Dienstag, 5. Januar 2016
Jodi Picoult „Bis ans Ende der Geschichte“ Hörbuch
gelesen von Barbara Nüsse, Lisa Wagner, Patrick Heyn, Wolf-Dietrich Sprenger, Cornelia Dörr

New Hampshire, USA: In einer Selbsthilfegruppe lernt die junge Bäckerin Sage den viel älteren Josef kennen. Obwohl sie sonst Menschen gerne aus dem Weg geht und sich viel lieber wegen ihrer großen Narbe im Gesicht in ihrer Backstube versteckt, entspinnt ganz langsam eine Art Freundschaft zwischen dem ungleichen Paar.
Doch dann richtet Josef eine ungewöhnliche Bitte an Sage; sie soll ihm bei seinem Suizid Sterbehilfe leisten. Er sei im Dritten Reich ein gefürchteter Nazi gewesen und wolle jetzt mit seinem Tod endlich Abbitte leisten. Sage wird klar, dass Josef sie nicht zufällig ausgesucht hat. Denn sie hat jüdische Wurzeln, ihre Großmutter ist damals im Konzentrationslager nur knapp dem Tod entkommen. Zutiefst verwirrt und unfähig eine Entscheidung zu treffen wendet sie sich an eine öffentliche Administration zur Verfolgung ehemaliger Kriegsverbrecher. Dort lernt sie den hebräisch stämmigen Leo Stein kennen. Mit ihm zusammen recherchiert sie Josef Webers unglaubliche Geschichte. Denn jetzt muss er seine Schuld statt seine Unschuld beweisen. So ist es in Amerika vorgeschrieben.

All diese Figuren lässt die Autorin Jodi Picoult zu Wort kommen und nimmt bei ihren Ausführungen kein Blatt vor den Mund. Abwechselnd, von verschiedenen Persönlichkeiten gesprochen, erzählt jede von ihnen ihre eigene Lebensgeschichte. Stellvertretend für all die Opfer, die Täter, die Angehörigen nächster Generationen und die Verfolger bekommt jeder eine Stimme. Fragen nach Schuld und Reue, Menschlichkeit und Vergebung, und nach Rache und Erlösung stehen damit im Mittelpunkt dieses Romans.

Die unterschiedlichen Stimmen und Lesarten machen das Hörbuch zwar unglaublich lebendig. Dennoch gehören die beiden weiblichen Stimmen zum größten Kritikpunkt. Eine der beiden ist schlicht unangenehm anzuhören, hart und emotionslos im Ausdruck und die zweite Vorleserin erzählt die Geschichte ihrer Kindheit und die Zeit im Konzentrationslager als würde sie einem Kind ein Märchen vortragen, was angesichts des Themas nicht angebracht scheint.

Die überaus detailreichen Erzählungen der Gräueltaten im Dritten Reich können den sensiblen Lesern unter uns auch schnell einmal zu viel werden. Die 19 Stunden Lesedauer sind kein Spaziergang. Sie rütteln auf, machen betroffen, schließen Wissenslücken und sind gegen das Vergessen!


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Sonntag, 23. August 2015
T.C.Boyle:“ Hart auf hart“ Hörbuch
gesprochen von August Diehl

Bei einem Überfall auf einen Touristenbus in Puerto Rico wird einer der drei Täter von einem Mitreisenden mit einem gezielten Handgriff getötet. Stan, ein Ex Marine und pensionierter Schuldirektor, wird fortan als Held gefeiert. Zurück in seiner kleinen Heimatstadt in Kalifornien werden er und seine Frau von der Presse belagert, wildfremde Menschen schütteln ihm dankend die Hand und im Restaurant spendiert man ihnen Drinks. Stan wird diese zweifelhafte Berühmtheit bald zu viel, denn er hat ganz andere Probleme: seinen Sohn Adam.

