Freitag, 8. November 2013
Drüber gelacht: „Meister der komischen Kunst“
„Es war einmal ein Trauerkloß, der war nicht traurig, der trauerte bloß“ (Peter T. Schulz)

Zum Traurig sein blieb mir dieser Tage wenig Zeit, denn unvermittelt schneiten mir zwei Bände der „Meister der komischen Kunst“ ins Haus. Das begab sich an einem dunklen dunkeln Tag, und weil ich zum Lachen nicht gern in den Keller gehe, setzte ich mich gemütlich aufs Sofa und begann zu blättern. Und wurde nicht enttäuscht. Mit dieser Reihe werden deutsche Cartoonisten, Humoristen, Zeichner und Illustratoren gewürdigt. Sie stehen mit ihrem Namen oft im Hintergrund von bekannten Autoren wie Axel Hacke oder Robert Gernhardt. Letzterer illustrierte seine Werke oft selbst, arbeitete aber auch mit Künstlern wie F.W. Bernstein oder F.K. Waechter zusammen. Die Zeichnungen in Axel Hackes Werken sind oft von Michael Sowa, dem hier ebenfalls eine Ausgabe gewidmet ist. Diese besteht hauptsächlich aus Bildern, die so aussagekräftig sind, dass sie kaum einer Unterschrift bedürfen. Im zweiten Band zeigt Til Mette sein Können. Seine überaus witzigen Cartoons sind aus dem „Stern“ und etlichen Zeitschriften bekannt und meistens in schwarz-weiß gehalten. Til Mette erhielt den „Deutschen Cartoonpreis 2013“. Inmitten eines jeden Buches findet man ein Interview mit dem jeweiligen Künstler.

Für mich sind diese schönen Werke „Meister der komischen Kunst“ mehr als nur Bücher im herkömmlichen Sinn. Es sind Sammlerstücke von denen man, hat man eines, alle haben möchte. Die diesjährige Weihnachtswunschliste wird lang, fürchte ich.

Dank solcher Bücher und Romane, wie ich sie in letzter Zeit des Öfteren gelesen und gehört habe, werde ich wohl noch vor dem nächsten Frühjahr offiziell aus dem Club der Trauerklöße austreten können ;-))))

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Mittwoch, 30. Oktober 2013
Edward St. Aubyn „Am Abgrund“
So unterschiedlich die vielen Figuren in diesem Roman auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: sie alle sind auf der Suche. Auf der Suche nach dem spirituellen Führer, nach Erleuchtung, Gelassenheit, nach etwas Höherem oder eben einfach nach sich selbst. Und so kommt es, dass sich all diese Menschen Ende der 90ger Jahre im kalifornischen Esalen-Institut treffen, um Selbsterfahrungskurse oder Workshops zu besuchen. Unter ihnen auch die gutsituierte Brooks, die eine große Villa besitzt und mit ihrem Bekannten Kenneth anreist; im Schlepptau Adam, den Anti-Guru-Guru wie er sich selbst nennt, der seinem Geliebten Yves treu ergeben ist; Chrystal, die Unsichere; der Banker Peter, der eigentlich nur auf der Suche nach der deutschen Sabine ist, mit der er drei wundervolle Tage verbracht hat oder aber die Aromatherapeutin Haley, die sich von ihrem Freund Jason finanziell ausnehmen lässt. Auch Teil nehmen Stan und Karen. Ein schon etwas älteres Ehepaar, das hofft, beim sakralen Tanz ihrem müde gewordenen Liebesleben wieder auf die Sprünge zu helfen.

In diesen Wochen üben sich alle in Achtsamkeit und Gelassenheit, besuchen Kurse wie „Loslassen und Weitergehen“. Es wird sich geöffnet, nach dem inneren Kind geforscht und liebende Güte verströmt. Das alles und wie am Ende die Geschichte in einem Workshop für tantrische Sexualität endet, das beschreibt Edward St. Aubyn in diesem Roman.

Mit bösartigem Zynismus nimmt der englische Autor eine ganze Generation von Esoterikern auf die Schippe und das mit so viel Witz und schwarzem Humor, dass es eine Freude ist. Sprachlich überaus intelligent, muss man sich an den überzogenen Slang der Ironie allerdings etwas gewöhnen. Der Autor schwafelt gerne und lässt sich ungefiltert aus über Dinge und Menschen, von denen er mehr zu verstehen scheint, als er zugeben will. Aber dieses Schwafeln ist ungeheuer unterhaltsam. Die Unmenge an Protagonisten wirkt am Anfang verwirrend, es macht jedoch Spaß jeden Einzelnen von ihnen näher kennenzulernen, seine menschlichen Schwächen und Wünsche zu begreifen.

