Dienstag, 2. Dezember 2014
Verena Güntner: „Es bringen“
In ihrem Debütroman schlüpft die Autorin Verena Güntner in die Rolle des sechzehnjährigen Luis. Luis ist ein cooler Typ, der zweite Chef in seiner Gang. Der erste ist Milan, sein bester Freund. Beide verdienen sich Ihr Geld, indem sie innerhalb der Clique Wetten abschließen; „Fickwetten“ genannt. Es geht darum, dass Luis so viele Mädchen wie möglich „flachlegt“. Er selbst gibt sich ausgebufft und cool, er ist ein „Bringer“, was ihm die Mädchen, die er regelmäßig beglückt, bestätigen.

Doch nach seinen eigenen Aussagen, leidet er manchmal an Coolheitsausfällen und dann träumt er von seiner Traumfrau, die so sein muss wie seine Ma‘, oder er streichelt das Pony des Nachbarn, was er natürlich niemandem erzählt, sonst kann das „ja auch schwul und weicheimäßig rüberkommen“. (Zitat)

Er lebt nach Regeln und Ritualen, trainiert sich selbst, um Macht und Kontrolle über sich und andere zu erlangen. Er ist Trainer und Mannschaft in einer Person. Und so scheint er alles im Griff zu haben. Wenn es jedoch „im Oberstübchen einmal brenzlig wird“, dann gibt Luis sich selbst einen Hinterkopfklaps. Der Junge wirkt wie eine tickende Zeitbombe. Er kämpft sich durch seine Gefühlswelt und versucht sich und anderen, vor allem seinem besten Freund Milan, seine Stärke zu beweisen. Als Milan etwas für Luis Unvorstellbares tut, gerät die Sache bald außer Kontrolle und es kommt zum Äußersten. Wut und Unbehagen entladen sich mit einer nie zuvor erlebten Brutalität.

Die Autorin lässt den Leser die Diskrepanz zwischen dem Sich-unter-Kontrolle-haben des Pubertierenden und der Eigenverantwortung des Erwachsenen deutlich spüren. Sie bedient sich einer Sprache, wie man sie selten in Büchern liest, des Jargons eines sechzehnjährigen Jungen; der Sprache eines Jugendlichen, der mit seinem ganzen Dasein überfordert scheint. Der Leser wird Zeuge von Luis’ Innenleben und ist so dicht am Protagonisten, dass es schon manchmal unangenehm wird. Die Vulgarität und Rohheit der Sprache lässt einen manchmal schaudern. Die Schilderungen Luis reichen von herzzerreißend bis ekelerregend und abstoßend.

Diesen Roman liest man nicht nur, sondern man fühlt ihn, man lebt mit. Danach muss man sich erstmal erholen. Was Verena Güntner hier gelungen ist, ist wirklich einzigartig. Ein außergewöhnlicher Roman über die Schwere des Erwachsenwerdens und der Selbstfindung.

Eines der wenigen Bücher dieses Jahres, das mich stark emotional berührt hat.

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Montag, 17. November 2014
Drüber gelesen: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“
Ein kleiner Münchner Zeitschriftenverlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, das deutschsprachige Gedicht, bzw. die deutschsprachige Lyrik, vor dem Aussterben zu bewahren. Das tut er, indem er unter anderem jungen Autoren und solchen die es werden wollen, eine Plattform bietet, ihre selbstverfassten Gedichte zu veröffentlichen und beurteilen zu lassen.

Über seine Homepage bietet der Verlag Fernstudien in literarischem Schreiben an, Informationen über namhafte Autoren, deren Schaffen, Werk, Geburts- bzw. Todestag und außerdem können Interessierte an einem wöchentlichen Poetry-Slam oder dem jährlichen Gedichte-Wettbewerb teilnehmen. Jeder, der schon einmal ein Gedicht geschrieben hat, kann dies einreichen und auf Wunsch ein Gutachten erhalten. Ab Januar eines jeden neuen Jahres kann man seine Gedichte online einreichen. Ich selbst habe dies jetzt schon einige Male getan. Gegen einen kleinen Unkostenbeitrag ist es möglich, ein Basisgutachten bzw. ein ausführliches Gutachten zu erhalten. Dies bildet die Möglichkeit einer guten und ehrlichen Rückmeldung über die eigene Arbeit.