Dieser, in seinem Verhalten schon immer auffällige junge Mann, wurde zeitlebens von einem Psychiater zum nächsten geschickt und therapiert. Jetzt hasst er nicht nur seinen Vater, sondern auch die Chinesen und vor allem die „Bullen“. Das gemeinsam hat er mit der etwas älteren Sara, die ebenfalls dem ganzen System rebellisch gegenübersteht. Sie beide verbindet eine leidenschaftliche Affäre.

Während Sara in seinem Haus wäscht und kocht und versucht ihr eigenes Leben in den Griff zu bekommen, streift Adam mit Tarnanzug, Rucksack und Gewehr durch die Wälder; wie sein einziges Idol Colter, der Abenteuerheld seiner Kindheit. Was für seinen Vater Stan in Vietnam grausige Wirklichkeit war, ist für Adam lediglich ein Spiel, in dem er imaginären Feind ausweicht und auf alles zielt, was sich bewegt. Er ist der Waldläufer Colter bis die ganze Situation eskaliert…

T.C.Boyle‘s Sprache ist so hart wie die Geschichte selbst. Er legt den Finger tief in die Wunde eines Amerikas, zu dessen berühmten 1000 Möglichkeiten auch diese zu gehören scheint, aufgrund seiner Waffengesetze schneller zum Mörder zu werden. Er zeigt außerdem, was Kriegseinsätze aus dem Charakter eines Menschen und deren Familien machen kann. Ein Roman, der ebenso fesselnd wie verstörend ist, einen während des Lesens, bzw. Hörens, mitreißt und danach nicht mehr loslässt. Ein großes Thema toll umgesetzt und noch dazu hervorragend vorgetragen von August Diehl.

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Dienstag, 7. Juli 2015
Samuel Bjoerk: „Engelskalt“ Hörbuch
gelesen von Dietmar Wunder

In einem Wald in der Nähe eines Dorfes unweit von Oslo wird eine Mädchenleiche gefunden. Aufgehängt an einen Baum mit einem Springseil. Am Nagel des kleinen Fingers steht die Zahl 1. Schnell wird klar, dies ist das Werk eines Serienmörders und es werden noch weitere Morde folgen.

Die Kriminalpolizei Oslo ruft augenblicklich eine Sondereinheit zusammen. Bestehend unter anderen aus dem etwas knorrigen Holger Munch, der geschiedene Ehemann, dessen ganze Liebe seiner Enkelin Marion gilt; der jungen Mia Krüger, die ihren Beruf wegen eines früheren Zwischenfalls an den Nagel hängen wollte und sich auf einer einsamen Schäreninsel gerade auf ihren Suizid vorbereitet und der Nerd Gabriel, ein bekannter Hacker, der sich nicht vorstellen konnte einmal für die Polizei zu arbeiten.

Schon bald wird das zweite Mädchen gefunden und auch Nummer drei und vier lassen nicht lange auf sich warten. Allen Opfern gleich ist die Tatsache, dass sie kurz vor der Einschulung stehen, man sie Puppen gleich mit einer Schuluniform bekleidet hat und die Leichen ein Schild um den Hals tragen mit der Aufschrift “ ich reise allein“. Die letzten beiden verschwinden innerhalb weniger Stunden. Als der Täter sich dann bei der Redaktion einer großen Osloer Zeitung meldet, überlässt der den Journalisten eine schwerwiegende Entscheidung.

Und dann wird der Fall plötzlich persönlich. Nicht nur die Familie von Holger Munch, sondern auch Mia Krüger geraten erheblich unter Druck. Die Ereignisse überschlagen sich, an mehreren Orte geschehen Dinge gleichzeitig und die Lage spitzt sich zu. Als Holger Munch schon glaubt, der Kreis schließe sich und bald sei alles vorüber,……..

