtschaffenheit. Clever und äußerst glaubwürdig beschreibt er seine vielen Figuren, die die Welt mitsamt seiner Menschen nicht gut dastehen läßt. Aber so ist er, der Homo sapiens!

Das war der erste Roman vom englischen Autor James Meek, den ich gelesen habe, aber mit Sicherheit nicht der letzte!

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Dienstag, 30. Juli 2013
Francesca Segal „Die Arglosen“
Die im Nordwesten von London angesiedelte jüdische Gemeinde hält fest zusammen. Ziva, Holocaust Überlebende, ist die Großmutter und Patriarchin des Gilbert-Clans. Dieser soll bald Familienzuwachs von Adam bekommen. Eigentlich gehört er schon lange dazu; seit zwölf Jahren genießt er nicht nur das uneingeschränkte Vertrauen aller, er hat auch eine Stelle in der Kanzlei seines zukünftigen Schwiegervaters. Auf eine gewisse Art ist Lawrence schon ein Ersatz für den zu früh verstorbenen Vater Adams geworden. Bald wird er ganz zur angesehenen Gilbertfamilie gehören, denn Adam wird Zivas Enkelin Rachel endlich heiraten, seine erste große Liebe. Längst ist alles arrangiert, als Adam plötzlich Zweifel plagen.

Schuld daran ist Rachels Cousine Elli, die eines Tages aus New York anreist, um in London zu leben. Sie ist so ganz anders als Adams Braut: unkonventionell, offen allem Neuen gegenüber, unabhängig und modern und vor allem frei von familiären Verpflichtungen und Verwicklungen. Ihr Ruf als Model und wilde umtriebige Frau eilt ihr voraus. Diese Eigenschaften rütteln die gesamte, sonst so in sich ruhende Gemeinde, auf. Alles, was Adam an Rachel früher so unwiderstehlich gefunden hatte, sieht er nun in einem anderen Licht. Ihre Bodenständigkeit interpretiert Adam auf einmal als spießig und langweilig, die Prinzipientreue und Opferbereitschaft als unreif, ihrer beider Horizont plötzlich als beschränkt. Der konservative Adam fühlt sich von Ellis Anwesenheit gleichermaßen angezogen wie abgestoßen. Jetzt gilt es, schnell zu heiraten, die Sache in die richtigen Bahnen zu bringen, um Zweifel und irregeleitete Empfindungen ein für alle Mal im Keim zu ersticken. So wächst sein innerer Kampf gegen die Regeln der Gemeinschaft, gegen seine eigene Moralvorstellung und alles, für was er bisher gelebt hat.

Diese Zerrissenheit spürt man als Leser am eigenen Leib. Die Autorin, die aus der Sicht Adams schreibt, erzählt psychologisch ausgefeilt und überaus intelligent dessen inneren Konflikt. Mal witzig, sarkastisch, humorvoll, mal nachdenklich. Francesca Segal weiß wie Männer ticken und so kriecht sie ganz feinfühlig in dessen Seele und lässt uns teilhaben an Adams Innenwelt.
Wir erfahren außerdem eine ganze Menge über jüdische Gepflogenheiten und Feiertage, sowie über die Macht der Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Wer nach diesem Buch ohne Fragen nach der eigenen Lebenserwartung zurückbleibt, dem ist nicht zu helfen!


Ein Wahnsinns-Debüt!