Wer sich ein wenig in der Psychologie des Menschen auskennt, wird mit diesem Buch so viel Spaß haben, dass er für diese Stunden seinen Daseinssinn einzig darin findet, diesen Roman zu lesen und den Ernst des Lebens für kurze Zeit zu belächeln!

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Dienstag, 22. Oktober 2013
Von gehört: Nach der Buchmesse ist vor der Buchmesse
Die Buchmesse 2013 ist vorbei, und wie Fußballfans nach einem Spiel bereits dem nächsten entgegenfiebern, können sich Leser jetzt schon auf die nächste Buchmesse freuen. Oder aber in den Neuheiten des Herbstes schwelgen. Ich muss zugeben, dass bei meiner diesjährigen Beschäftigung mit der Buchmesse nicht gerade viele für mich interessante Bücher übriggeblieben sind. Viele gute Neuerscheinungen hatte ich vorab schon gelesen und rezensiert. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass neben der Belletristik eine unglaubliche Menge an Sachbüchern und Biographien erschienen sind. Nicht dass ich diese nicht mögen würde, aber es gibt Zeiten im Leben, da will man sich eher mit einem guten Krimi oder Roman ablenken lassen, als am Leben sogenannter Prominenter teilzuhaben. Auch Sachbücher finden in meiner derzeitigen Lebensphase eher schmale Beachtung. Und so sind nur eine Handvoll Bücher für mich in die engere Wahl gekommen.

Wie in jedem Jahr wurden einige Autoren und ihre Werke mehr in den Focus gerückt als andere. Einige Schriftsteller wurden so ausdauernd beworben, dass sie immer wieder in verschiedenen Interviews und Berichten aufgetaucht sind. Obwohl ich mich eher ungern von so viel Publicity beeinflussen lasse, kam ich nicht ganz umhin. Denn irgendwie muss man ja schließlich seine Auswahl treffen.

Das sind also meine persönlichen Favoriten, meine bescheidene Auswahl von 6 aus 400000:

Jo Lendle „Was wir Liebe nennen“
Marion Poschmann „Die Sonnenposition“
Tom Rob Smith „Ohne jeden Zweifel“
Uwe Timm „Vogelweide“
Alice Munro „Tanz der seligen Geister“
Andrea del Fuego „Geschwister des Wassers“

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Donnerstag, 17. Oktober 2013
Zum 200. Geburtstag des Schriftstellers Georg Büchner
Wie wahrscheinlich die meisten, kenne ich Büchner aus meiner Schulzeit. Werke wie „Woyzeck“, „Leonce und Lena“ oder „Lenz“ sind als Schullektüre nicht mehr wegzudenken. Ich habe mich vor langer Zeit für „Dantons Tod“ als Abschlussarbeit des Faches Deutsch entschieden und hart daran geschluckt. Nicht nur die Komplexität dieses Stückes, sondern der Hintergrund und vor allem die für mich schwierige Interpretation des Textes eines bis dato 20jährigen hat mich wirklich beeindruckt. Sich mit Büchner zu beschäftigen bescherte mir nicht nur viele Stunden mit einem Studium über die Geschichte der Zeit 1830-1848, die unter dem Begriff „Vormärz“ zusammengefasst wird. Ich reiste auch zum ersten Mal im Leben ins nahe gelegene hessische Goddelau bei Darmstadt. Denn dort steht Büchners Geburtshaus, in dem er am 17. Oktober 1813 geboren wurde.

Es war eine aufrührende Zeit, die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons war zu Ende. In dieser höchst politischen Phase begann auch Georg Büchner nach französischem Vorbild sich gegen Unterdrückung zu wehren. Seine Waffe war unter anderem die Literatur. Nach seinem Studium der Naturwissenschaften und längerem Aufenthalt in Straßburg, gründete er mit anderen die „Gesellschaft für Menschenrechte“ und verfasste 1834 den „Hessischen Landboten“. Es handelte sich um eine Flugschrift, die unter der Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ die hessische Landbevölkerung zur Revolution gegen die Unterdrückung aufrief. (Wikipedia)

1937 ist Georg Büchner leider zu früh, schon im Alter von 23 Jahren, an Typhus verstorben. Er hätte bestimmt noch einiges zu sagen gehabt! Seine wenigen Schriften jedoch bleiben und stehen uns zur Verfügung, damit wir nicht seinen Beitrag daran vergessen, warum und wodurch die Welt zu dieser geworden ist, wie wir sie jetzt erleben.