Dieses Buch ist der Auftakt einer vielversprechenden Krimireihe des norwegischen Autors Samuel Bjoerk. Er führt den Leser ganz behutsam in die Geschichte ein, so wie seine Figuren in den Fall. Man wird Zeuge beim Aufbau einer neuen Ermittlergruppe, deren durchweg sympathischen Mitglieder bald zu einer gut funktionierenden Truppe zusammenwachsen. Jedem Protagonist in diesem Buch steht eine eigene Vita zugrunde, die jeden von ihnen glaubhaft beschreibt. Samuel Bjoerk lässt den Leser ganz dicht heran und macht ihn glauben, einer vom Team zu sein.

Die rasanten Perspektivenwechsel, die sich zum Ende in immer kürzeren Abschnitten finden, schaffen eine unglaubliche Spannung. Man ist mittendrin im Geschehen und glaubt man sich auf der richtigen Fährte, wird man eines Besseren belehrt. Vom ersten Satz an hat mich dieses Buch in Bann gezogen.

Allerdings würde ich jedem statt des Hörbuchs die Lektüre empfehlen, da die Lesart des Synchronsprechers Dietmar Wunder gewöhnungsbedürftig ist. Sie gleicht mehr einem Hörspiel denn einer Vorlesung.

Dieser knallharte Thriller sollte in keinem Urlaubsgepäck fehlen!

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Dienstag, 28. April 2015
Stephan Thome: „Gegenspiel“ Hörbuch
gelesen von Claudia Michelsen

In Stephan Thomes neuem Roman treffen wir die Protagonisten aus dem vorangegangenen Buch“ Fliehkräfte“ wieder: das Ehepaar Hartmut und Maria. In diesem widmete der Autor seine Aufmerksamkeit Hartmut. Dem zurückgelassenen Mann, dessen Frau sich nach langjähriger Ehe aus beruflichen Gründen für eine Fernbeziehung entscheidet. In „Gegenspiel“ lässt er nun Maria zu Wort kommen. Aus ihrer Sicht wird erzählt, wie sie in den siebziger Jahren ihr Heimatland Portugal und ihre streng katholische Familie verlässt. Eine Heimat, in der politische Unruhen nicht enden wollen. Schließlich geht sie nach Berlin und somit in ein Land, das keine Studiengebühren erhebt und in dem es für eine junge Frau möglich ist, sich selbstständig und unabhängig zu entwickeln.

Nach den wilden achtziger Jahren in der geteilten Stadt, in der sie den Grundstein ihrer beruflichen Zukunft legt, lernt Maria den egozentrischen Theaterregisseur Falk kennen, der auch später in ihrem Leben wieder eine Rolle spielen wird. Ihre angestrebte Unabhängigkeit verliert sie, als sie etwas später vom Freund einer Bekannten, Hartmut, schwanger wird und mit ihm ins Ruhrgebiet zieht. Überfordert mit dem frühen Muttersein flüchtet sie in eine kurze aber heftige Affäre. Als die Tochter erwachsen und Maria beruflich wieder auf eigenen Füßen steht, droht ihre Ehe zu zerrütten. Denn eines versäumen Maria und Hartmut in ihrer jahrzehntelangen Ehe: miteinander zu reden.

Das Buch beginnt mit einem handfesten Ehestreit, den sicher jeder, der in einer längeren Beziehung lebt, nachvollziehen kann. Augenscheinlich geht es um alltägliche Kleinigkeiten, in Wahrheit geht es um alles. Stephan Thome scheint zu wissen wovon er redet. Er weiß sich sprachlich auszudrücken, wählt immer die richtigen Worte und kann sich mühelos in die Seele einer Frau einfinden. Ein genialer Schachzug des Autors ist, eine ganz normale Liebes- und Lebensgeschichte zweier Menschen von beiden Seiten zu beleuchten. Wie im richtigen Leben, in dem jede Medaille ihre zwei Seiten hat.

Trotz einer deprimierenden und frustrierenden Geschichte, teilweise langatmigen Gesprächen der Figuren und des Umherspringen in den verschiedenen Zeitebenen ist es Stephan Thome ein zweites Mal gelungen, mich in seinen Bann zu ziehen. Das gelungene Vorlesen der Schauspielerin Claudia Michelsen ist ein weiterer Pluspunkt dieses Hörbuches.