Das Gedicht wird, wie ich direkt bei dem Realis Verlag erfahren konnte, von Lektoren gelesen und beurteilt und an eine Schar von Juroren, die sich aus Schriftstellern, Autoren, Germanisten und Uni-Professoren zusammensetzt, bewertet.

Ich habe mich bisher immer für das kleine Basisgutachten entschieden, das bis vor einigen Jahren noch kostenlos war. Für diese fachlich kompetente Rückmeldung bin ich außerordentlich dankbar. Denn sie zeigt, was ich am Schreiben noch verbessern kann und was beim Leser Zustimmung findet. Die Gutachten sind freundlich formuliert, in ihrer Aussage sehr ehrlich und kritisieren konstruktiv. Nicht immer darf man auf ein positives Ergebnis hoffen. Entscheidet sich die Jury für das Gedicht, dann heißt das, dass es in der jährlichen Anthologie, die der Verlag herausbringt, veröffentlicht wird.


Für mehr Info:
http://www.gedichte-bibliothek.de

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Dienstag, 28. Oktober 2014
Jonathan Tropper: „Der Sound meines Lebens“
Das etwas heruntergekommene Motel, mit dem unpassenden Namen „Versailles“, ist zum Sammelplatz am Leben gescheiterter Existenzen geworden. Sie alle sind Loser, meist männlich und führen ein trauriges Leben. Von Ihren Frauen geschieden, ihren Familien verlassen, bedauern sie sich gegenseitig und lecken ihre Wunden. Beklagen sich darüber, dass ihre Ex-Frauen mit Hilfe ihrer finanziellen Unterstützung in ihren schicken Vorstadthäusern leben und die gemeinsamen Kinder in schicken Autos zur Schule bringen. Sie alle halten sich für „coole Jungs“ und benehmen sich entsprechend, mit frivolen Sprüchen und Machogehabe.

So auch Drew Silver, genannt Silver, Ende 40, ehemaliger Rockstar, dessen Leben aus den Fugen und sein Körper aus der Form geraten ist. Sein Geld verdient er mit der wöchentlichen Spende seines Samens bei einer medizinischen Studie. Silver ist zunehmend desillusioniert und depressiv und hat keinerlei Erwartungen mehr ans Leben. Bis zu dem Tag, an dem seine achtzehnjährige Tochter, die ihn bisher gemieden hat, ihm mitteilt, dass sie schwanger ist. Kurz darauf bekommt Silver die Diagnose „Aortenaneurysma“. Gegen jede Empfehlung jedoch lehnt er eine Operation ab. Nicht, dass er sterben wollte, „er weiß bloß nicht, ob er Leben will“ (Zitat Seite 101). Und genau diese Entscheidung, die niemand so recht nachvollziehen kann, bringt allerlei Veränderungen bei den Menschen in seinem Umfeld mit sich und bei ihm selbst. Allem voran seine neue Offenheit, Dinge, die er denkt, plötzlich laut auszusprechen.

Der in New York geborene Autor Jonathan Tropper beschäftigt sich in diesem Roman nicht zum ersten Mal mit dem Thema Sterben. Doch trotz der Schwere und Tiefe der Handlung bleibt der Autor zuversichtlich. Außerdem lässt er tief in die Seele des Mannes im Allgemeinen blicken und zeigt, dass in den harten Kerlen, die seine Figuren alle sein wollen, weiche Kerne stecken. Allesamt sind sie liebenswert, insbesondere der Protagonist.

Troppers Sprache ist jung und spritzig. Die Sätze einfach, aber schön. Der Text mutet manchmal etwas umgangssprachlich an, was auch der Übersetzung geschuldet sein könnte. Der Roman ist ab und an etwas rührselig, garantiert aber gute Unterhaltung. Der Autor verzichtet letztendlich auf ein zu kitschiges Happy End.