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Montag, 22. Juli 2013
Jodi Picoult „In den Augen der Anderen“
Emma ist alleinerziehende Mutter zweier Söhne. Für eine regionale Zeitung in Vermont ist sie freiberuflich als „Kummerkastentante“ tätig. Hier erteilt sie jede Menge guter Ratschläge, von denen sie selbst ein paar gebrauchen könnte. Finanziell kommt sie gerade so über die Runden. Ihre gesamte Lebensenergie steckt Emma in die Erziehung ihrer Kinder, vor allem in Jacob. Er ist zwar der ältere der beiden, benötigt aber die meiste Aufmerksamkeit. Jacob leidet an einer Unterform des Autismus‘, dem Asperger-Syndrom. Das macht es ihm unmöglich Empathie zu entwickeln, Humor zu verstehen und auf „normale“ Weise mit anderen zu kommunizieren. Zeitlebens versucht Emma ihren Sohn zu schützen vor Ausgrenzung, Mobbing oder Diskriminierung. Die Krankheit verschlingt nicht nur die begrenzten finanziellen Mittel der Familie, sondern verlangt auch jedem eine Menge Geduld ab. Außergewöhnliche Regeln und Jacobs Zwänge und Eigenheiten bestimmen das Leben.

Jess, eine Pädagogikstudentin, erteilt Jacob zweimal in der Woche Unterricht in Sozialverhalten. Sie übt mit ihm Situation wie eine Unterhaltung im Restaurant oder etwa ein Kinobesuch. Sie scheint außerdem die Einzige, die Jacobs Vorliebe für Kriminaltechnik und Forensik verstehen kann. Denn auch diese Fixierung auf ein bestimmtes Thema gehört zu den umfangreichen Symptomen des Asperger-Syndroms. Als Jess sich verliebt und ihren Freund Mark immer häufiger in die Treffen mit Jacob einbezieht, kommt es zum Streit zwischen den Dreien. Jacobs Welt steht Kopf und bald darauf wird Jess tot aufgefunden.

Jacob wird festgenommen und gerät so in die Mühlen einer „neurotypischen Welt“, in der es schwer ist, sich und sein Handeln zu erklären. Denn nicht jeder glaubt an seine Unschuld.

Jodi Picoult schlingert meiner Meinung nach häufig am Abgrund zum Schund; stets mit erhobenem Zeigefinger und als Sprachrohr der Vernachlässigten und Diskriminierten. Auch das Thema in diesem Buch macht es sicher notwendig darüber zu schreiben, aber an manchen Stellen ähnelt der Inhalt einer Abhandlung über Autismus. Zu häufig sind die erschöpfenden Beschreibungen und immer wiederkehrenden Dialoge. Das Thema selbst wird mit der Zeit langweilig, nicht aber die Art, wie Jodi Picoult dieses Drama beschreibt. Überaus gekonnt lässt die Autorin all ihre Protagonisten zu Wort kommen und die Geschichte auf deren Weise erzählen. Diese Wechsel der Perspektiven, die sich auch typografisch voneinander unterscheiden, sorgen für Spannung und Kurzweil. Die langen Gerichtsszenen erinnern an John Grisham‘s Bücher. Als Krimi würde ich diesen Roman dennoch nicht beschreiben; dafür fehlt ihm einfach die Raffinesse.

Über einige Unebenheiten, Wiederholungen und Vorhersehbarkeiten sollte der Leser hinwegsehen können.


Mehr über die Autorin:
http://www.piper.de/autoren/jodi-picoult-163

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Dienstag, 2. Juli 2013
Heinz Strunk „Junge rettet Freund aus Teich“
Unter dem Namen Mathias Halfpape (der Geburtsname Heinz Strunks) erzählt der Autor halbautobiographisch drei Abschnitte aus seinem Leben. Jeweils als sechs-, zehn- und vierzehnjähriger beschreibt Strunk den „ganz normalen“ Alltag eines in Hamburg Harburg aufwachsenden Kindes.