Rezension „Fliehkräfte“:
http://buchlesetipp.blogger.de/stories/2241690

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Donnerstag, 16. Oktober 2014
Louis Begley: „Erinnerungen an eine Ehe“ Hörbuch
gelesen von Christian Brückner


Phillip, ein in die Jahre gekommener Romancier, trifft im New Yorker Central Park auf Lucy, eine alte Bekannte. Er selbst ist noch nicht über den tragischen Tod seiner Ehefrau Bella hinweg, und weil er sich gut an die lebenslustige Art Lucys erinnern kann, lässt er sich wiederstrebend auf diverse Treffen mit ihr ein. Doch bald schon muss er feststellen, dass Lucy eine andere geworden ist. Sie ist verbittert, enttäuscht und scheint ihren Humor gänzlich verloren zu haben.

Aus lockeren Plaudereien über alte Zeiten, die Phillip schmerzlich mit den vergangenen Jahren konfrontiert, entspinnt Lucy eine Erzählung und erinnert sich an ihre eigene Ehe mit Tom. Schon mehr als zwanzig Jahre sind sie getrennt und Tom ist vor einiger Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er, Tom, ein unscheinbarer Mann aus der Unterschicht habe sie, vermögend aus gutem Hause ausgenutzt. Er habe sich in die gehobene Gesellschaft einführen lassen und sie als Trittbrett für den eigenen finanziellen Aufstieg gebraucht. Betrogen habe er sie und sie dann später, als erfolgreicher Finanzier, verlassen. Sie redet sich derart in Rage, dass es Phillip mehr als unangenehm ist. Sie wird zunehmend emotional und in ihrem Ausdruck bisweilen ausufernd. Sie wirkt frustriert, empört und alleingelassen. Sie gibt sich als Opfer einer Ehe mit einem Mann, der sie lediglich ausgenutzt und getäuscht habe. Phillip werden diese Besuche mehr und mehr unerträglich.

Jedoch ist eine Erinnerung immer subjektiv, betrachtet man sie nur von einer Seite. Also beschließt Phillip auch alte Bekannte des Ehepaars und gemeinsame Freunde anzuhören und über die Ehe zu befragen, um sich ein genaueres Bild machen zu können. Daraus ergibt sich ein ganz anderes Bild. Aus anderen Blickwinkeln erzählt scheint auch Tom ein Opfer gewesen zu sein. Gerade an seinem aktuellen Roman schreibend beschließt Phillip bald aus diesen Berichten einen eigenen Roman zu machen.

Wer könnte diese intelligent und intellektuell erzählte Geschichte besser schreiben als der Autor Louis Begley. In langen verschachtelten Sätzen erzählt Begley eindringlich und sensibel. Und wer könnte den Ich-Erzähler besser repräsentieren als Christian Brückner mit seiner dunklen Stimme und seinem langsamen, akzentuierten Ausdruck. Der Roman lässt sich allerdings nicht einfach “nebenher“ hören, sondern kostet einiges an Konzentration. Begleys Sprache hat es in sich!

Für Leser, die intelligentes Geplauder, Anspruch und Tiefgang nicht scheuen ein überaus empfehlenswertes Hörbuch, dass mit Sicherheit als Buch gelesen noch mehr Spaß gemacht hätte.

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Mittwoch, 13. August 2014
Donna Tartt „Der Distelfink“ Hörbuch
gelesen von Matthias Koeberlin

Bei einem Bombenanschlag auf das Metropolitan Museum of Art in New York wird die Mutter des dreizehnjährige Theodor Decker tödlich verletzt. Der Junge trägt schwer an diesem Verlust, versucht es sich jedoch nicht anmerken zu lassen. Theodors Leben wird sich von nun an grundlegend ändern. Er wird aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, und zunächst nimmt ihn die Familie eines Freunds auf.