Ohne den Witz und den zynisch, selbstkritischen Blick auf die Spezies Mann, könnte man Jonathan Tropper als männliche Antwort auf Cecilia Ahern verstehen!

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Donnerstag, 16. Oktober 2014
Louis Begley: „Erinnerungen an eine Ehe“ Hörbuch
gelesen von Christian Brückner


Phillip, ein in die Jahre gekommener Romancier, trifft im New Yorker Central Park auf Lucy, eine alte Bekannte. Er selbst ist noch nicht über den tragischen Tod seiner Ehefrau Bella hinweg, und weil er sich gut an die lebenslustige Art Lucys erinnern kann, lässt er sich wiederstrebend auf diverse Treffen mit ihr ein. Doch bald schon muss er feststellen, dass Lucy eine andere geworden ist. Sie ist verbittert, enttäuscht und scheint ihren Humor gänzlich verloren zu haben.

Aus lockeren Plaudereien über alte Zeiten, die Phillip schmerzlich mit den vergangenen Jahren konfrontiert, entspinnt Lucy eine Erzählung und erinnert sich an ihre eigene Ehe mit Tom. Schon mehr als zwanzig Jahre sind sie getrennt und Tom ist vor einiger Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er, Tom, ein unscheinbarer Mann aus der Unterschicht habe sie, vermögend aus gutem Hause ausgenutzt. Er habe sich in die gehobene Gesellschaft einführen lassen und sie als Trittbrett für den eigenen finanziellen Aufstieg gebraucht. Betrogen habe er sie und sie dann später, als erfolgreicher Finanzier, verlassen. Sie redet sich derart in Rage, dass es Phillip mehr als unangenehm ist. Sie wird zunehmend emotional und in ihrem Ausdruck bisweilen ausufernd. Sie wirkt frustriert, empört und alleingelassen. Sie gibt sich als Opfer einer Ehe mit einem Mann, der sie lediglich ausgenutzt und getäuscht habe. Phillip werden diese Besuche mehr und mehr unerträglich.

Jedoch ist eine Erinnerung immer subjektiv, betrachtet man sie nur von einer Seite. Also beschließt Phillip auch alte Bekannte des Ehepaars und gemeinsame Freunde anzuhören und über die Ehe zu befragen, um sich ein genaueres Bild machen zu können. Daraus ergibt sich ein ganz anderes Bild. Aus anderen Blickwinkeln erzählt scheint auch Tom ein Opfer gewesen zu sein. Gerade an seinem aktuellen Roman schreibend beschließt Phillip bald aus diesen Berichten einen eigenen Roman zu machen.

Wer könnte diese intelligent und intellektuell erzählte Geschichte besser schreiben als der Autor Louis Begley. In langen verschachtelten Sätzen erzählt Begley eindringlich und sensibel. Und wer könnte den Ich-Erzähler besser repräsentieren als Christian Brückner mit seiner dunklen Stimme und seinem langsamen, akzentuierten Ausdruck. Der Roman lässt sich allerdings nicht einfach “nebenher“ hören, sondern kostet einiges an Konzentration. Begleys Sprache hat es in sich!

Für Leser, die intelligentes Geplauder, Anspruch und Tiefgang nicht scheuen ein überaus empfehlenswertes Hörbuch, dass mit Sicherheit als Buch gelesen noch mehr Spaß gemacht hätte.

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Freitag, 10. Oktober 2014
Frankfurter Buchmesse 2014
Unglaublich, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist. Die diesjährige Buchmesse ist bereits in vollem Gange, die Entscheidung über den Buchpreis 2014 gefallen, der Gewinner ist Lutz Seiler mit seinem Roman „Kruso“ und der Literatur Nobelpreis geht nach Frankreich. Gastland in diesem Jahr: Finnland. Da drängt sich mir der Gedanke auf, dass unsere Gäste aus dem Norden nicht nur ihre Literatur, sondern auch das Wetter mitgebracht haben. Aber Gerüchten zufolge wirkt sich die nostalgische Stimmung auf die Kreativität des Schreibens aus.