Zunächst wohnt Mathias mit seiner alleinerziehenden Mutter bei den Großeltern. Er genießt die Vorzüge, von allen Seiten verwöhnt zu werden und Mamas kleiner Liebling zu sein. Die Unbekümmertheit des Vorschuldaseins neigt sich jedoch dem Ende. Schon im Alter von Zehn beginnt seine heile Welt etwas zu bröckeln. Zwischen Freunden und Mitschülern gilt es sich gegenseitig zu beweisen. Es kommt zu Streichen und Mutproben, bei denen Mathias an die eigene Grenze von Moral stößt. Seine ganze Lebenssituation verschärft sich in der Pubertät. Mittlerweile wohnt er mit seiner Mutter, die mit sich und ihm schon grundsätzlich unzufrieden scheint, in einem Hochhaus in der Vorstadt. Zwischen schlechtem Gewissen und eigenem Verantwortungsgefühl dem Leben gegenüber schlingert er von nun an ohne Unterstützung der Großeltern, die den Puffer zwischen Mutter und Sohn gebildet hatten, in die Jugend.

Das Außergewöhnliche an diesem Roman ist weniger die Geschichte selbst, als die Art und Weise wie sie erzählt wird. Die Sprache entspricht dem jeweiligen Alter des Ich-Erzählers, sodass der Leser dem Protagonisten in jeder Phase ganz nah ist. Die Zerrissenheit und Veränderung seiner Lebensabschnitte spürt man am eigenen Leibe. Ist man zusätzlich in ähnlichem Alter wie Mathias selbst, bleibt es nicht aus, dass man von eigenen Kindheitserinnerungen geradezu überschüttet wird.

Eine Geschichte vom Erwachsenwerden wie wir sie alle kennen. Ungeheuer einfühlsam zu Papier gebracht!

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Freitag, 21. Juni 2013
Richard Yates „Eine gute Schule“
Neuengland in den 40er Jahren: Privatschulen werden in gute, schlechte und komische Schulen eingeteilt. Die Dorset Academy gehört zur letzten Kategorie. Hier finden sich Schüler, die an keiner anderen Schule genommen werden. Auch das sonst gewohnte hohe Ansehen der Eltern spielt hier nicht unbedingt eine Rolle. Wettkämpfe, wie sonst an anderen Schulen üblich, finden nicht statt, da es an Nachwuchssportlern fehlt. Aber auch die Lehrer sind anders, meist gescheiterte Existenzen und am Leben verzweifelt.

Dorthin verschlägt es auch William Grove, dessen Eltern geschieden sind und der Vater ihm nur mit viel Anstrengung das Schulgeld bezahlen kann. Als Neuer wird er natürlich viel aufgezogen und wegen seines Äußeren verspottet. Doch schafft er es eines Tages als Schreiber in die Redaktion der Schülerzeitung. Hier wird seine Karriere als Journalist seinen Anfang finden. Bills aufregendes Schülerdasein und das seiner Mitschüler findet 1944 einen Anfang vom Ende, als Amerika in den Krieg eintritt. Von jetzt an werden die Oberstufen in den Militärdienst eingezogen und manch einer findet dort den Tod. Vom Krieg und finanziellen Engpässen überschattet steht die Dorset Academy bald vor der Schließung. Dann wird nicht nur den Schülern klar, dass es sich hier gegen jedes Gerede doch um „eine gute Schule“ handelt.

Richard Yates beschreibt die schwierige Phase des Erwachsenwerdens in einer Zeit, die vom Krieg geprägt ist. Obwohl er diese Zeit an der Jungenschule mit Streichen, des gegenseitigen Kennenlernens und der ersten Kontakte zum anderen Geschlecht beschreibt, die Schwere der Jahre und ihrer Geschehnisse werden schnell deutlich. Mit leisen Worten und herrlich unaufdringlich schreibt Richard Yates ein persönliches Dokument seines Lebens.

Er starb bereits 1992. Die Deutsche Verlagsanstalt verlegt seither seine gesamten Werke, von denen „Zeiten des Aufruhrs“ sicher das bekannteste ist. Aber auch alle anderen Romane kann ich besten Wissens empfehlen für Leute, die es ruhig mögen, tiefgründig und ohne Eitelkeit.