Doch bevor Theo selbst das Museum, es liegt in Schutt und Asche, unverletzt verlassen kann, gibt ihm ein sterbender alter Mann einen Siegelring und bittet ihn, diesen zu einer bestimmten Adresse in Manhattan zu bringen. Der Bestimmungsort des Ringes erweist sich als Antiquitätenladen, der Inhaber als Möbelrestaurator und Kompagnon des Verstorbenen aus dem Museum. Howie, wie er sich Theo vorstellt, wird später in der Geschichte zu einem väterlichen Freund. Als plötzlich Theos Vater, der die Familie verlassen hatte, ihn nach Las Vegas holt glaubt er, New York für immer verlassen zu müssen. Was bis dahin keiner ahnt (nur der Leser weiß es), dass Theodor Decker ein wertvolles Gemälde aus den Trümmern des Museums entwendet hat: „Der Distelfink“.

In Las Vegas lernt er den russisch stämmigen Boris kennen. Obwohl Boris sich nicht immer an Gesetze hält und mit Drogen zu tun hat, wird er zum besten Freund und Vertrauten. Theodor, der anfangs schüchterne Junge, wird zunehmend in Betrügereien verwickelt. Als später sein Vater ums Leben kommt, kehrt Theodor noch nicht volljährig nach New York zurück. Er ist ein anderer Mensch geworden, er hat sich entwickelt. Einsam und elternlos streunt er durch die Stadt. Trost gibt ihm das Wissen, dass das Bild immer bei ihm sein wird. Dieser Besitz soll für immer sein Geheimnis bleiben. Eine bleibende Erinnerung an seine Vergangenheit.

Die Geschichte, die Theodor selbst erzählt, ist ungeheuerlich; sie läuft vor dem inneren Auge wie ein Film ab. Donna Tartt zeigt viel Liebe zum Detail und ihren Figuren; sensibel und empathisch. Sie lässt mit ihrer Sprache die Geschichte so lebendig werden, dass man glaubt, mittendrin zu sein. In der Erzählweise liegt eine gewisse Langsamkeit, Zähigkeit (das Hörbuch dauert schließlich 33 Stunden), die die Intensität der Geschichte zusätzlich verstärkt. Der Leser bleibt ganz nah beim Protagonisten und erlebt so nahezu die gesamte Zeit des Heranwachsens mit ihm. Wir erfahren viel über die Menschen, über das Leben, aber vor allem auch über die Kunst, über Malerei. Trotz aller Gaunereien und kriminellen Machenschaften, Fehler und Unzulänglichkeiten bleiben die Personen immer sympathisch; der Leser auf deren Seite.

Donna Tartt legt einer ihrer Figuren die Worte in den Mund, die das Hauptthema beschreiben: Was ist gut oder böse? Ist es immer so klar zu unterscheiden? Was geschieht aus Verzweiflung, aus Angst, aus Liebe? Wieviel ist Schicksal, wieviel ist eigenes Zutun? Die Autorin lässt gekonnt die Grenzen dessen verschmelzen.

Matthias Koeberlin ist ein Gewinn für dieses Hörbuch. Er gibt allen Figuren eine eigene Sprache, schlüpft in jede Rolle. In Köberleins Stimme und Ausdruck spiegelt sich die schleichende Entwicklung des Protagonisten Theodore Decker über Jahre hinweg. Eine Meisterleistung! Etwas Geduld für die Geschichte sollte man aber mitbringen, denn das kann ich versprechen: am Ende fügt sich alles zu einem herausragenden Roman.