Für mehr Wissen über Büchner:

http://www.uni-marburg.de/hosting/gbg
http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_B%C3%BCchner

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Mittwoch, 16. Oktober 2013
Joachim Meyerhoff „Alle Toten fliegen hoch – Amerika“ Hörbuch
gesprochen von Joachim Meyerhoff

Schon in den 80er Jahren gab es für deutsche Schüler die Möglichkeit ein Auslandsschuljahr zu absolvieren. So auch der Protagonist dieses Romans. Joachim, der Ich-Erzähler, wächst in behüteten Verhältnissen auf. In der Nähe von Hamburg verbringt der Sohn eines angesehenen Arztes mit seiner Mutter und zwei älteren Brüdern seine Kindheit. Er wird geradezu mit Liebe überschüttet. Und obwohl er gerade mit seiner ersten Freundin glücklich ist, treibt es ihn um. Im Alter von 17 hat er nur noch den Wunsch auszubrechen aus seinen zu engen Fesseln; er will für ein Jahr nach Amerika.

Nach bestandener Aufnahmeprüfung steht bald fest: man schickt ihn nach Laramie, Wyoming! Nicht gerade der Ort, den sich der hoffnungsvolle Jugendliche erträumt hatte. Doch gegen jede Erwartung und trotz einiger Hindernisse schafft es Joachim in die heiß begehrte Basketball-Mannschaft der Highschool. Zwischendurch erinnert er sich an Begebenheiten aus seiner Kindheit und so lernt der Leser, bzw Hörer seinen Protagonisten immer näher kennen. Bald merkt man, dass hinter dem heiteren, witzigen Geschichtenerzähler ein ganz anderer zu stecken scheint. Einer, der die Dinge hinterfragt, der ohne die bedingungslose erdrückende Liebe seiner Familie auf eigenen Füßen stehen kann und das Leben für sich entdeckt. Das gestaltet sich nicht immer einfach.

Man kann annehmen, dass Joachim Meyerhoff in diesem Buch seine eigene Geschichte erzählt. Und das tut er unglaublich engagiert, witzig, hintergründig und spaßig. Schon nach einer viertel Stunde liefen mir die Tränen vor Lachen. Was man zu Beginn noch als Aneinanderreihung von Anekdötchen halten könnte, entwickelt sich zur einer ernsthaften Geschichte. Einer Geschichte über das zum Teil schambesetzte und komplizierte Erwachsenwerden eines normalen Jungen. Mit allem, was ein Leben dazu bereithält.

Wenn, wie hier, der Autor des Romans das Hörbuch selbst einliest, entsteht meiner Meinung nach immer etwas ganz besonderes. Denn wer, wenn nicht er, weiß das Geschriebene so genau auszudrücken. Als Schauspieler weiß Joachim Meyerhoff natürlich auch einiges über die Wichtigkeit des Vortrages. Und so gleicht das Hörbuch einem Theaterstück: in überdeutlichen Worten, detailbesessen und in bildlicher Sprache liest er diesen Roman.


Sehr gelungen, unterhaltsam und mit viel Witz!

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Dienstag, 8. Oktober 2013
Von gehört: Im Zeichen des “B“
Heute Abend wird offiziell die Buchmesse 2013 in Frankfurt eröffnet. Und wie in jedem Jahr haben sich eine Menge Leute bemüht, schnell noch etwas zu veröffentlichen, um die Haushaltskasse aufzubessern. Neben den wirklich guten Schriftstellern reihen sich auch immer häufiger die sogenannten B-Promis als Autoren ein. Meistens handelt es sich hier um Biographien. Denn was haben die schon sonst zu erzählen. Und wie gewohnt ist darunter natürlich auch ein kleines Skandälchen, mit dem sich gleich noch mal mehr machen lässt.

Lange ists her, da hat Dieter Bohlen sein überaus spannendes Leben aufgeschrieben, pünktlich zur Buchmesse veröffentlicht, und als es dann soweit war, wurde geklagt und nicht wenige Zeilen seines Buches mussten geschwärzt werden. Auch kann ich mich an Bushido vor ein paar Jahren erinnern, der mit seiner zweifelhaften Biographie einen neuerlichen Skandal auslöste. Und dieses Jahr ist es eben Boris Becker . Ein bisschen über die Verflossenen herziehen, ein wenig Zwietracht säen, und schon wird ein solches Buch zum Bestseller und der „Autor“ hat genügend Geld, um seine vielen Kinder zu ernähren. Na, ist doch auch schön!