Mehr zum Autor und seiner Bücher unter
http://www.richardyates.org

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Freitag, 22. März 2013
Gisa Klönne „Das Lied der Stare nach dem Frost“
Nach dem Tod ihrer Mutter stolpert Ricarda Hinrichs fast ungewollt über Ungereimtheiten ihre Familie betreffend. Eigentlich reist sie nach Berlin, um den Nachlass zu ordnen und die Beerdigung zu organisieren. Von der Polizei erfährt sie vom Autounfall ihre Mutter und muss sich mit der Frage auseinandersetzen, ob diese nicht Selbstmord begangen hat. Denn am selben Unfallort ist Jahre zuvor Ricardas Bruder Ivo verunglückt.

Rixa, wie alle sie nennen, beginnt sich auf die Spur ihrer Mutter zu begeben. Wie hat sie die letzte Zeit verbracht? Warum war sie auf dem Weg in eine Stadt im Osten des Landes, die sie nie erwähnt hat? Warum lässt sie den streunenden Kater, dem sie Asyl gewährt hat, alleine ohnr Futter in der Wohnung zurück? Statt Antworten zu finden, tauchen mehr und mehr Fragen auf. Erst als Rixa sich mit Freunden ihres verstorbenen Bruders auf den Weg nach Sellin und damit in die Vergangenheit ihrer Mutter macht, kommt sie einem Familiengeheimnis nahe.

Unterbrochen wird diese spannende Geschichte immer wieder von einem zweiten Erzählstrang, in dem der Leser von genau dieser Vergangenheit der Mutter erfährt. Die Erzählung führt uns in die Zeit 1933-1945; eine Zeit, in der zwei Generationen zuvor, ein junges Ehepaar versucht mit den politischen Umwälzungen zu leben; als Pfarrersfamilie, die in die Machenschaften der Nationalsozialisten gezogen wird.

Eine Geschichte, laut Autorin, die genauso in vielen deutschen Familien passiert sein könnte. Sie steht in Sachen Spannung den Krimis von Frau Klönne in nichts nach. Ein überaus intelligenter Familienroman, der verdeutlicht, wie Schuld und Verschweigen der Wahrheit über Generationen hinweg aufrecht gehalten werden.

Mehr zur Autorin
http://www.gisa-kloenne.de

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Mittwoch, 27. Februar 2013
Bethan Roberts: „Der Liebhaber meines Mannes“
Die Erzählung beginnt 1999: Marion, eine Lehrerin in Pension, holt gegen den Willen ihres Mannes Tom, den bettlägerigen Patrick ins Haus. Nach mehreren Schlaganfällen kann der weder sprechen noch sich fortbewegen. Marion pflegt ihn und erinnert sich an eine Zeit Ende der 50er Jahre, als sie ihren Mann und später Patrick kennengelernt hat. Denn er ist der Liebhaber ihres Mannes.

In schriftlicher Form spricht Marion ihren Gast an, schreibt alles auf, an das sie sich erinnern kann. Wie sie sich 1957 unsterblich in den großen Bruder ihrer besten Freundin Silvie verliebt hat. Um in seiner Nähe zu sein, lässt Marion sich von ihm das Schwimmen im Meer beibringen und ignoriert alle Bedenken, die Silvie ihres Bruders betreffend, äußert. Toms Zögern in Liebesdingen deutet sie als Zurückhaltung und Achtung vor ihr als Frau. Nach Jahren erst, Tom ist Polizist, Marion Lehrerin, heiraten sie. Wohl wissend, dass es da noch eine ganz andere Geschichte gibt.

Die erzählt Patrick in seinem Tagebuch. Von einer Zeit, den 60er Jahren in Brighton, England, in der Emanzipation lediglich eine Idee war, in der vorsichtig Gruppen gegen Atomkraft und die Politik zu protestieren begannen und in der Homosexualität noch als Unzucht bestraft wurde. In jener Zeit lernt Patrick „seinen Polizisten“ kennen und lieben. Doch er muss ihn teilen, das wird schnell klar.