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Mittwoch, 14. Mai 2014
Graeme Simsion „Das Rosie Projekt“
gelesen von Robert Stadlober

Don Tilman, der ich Erzähler in diesem heiteren Roman, ist Genetiker und Universitätsprofessor in Australien. Sein Umfeld empfindet ihn als merkwürdig und eigenartig. Und tatsächlich verhält sich Don nicht normal im eigentlichen Sinne, denn er hat das Asperger Syndrom, eine leichte Form des Autismus. Das führt dazu, dass er Gefühle nicht nur nicht empfinden kann, sondern auch bei anderen nicht deuten kann, also vollkommen emotions- und empathielos ist. Außerdem fällt es Don schwer mit Ironie und Humor umzugehen. Sein Leben funktioniert lediglich nach einem bestimmten Schema. Und so hat sich der Vierzigjährige in seinem Leben gut eingerichtet. Jeder Schritt und jede Handlung sind minutiös geplant. Ein Tag verläuft wie der andere. Ein guter Tag ist einer, an dem er in seinem strikten Vorhaben nicht gestört wird. Aber eines fehlt in seinem Leben: eine Frau. Und weil Don die Formen der sozialen Interaktion so gar nicht beherrscht, entwirft er einen mehrseitigen Fragebogen für potentielle Bewerberinnen. Wer ihm am ähnlichsten ist und so die meisten Punkte aufweist, so denkt er, wird die richtige sein. Wissenschaftlich und strukturiert geht er an diese Sache heran und nennt sie sein Ehefrauen-Projekt.

Als plötzlich Rosie in sein Leben schlittert und ihn um Hilfe bei der Suche nach ihrem Vater bittet stellt er sein eigenes Projekt zunächst in den Hintergrund und widmet sich ganz dem Vaterschafts-Projekt. Obwohl Rosie als rauchende Vegetarierin, völlig chaotisch, unordentlich und strukturlos, nicht als Partnerin in Betracht kommt wird Don allmählich klar, dass es für ihn nur noch ein Projekt gibt: das Rosie-Projekt.

Dieser Roman von Graeme Simsion ist keineswegs hohe Literatur, aber ungemein unterhaltsam und kurzweilig. Auf liebvolle Art nimmt er den Leser mit in die Gedankenwelt eines Asperger Patienten. Die pragmatische Art des Protagonisten reicht von nerv tötend bis witzig, von mitleiderregend bis liebenswürdig. Stadlobers schnelle, deutliche Ausdrucksweise macht dieses Hörbuch zum Erlebnis.

Ein starkes Plädoyer fürs Anderssein!

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Dienstag, 18. Februar 2014
Uwe Timm „Vogelweide“ Hörbuch
gelesen von Burghart Klaußner

Auf eine einsame, unter Naturschutz stehende, Nordseeinsel hat es Eschenbach verschlagen. Von der Außenwelt nahezu abgeschnitten beobachtet er Vögel, die Gezeiten, das Wetter und vieles mehr für die Naturschutzbehörde. Eine Aufgabe, in der der Mittfünfziger völlig aufzugehen scheint. Bei Wind und Wetter streift er über die Insel, studiert das Verhalten der Vögel und sammelt Strandgut, auch Müll, um alles später in sein Inseltagebuch einzutragen. Einzig die Geister seiner Vergangenheit begleiten den Gestrandeten auf seinen Streifzügen.

Als Anna ihren Besuch bei ihm ankündigt, will Eschenbach nicht so recht zusagen, denn Anna ist einer dieser Geister. Und mehr und mehr, während er auf deren Ankunft wartet, erinnert er sich an Geschehenes, an sein Scheitern im Beruf, den zwischenmenschlichen Verfehlungen und den Wirren von Liebe und Lust. Bereits Monate zuvor, Eschenbach noch erfolgreicher Geschäftsmann und ehemals studierter Theologe, trifft er zum ersten Mal auf Anna. Damals sind sie noch zu viert. Beide haben eine Beziehung, Anna Familie, und obwohl, wie sie später immer wieder behaupten, ihnen es an nichts fehlt, können sie bald nicht mehr ohne einander. Ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel entsteht zwischen den beiden Paaren. Bald wird Anna klar, dass diese Affäre viel mehr zerstört als gedacht, also gibt es für sie nur den einen Ausweg. Und dann ist nichts mehr so wie vorher. Später in der Geschichte treffen sich beide auf Eschenbach‘s Insel, seiner „Vogelweide“, wieder.