Ich werde auch dieses Mal anhand meiner umfangreichen Buchmessen-Recherche wieder eine kleine Auswahl von acht bis zehn Bücher treffen, von denen ich übers Jahr einige lesen werde, mir manche als Hörbuch einverleibe und andere vielleicht auch wieder verwerfe. Same procedure as every year!

In diesem Sinne: Buchmesse, Bohlen, Bushido und Becker ! Ach übrigens, Gastland in diesem Jahr……………..Brasilien !

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Mittwoch, 2. Oktober 2013
Alexander Söderberg „Unbescholten“
Mit diesem neuen schwedischen Thriller habe ich mich wirklich schwer getan. In Söderbergs Welt tummeln sich massenweise Mafiabosse, Siegel beringte Kriminelle und breit gebaute Russen mit Goldkette. Als modisches Accessoire das Maschinengewehr geschultert. Waffen werden von hier nach da geschmuggelt, dunkle Geschäfte getätigt, Autobomben gezündet und mittendrin die „Unbescholtene“: Sonja Brinkmann, Krankenschwester. Sie ist die einzige der sage und schreibe dreißig Hauptfiguren(allesamt Spanier, Russen, Schweden und Deutsche), die nichts auf dem Kerbholz zu haben scheint. Selbst den Gesetzeshütern ist nicht zu trauen, der junge Polizist Lars schnüffelt an der Unterwäsche seiner zu überwachenden Zielperson. Das ist der Stoff, aus dem dieser Roman besteht!

Sprachlich gleicht das Werk einem zweitklassigen Groschenroman. Die Dialoge, dürftig und billig wie am Gangsterstammtisch – nicht das ich je einem solchen beigewohnt hätte. Personenbeschreibungen beschränken sich auf „langhaarig, grauhaarig, Glatze und gelockt“; auch Adjektive wie schön, schlank, kräftig und braungebrannt lassen die Figuren nicht lebhafter werden. Zu alledem finden sich auf den ersten zehn Seiten unzählige Druckfehler, über die man bei adäquatem Inhalt hinwegsehen könnte.

Von der Presse bereits im selben Atemzug wie Stig Larson genannt soll auch dieser Roman, dem noch zwei weitere folgen, in Bälde verfilmt werden. Meiner Meinung nach hinkt der Vergleich gewaltig. Vielleicht wird mich aber auch hier der Spielfilm mehr überzeugen können.

Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, KONNTE diesen Roman aber nicht zu Ende lesen. Zu klischeeüberladen das Buch und ich nicht nur desinteressiert am Ausgang der Geschichte, nein, es stellte sich gar ein Fremdschämen dem Autor gegenüber ein. Die Auswahl eines Buches ist und bleibt aber schließlich eine Frage des persönlichen Geschmackes, für mich steht daher fest:

Dieser Thriller ist organisiertes Verbrechen an mir, der Leserin!

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Montag, 30. September 2013
Justin Torres „Wir Tiere“
Die drei Brüder, 7-10 Jahre alt, teilen alles, halten zusammen, und erleben traurige wie schöne Zeiten. Oft von den sehr jungen Eltern unbeaufsichtigt, die Mutter war erst 14 bei der Heirat mit dem hitzigen Puerto Ricaner, mischt sich Gewalt in ihr gemeinsames Spiel. Diese kennen sie von zu Hause; dort wird sich nicht nur leidenschaftlich geliebt, sondern auch gehasst und geschlagen. Nicht selten vor den Augen der Brüder. Während die Eltern versuchen, sich und die Kinder im eher armseligen Milieu durchzuschlagen, bleiben diese häufig auf sich gestellt. In dieser Zeit benehmen sie sich manchmal wie Tiere: sie fangen sie, quälen sie, fallen wie Heuschrecken in anderer Leute Gärten ein oder umringen den neuen Pick-up des Vaters „wie schlecht erzogene Hunde“. Sie beobachten ihre Eltern, ohne deren zuweilen exzessives Verhalten so richtig zu verstehen, dennoch kopieren sie es. Sie sehen „Ma“ und „Paps“ sich prügeln, aber auch wie sie sich körperlich lieben.