Einfühlsam und keinesfalls voyeuristisch beschreibt Bethan Roberts dieses überaus erschütternde wie unglaubliche Zeitgeschehen. Die Perspektivenwechsel zwischen Marion und Patrick geben diesem Roman eine besondere Note und sorgen dafür, dass der Leser den Protagonisten immer einen Wissensschritt voraus ist. Tom kommt nicht zu Wort; vielmehr ist er der Spielball zwischen den beiden Konkurrenten. Man spürt die Zerrissenheit beider. Auf einer Seite eine gewisse Wertschätzung, ja sogar Verständnis, auf der anderen eine unbändige Eifersucht und Wut, die auf dramatische Weise ihren Lauf nimmt. Die Charakteristik Marions, die die Neigung ihres Mannes partout nicht sehen will und alle Hinweise darauf so lange umgeht, bis sie fast daran zu zerbrechen droht, ist so grausam wie menschlich. Wie lange kann ich mich selbst verleugnen? Diese essenzielle Frage scheint im Mittelpunkt der Leben aller beschriebenen Figuren zu stehen.

Ein großer Roman über Obsession, Sühne und eine menschenverachtende Zeit. Dieses Buch lässt einen so schnell nicht los!

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Montag, 18. Februar 2013
Chad Harbach: „Die Kunst des Feldspiels“
Chad Harbach erzählt eine mitreißende, spannende Geschichte, in deren Mittelpunkt fünf Personen stehen:

Allen voran Henry, dessen Wunsch ein guter Baseballspieler zu werden; Shortstop um genau zu sein, ihn antreibt. Wie sein Vorbild Aparicio Rodriguez. Sein Buch „Die Kunst des Feldspiels“ ist für Henry zu einer Art Bibel geworden. Als Mike Schwartz den talentierten, schmächtigen Jungen entdeckt und ihn zum Westish College holt, wissen beide noch nicht, wie stark sich ihre Beziehung entwickeln wird. Mike fungiert als Couch, als Mentor, sein eigenes Leben in den Hintergrund rückend, und Henry kämpft, um seinem voraneilenden Ruf als Retter der „Harpooners“, der College Mannschaft, gerecht zu werden. Doch das gestaltet sich schwerer als gedacht.

Henrys Mitbewohner Owen trifft die Liebe seines Lebens und der gutaussehende Präsident des Provinzcolleges Mr.Affenlight stürzt in ein emotionales Chaos. Als dann auch noch seine Tochter Pella, die er über Jahre nicht gesehen hat, nach gescheiterter Ehe auftaucht, steht seine Welt Kopf.
Ab einem bestimmten Punkt des Romans sind all diese Protagonisten auf eher unkonventionelle Weise miteinander verbunden. Obwohl jeder so sein eigenes Päckchen zu tragen hat, Lebenskrisen in ganz unterschiedliche Richtungen laufen, bilden sie am Ende doch eine Gemeinschaft, ohne sich zu sehr von den anderen abhängig zu machen, aber auch ohne sie im Stich zu lassen. Jeder dieser überaus sympathischen Figuren wandert auf seinem persönlichen schmalen Grad.


Ein Debütroman der besonderen Art, den ich aufgrund seines Covers, des offensichtlichen Sportthemas nicht unbedingt kaufen würde. Hätte ihn mir nicht eine Bekannt empfohlen, wäre er an mir vorbeigegangen. Welch ein Verlust!

Es ist nicht nur ein Buch über Baseball (die Regeln etwas zu kennen allerdings ein Vorteil), sondern ein tiefgründiger und sentimentaler Roman über Erfolg, über das Scheitern, Perfektionismus, die Liebe und das große Ziel, das jeder für sich finden muss. So unglaublich spannend geschrieben, dass die Spielszenen selbst einem ausgesprochenen Sportmuffel Herzklopfen bereiten; die Beschreibung der zwischenmenschlichen Beziehungen einem vor Melancholie die (Baseball-) schuhe ausziehen.

Unbedingt lesen!!!

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