So haben sich auch hierzulande viele Autoren (und solche die es zu sein glauben) beeilt, ihre Werke rechtzeitig auf den Markt zu bringen. Die Krimi Autorin Charlotte Link zum Beispiel - vielleicht, weil ihr kein Krimi einfallen wollte - veröffentlicht ihr neuestes Buch zum Krebstod ihrer Schwester. Hape Kerkeling - vielleicht, weil er seine Kasse füllen muss - besinnt sich des Freitods seiner Mutter. Auch der Friseur Christoph Waltz findet mit seinem Buch einen Platz in den Regalen der Buchmesse. Er weiß zu erzählen - vielleicht, weil er dringend mehr Aufmerksamkeit benötigt - WELCHE Promis er WIE verföhnt hat. So scheint doch wieder für jeden etwas dabei zu sein.

Uns als Leser bleibt nun wieder die Herausforderung aus den unübersichtlichen Mengen der Neuerscheinungen, die auch die Belletristik zu bieten hat, das Interessanteste und Beste herauszufischen.

Mein Tipp: Augen auf bei der Bücherwahl!

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Donnerstag, 18. September 2014
Von gehört: „Druckfrisch“
Vor einer Woche war es endlich soweit: Denis Scheck, Literarturkritiker und Moderator der Sendung „Druckfrisch“ war aus seiner wohlverdienten Sommerpause zurück. Frisch und ausgeruht, wie es schien, machte er sich wieder über die Neuerscheinungen des Herbstes her. Zunächst stellte er wie in jeder seiner Sendungen ein paar außergewöhnliche neue Romane vor, nicht ohne die Autoren mit guten und intelligenten Fragen zu interviewen. Diese Interviews finden stets im Herkunftsland des Autors und dann noch an außergewöhnlichen Orten und Plätzen statt, die in irgendeiner Verbindung zum Buchinhalt stehen. So kann es mal ein Weinkeller sein oder ein Foyer eines großen Gerichtsgebäudes, in einem Hinterhof einer Hochhaussiedlung oder eben auch mal inmitten einer Fußgängerzone.

Am Ende der halbstündigen Sendezeit beurteilt Denis Scheck die Bestsellerliste des „Spiegel“, mal Belletristik und mal Sachbuch, und wirft nicht nur sprichwörtlich das meiste davon in die „Tonne“. Denn tatsächlich lässt er nach einem strengen, sarkastischen Urteil Bücher, die nicht seinem Geschmack entsprechen, über ein Förderband geradewegs in den Abfall wandern. Und das unterscheidet ihn von anderen Büchersendungen, in denen zu viele Bücher in zu kurzer Zeit angepriesen werden, dass man schnell den Überblick verlieren kann. Dieser Kritiker scheint mehr Wert auf das „Nicht-Empfehlen“ zu legen, dessen Sinn sich einem erst im Laufe der Zeit erschließt.

Denis Scheck ist sicher nicht der Sympathieträger auf den ersten Blick, doch mittlerweile ist mir sein Witz, seine Ironie und durchaus kritische Meinung sehr ans Herz gewachsen. Die Art, wie er Bücher scharfzüngig und bissig rezensiert und Autoren kritisiert können schon mal unter die Gürtellinie gehen. So vergleicht er manchen Buchinhalt mit einem Song von „Modern Talking“ oder „Gammelfleisch“.

Diese Sendung ist aber keinesfalls nur spöttisch und ironisch, sondern, das was Denis Scheck dann letztendlich empfiehlt, das ist wirklich lesenswert. Denn nicht nur einmal bin ich seiner Empfehlung gefolgt und wurde nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil!

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Donnerstag, 28. August 2014
Andreas von Flotow „Tage zwischen gestern und heute“
Andreas von Flotow erzählt diesen Roman aus Sicht eines Mannes, der sich an zwanzig Jahre zurückliegende Ereignisse zu erinnern versucht; an eine Zeit, da war er 11 Jahre alt. Bei einem Anschlag kommt sein Vater durch dreizehn Schüsse ums Leben. Seine Mutter wird so schwer verletzt, dass sie ins Koma fällt. Die unterkühlte Großmutter, die er, für ihn aus unerfindlichen Gründen, „Tante Eve“ nennen muss, nimmt ihn bei sich auf. Von allen verlassen und seit jeher schon nicht gerade mit Aufmerksamkeit überschüttet, die Mutter eine berühmte Sängerin und ständig unterwegs, der Vater zurückgezogen in die Welt der Literatur, entwickelt der Junge eine Art Zwang, Dinge zu zählen und aufzuzählen, mal laut mal leise vor sich hin. So zum Beispiel die Liste der Bücher aus dem Nachlass seines Vaters. Was ihm von seiner Mutter bleibt, sind nur mehr die täglichen Besuche in der Klinik.