Keine sonderlich spektakuläre Liebesgeschichte, aber sie besticht durch die enorme Sprachgewandtheit Uwe Timms. Er ist ein akribischer Beobachter von Natur und Mensch und erzeugt außerordentlich schöne Bilder mit seinen Worten. Er lässt seine Figuren allesamt sehr glaubhaft agieren, lässt sie menschlich und bedacht sein, aber ebenso ungezügelt und impulsiv. Den Philosophen in sich kann Uwe Timm nicht verbergen. So ergibt er sich in zeitweises, nicht enden wollendes Monologisieren und Schwafeln, was für den Roman und die Geduld des Lesers nicht immer förderlich ist. Aber scherzhaft kann er auch, denn sein Protagonist Eschenbach umschreibt die Menschen in seinem Umfeld oftmals mit witzigen Namensgebungen: „Halsketten-Harald“, die „weichbusige Selma“, die „Nase“ oder „Nix-für-Ungut“.

Dennoch handelt es sich um einen tiefsinnigen, anspruchsvollen Roman über Liebe, Lust und die Irrwege und Fehler des Menschen. Kurzweilig und von meinem Lieblingsvorleser Burghart Klaußner mit so viel Engagement und Enthusiasmus vorgetragen, dass man ihm noch stundenlang lauschen möchte.

Klaußner und Timm sind ein Dream-Team!


http://www.uwe-timm.com/fs_bio.htm
http://www.kiwi-verlag.de/autor/uwe-timm/107

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Dienstag, 10. Dezember 2013
Tom Rob Smith „Ohne jeden Zweifel“ Hörbuch
gelesen von Beate Himmelstoß und Friedrich Mücke

Schon lange träumt Tilda von einem Hof in ihrer früheren Heimat Schweden. Mit fünfzehn hat sie ihr Zuhause verlassen. Jetzt lebt sie in London, ist verheiratet, der Sohn längst erwachsen. Endlich ist es so weit: mit ihrem Mann Chris erfüllt sie sich ihren Wunsch. In Südschweden kaufen sie einen abgelegenen Hof in der Nähe eines kleinen Ortes. Sie planen den Ausbau zum Ferienhof, um dort den Rest ihrer Tage gemeinsam zu verbringen. Sohn Daniel bleibt zurück.

Etwa ein Jahr ist vergangen, da erhält Daniel einen Anruf seines Vaters. Seine Mutter sei krank, habe den Verstand verloren und er, Chris, habe sie in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen. Noch bevor Daniel handeln kann, kündigt seine Mutter ihren Besuch in London an. Sie sei bereits auf dem Weg und würde verfolgt. Völlig ratlos, wie er mit dieser Situation umgehen soll, holt er wenig später seine Mutter vom Flughafen ab. Diese weiß ihm eine hanebüchene Geschichte zu erzählen und Daniel spürt, wie sehr er sich von seinen Eltern und deren Leben entfernt hat. Und schnell steht fest, dass nicht nur er ein Geheimnis zu haben scheint. Mit Tagebucheintragungen und Beweismittel ausgestattet, berichtet Tilda von einer Verschwörung, in die auch ihr Mann Chris involviert sei. Daniel ist sichtlich verwirrt, erklärt sich aber bereit, Tildas Ausführungen gut zuzuhören und erst am Schluss zu bewerten. Als Tage später auch Chris, im Schlepptau einen Psychiater, in London eintrifft, gerät Daniel immens in Bedrängnis.