Schon im Vorwort und im ersten Satz des Romans „An dem Tag als meine Mutter starb, wachte ich früh auf“ (Zitat) nimmt der Autor die Pointe des Buches vorweg. Von da an spricht der Ich-Erzähler über seine Kindheit. Die Erinnerungen allerdings bleiben mal vage, mal scheinen sie geradewegs unkontrolliert aus ihm herauszusprudeln. Die Arbeit des Autors wirkt nicht aufgeschrieben, sondern wie ein stetiges Grübeln und Nachdenken, ein innerer Monolog. Der Erzähler versucht sich immer wieder zu erinnern, diese Erinnerungen zeitlich zu ordnen, was ihm, wie er auch selbst sagt, nur wenig gelingt. So entstehen Bruchstücke, die letztendlich doch ein Gesamtbild erkennen lassen. Die Geschichte des eigenartigen einsamen Jungen wird von fortwährendem Philosophieren über das Erinnern selbst etwas in den Hintergrund gerückt.

Trotz des tragischen Schicksals des Protagonisten bleibt der Leser außen vor, er wird lediglich Zeuge seiner Gedanken. Diese sind zwar einfühlsam widergegeben, haben mich persönlich aber emotional kaum berührt. Sprache und Stil sind außergewöhnlich und interessant; die dauernde Wiederholung des Wortes „Erinnerung“ in all seinen grammatikalischen Formen zermürbend.

Der Roman ist leider weniger poetisch als der Titel vermuten lässt!

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Mittwoch, 13. August 2014
Donna Tartt „Der Distelfink“ Hörbuch
gelesen von Matthias Koeberlin

Bei einem Bombenanschlag auf das Metropolitan Museum of Art in New York wird die Mutter des dreizehnjährige Theodor Decker tödlich verletzt. Der Junge trägt schwer an diesem Verlust, versucht es sich jedoch nicht anmerken zu lassen. Theodors Leben wird sich von nun an grundlegend ändern. Er wird aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, und zunächst nimmt ihn die Familie eines Freunds auf.

Doch bevor Theo selbst das Museum, es liegt in Schutt und Asche, unverletzt verlassen kann, gibt ihm ein sterbender alter Mann einen Siegelring und bittet ihn, diesen zu einer bestimmten Adresse in Manhattan zu bringen. Der Bestimmungsort des Ringes erweist sich als Antiquitätenladen, der Inhaber als Möbelrestaurator und Kompagnon des Verstorbenen aus dem Museum. Howie, wie er sich Theo vorstellt, wird später in der Geschichte zu einem väterlichen Freund. Als plötzlich Theos Vater, der die Familie verlassen hatte, ihn nach Las Vegas holt glaubt er, New York für immer verlassen zu müssen. Was bis dahin keiner ahnt (nur der Leser weiß es), dass Theodor Decker ein wertvolles Gemälde aus den Trümmern des Museums entwendet hat: „Der Distelfink“.

In Las Vegas lernt er den russisch stämmigen Boris kennen. Obwohl Boris sich nicht immer an Gesetze hält und mit Drogen zu tun hat, wird er zum besten Freund und Vertrauten. Theodor, der anfangs schüchterne Junge, wird zunehmend in Betrügereien verwickelt. Als später sein Vater ums Leben kommt, kehrt Theodor noch nicht volljährig nach New York zurück. Er ist ein anderer Mensch geworden, er hat sich entwickelt. Einsam und elternlos streunt er durch die Stadt. Trost gibt ihm das Wissen, dass das Bild immer bei ihm sein wird. Dieser Besitz soll für immer sein Geheimnis bleiben. Eine bleibende Erinnerung an seine Vergangenheit.