Der Leser steht wie der Sohn selbst zwischen den Fronten. Man weiß nicht, wem man glauben und trauen kann. Im einen Moment scheint Tildas Geschichte plausibel, im nächsten zweifelt man. Ein Konflikt, den man mit dem Protagonisten teilt. Die Eindrücke beider Erzähler sind in der Ich-Perspektive widergegeben, so dass man als Hörer ganz nah an der Person ist, die gerade spricht. Und das ist mal Friedrich Mücke als Daniel und mal Beate Himmelstoß als seine Mutter. Ersterer verkörpert die Zerrissenheit des Sohnes, zwischen den Versionen seiner Eltern entscheiden zu müssen, die Zweifel, wer von ihnen Tatsachen widergibt. In der ruhigen, konzentrierten Leseweise Beate Himmelstoß‘ liegt die ganze Bedrohung und Not Tildas. Tiefer und tiefer taucht man in die Ereignisse, die sich laut Daniels Mutter in Schweden zugetragen haben. Es könnte sich um die Wahrheit handeln, die sich grausig ausmacht oder aber reine Spekulationen und Mutmaßungen sein, die einer kranken Psyche entspringen.

Tom Rob Smith schafft es eine derart hohe Spannung zu halten, wie ich es selten erlebt habe.Ein Krimi der Extraklasse!

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Mittwoch, 16. Oktober 2013
Joachim Meyerhoff „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“ Hörbuch
gesprochen von Joachim Meyerhoff

Schon in den 80er Jahren gab es für deutsche Schüler die Möglichkeit ein Auslandsschuljahr zu absolvieren. So auch der Protagonist dieses Romans. Joachim, der Ich-Erzähler, wächst in behüteten Verhältnissen auf. In der Nähe von Hamburg verbringt der Sohn eines angesehenen Arztes mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern seine Kindheit. Er wird geradezu mit Liebe überschüttet. Und obwohl er gerade mit seiner ersten Freundin glücklich ist, treibt es ihn um. Im Alter von 17 hat er nur noch den Wunsch auszubrechen aus seinen zu engen Fesseln; er will für ein Jahr nach Amerika.

Nach bestandener Aufnahmeprüfung steht bald fest: man schickt ihn nach Laramie, Wyoming! Nicht gerade der Ort, den sich der hoffnungsvolle Jugendliche erträumt hatte. Doch gegen jede Erwartung und trotz einiger Hindernisse schafft es Joachim in die heiß begehrte Basketball-Mannschaft der Highschool. Zwischendurch erinnert er sich an Begebenheiten aus seiner Kindheit und so lernt der Leser, bzw Hörer seinen Protagonisten immer näher kennen. Bald merkt man, dass hinter dem heiteren, witzigen Geschichtenerzähler ein ganz anderer zu stecken scheint. Einer, der die Dinge hinterfragt, der ohne die bedingungslose erdrückende Liebe seiner Familie auf eigenen Füßen stehen kann und das Leben für sich entdeckt. Das gestaltet sich nicht immer einfach.

Man kann annehmen, dass Joachim Meyerhoff in diesem Buch seine eigene Geschichte erzählt. Und das tut er unglaublich engagiert, witzig, hintergründig und spaßig. Schon nach einer viertel Stunde liefen mir die Tränen vor Lachen. Was man zu Beginn noch als Aneinanderreihung von Anekdötchen halten könnte, entwickelt sich zur einer ernsthaften Geschichte. Einer Geschichte über das zum Teil schambesetzte und komplizierte Erwachsenwerden eines normalen Jungen. Mit allem, was ein Leben dazu bereithält.

Wenn, wie hier, der Autor des Romans das Hörbuch selbst einliest, entsteht meiner Meinung nach immer etwas ganz besonderes. Denn wer, wenn nicht er, weiß das Geschriebene so genau auszudrücken. Als Schauspieler weiß Joachim Meyerhoff natürlich auch einiges über die Wichtigkeit des Vortrages. Und so gleicht das Hörbuch einem Theaterstück: in überdeutlichen Worten, detailbesessen und in bildlicher Sprache liest er diesen Roman.


Sehr gelungen, unterhaltsam und mit viel Witz!

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