Die Geschichte, die Theodor selbst erzählt, ist ungeheuerlich; sie läuft vor dem inneren Auge wie ein Film ab. Donna Tartt zeigt viel Liebe zum Detail und ihren Figuren; sensibel und empathisch. Sie lässt mit ihrer Sprache die Geschichte so lebendig werden, dass man glaubt, mittendrin zu sein. In der Erzählweise liegt eine gewisse Langsamkeit, Zähigkeit (das Hörbuch dauert schließlich 33 Stunden), die die Intensität der Geschichte zusätzlich verstärkt. Der Leser bleibt ganz nah beim Protagonisten und erlebt so nahezu die gesamte Zeit des Heranwachsens mit ihm. Wir erfahren viel über die Menschen, über das Leben, aber vor allem auch über die Kunst, über Malerei. Trotz aller Gaunereien und kriminellen Machenschaften, Fehler und Unzulänglichkeiten bleiben die Personen immer sympathisch; der Leser auf deren Seite.

Donna Tartt legt einer ihrer Figuren die Worte in den Mund, die das Hauptthema beschreiben: Was ist gut oder böse? Ist es immer so klar zu unterscheiden? Was geschieht aus Verzweiflung, aus Angst, aus Liebe? Wieviel ist Schicksal, wieviel ist eigenes Zutun? Die Autorin lässt gekonnt die Grenzen dessen verschmelzen.

Matthias Koeberlin ist ein Gewinn für dieses Hörbuch. Er gibt allen Figuren eine eigene Sprache, schlüpft in jede Rolle. In Köberleins Stimme und Ausdruck spiegelt sich die schleichende Entwicklung des Protagonisten Theodore Decker über Jahre hinweg. Eine Meisterleistung! Etwas Geduld für die Geschichte sollte man aber mitbringen, denn das kann ich versprechen: am Ende fügt sich alles zu einem herausragenden Roman.

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Mittwoch, 30. Juli 2014
Paula Daly „Die Schuld einer Mutter“
Zwei Familien, zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können:
Lisa Kallister ist überfordert als Mutter dreier Kinder, ihrer Arbeit und einem Haushalt, in dem das Geld immer knapp ist. Kate dagegen scheint die perfekte Mutter, kümmert sich aufopferungsvoll um Kinder und Haushalt, ist immer geduldig und verständnisvoll.

Die Töchter der beiden sind befreundet. Kate’s Tochter Lucinda verschwindet an einem Tag, an dem sie eigentlich bei Lisa’s Tochter übernachten sollte. Weil vorher bereits ein Mädchen aus der Gegend verschwunden war, geht die Polizei davon aus, dass Lucinda Opfer des gleichen Täters geworden ist. Nicht nur Kate’s Familie gibt Lisa die Schuld an diesem Unglück, auch Lisa selbst macht sich schwerste Vorwürfe. Sie begibt sich eigenmächtig auf die Suche nach Lucinda, ohne zu ahnen, auf welchen geheimnisvollen Weg sie sich begibt.

Wir erfahren im Verlauf der Geschichte einiges über Lisa und Kate, über die Ehen der beiden, die Familien und ihre Beziehung zueinander. Die Figuren allerdings bleiben ohne charakterlichen Tiefgang und seltsam oberflächlich. Die „Schuld“ Lisa’s, der Ich-Erzählerin, am Geschehen ist nicht wirklich zwingend und nachvollziehbar.

Der Debutroman der englischen Autorin ist eher ein Familienroman als ein Psychothriller. Zu keiner Zeit kommt es zur „geradezu hypnotisierenden Spannung“ die auf dem Cover angekündigt wird. Die Geschichte selbst ist in vielen Teilen nicht ganz schlüssig und nimmt unerklärte absurde Wendungen.
Die Sprache schlicht und leicht zu lesen, es fehlt aber an Raffinesse und Ausdrucksstärke einer wortgewandten Autorin.

Das nächste Buch Paula Daly’s kann nur besser werden!

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