Der Autor beschreibt seine Charaktere anhand deren Verhalten; dessen was sie tun, oder auch nicht tun. Man liebt und hasst sie gleichermaßen. Zunächst glaubt man sich dennoch in der Erzählung einer typisch amerikanischen Familie zu befinden, die in armen Verhältnissen lebt. Die Situationen, die vom Jüngsten der Brüder geschildert werden sind mal lustig, mal anrührend und mal beängstigend; wie im richtigen Leben eben. Irgendwann allerdings kippt diese Stimmung. Sie wird gefährlicher, ernsthafter. Dunkle Ahnungen, die sich beim Lesen vielleicht schon angedeutet hatten, werden plötzlich klarer. Ab jetzt kann man nicht mehr wegsehen, obwohl man hofft, dass sich diese Ahnungen nicht bewahrheiten.

Dieser „Bruch“ in der Wahrnehmung des Gelesenen passiert schleichend. Sogar die Sprache ändert sich mit der Zeit. Plötzlich, ohne dass man es auf Anhieb begreift, spricht einen der Erzähler geradezu an, man wird zum Zeugen, ja vielleicht sogar mit in die Verantwortung gezogen für das Geschehene. Justin Torres ist unheimlich geschickt darin, den Leser zu lenken, ihn emotional zu manipulieren, bringt uns gedanklich an einen Punkt, wo man eigentlich nicht hin will. Er lässt uns zwischen den Zeilen lesen und baut eine unglaubliche Spannung auf, die einen sofort in Bann zieht, von der ersten Seite an.

Nur wenige Stunden hat es gedauert diesen schmalen aber inhaltsschweren Roman zu lesen, aber mindestens ebenso viele Stunden habe ich über das Gelesene nachgedacht, ja sogar im Buch zurückgeblättert, um sicher zu gehen, nichts überlesen zu haben. Auch wenn es mich tief betroffen zurücklässt, wird es eines der ganz seltenen Bücher sein, das ich noch einmal lesen werde!

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Dienstag, 24. September 2013
Andreas Schäfer „Gesichter“
Gabor Lorenz ist Neurologe in einem Berliner Krankenhaus und steht kurz vor seiner Professur. Er untersucht die seltene angeborene Krankheit der „Gesichtsblindheit“, bei der die Patienten Gesichter nicht wiedererkennen können. Eben wünscht er sich selbst an diesem Leiden erkrankt zu sein, denn das Gesicht eines afrikanischen Flüchtlings geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Auf der Rückreise aus dem Familienurlaub auf einer griechischen Insel beobachtet er, wie sich ein Mann auf der Fähre in einem LKW versteckt. Um ihm irgendwie zu helfen, wirft er kurzerhand seine getätigten Einkäufe in den Unterschlupf. Bei Ankunft in Italien erhascht Gabor einen kurzen Blick auf den dunkelgelockten Fremden.

Erst zuhause bemerkt Gabor, dass sich in der Einkaufstasche die Ansichtskarten, adressiert an seine eigene Frau, befanden. Stets schreibt er diese im Urlaubsort, um sie später nach und nach abzusenden. So meint er, die schönste Zeit des Jahres gedanklich zu verlängern. Diese Geste könnte ihm jetzt zum Verhängnis werden, denn der Flüchtling kennt nun seine Anschrift. Von diesem Moment an fühlt sich Gabor beobachtet und verfolgt. Das verstärkt sich, als eines Tages die erste Karte eintrifft.

„Doch er war in der Nähe, das spürte Gabor, so wie man das Meer spürt, schon Kilometer bevor man die Küste erreicht, so wie man weiß, dass es im Laufe des Tages regnen wird.“

Sein gesamtes Handel und Denken ist fortan nur der Idee geschuldet, dass der Fremde ihn und seine Familie findet. Sein wohlgeordnetes Leben gerät aus den Fugen. Die Angst steigert sich bis zu einer Paranoia. Gabor wird getrieben und als dann seine vierzehnjährige Tochter verschwindet, glaubt er, nur eins und eins zusammenzählen zu müssen.

Der Autor Andreas Schäfer bedient sich der Macht des Unausgesprochenen, der Macht von Vorurteilen und der Angst allem Fremden gegenüber. Geschickt konstruiert er die Panik eines Menschen, der sich diese selbst schafft. Der Leser weiß lange nicht, was der Wirklichkeit entspricht und was sich lediglich um Hirngespinste des Arztes handelt. Ungewöhnlich ist, wie der Schriftsteller über Gesichter schreibt ohne sie darzustellen. Obwohl das des Flüchtlings nahezu unbekannt bleibt, keine bildliche Beschreibung erfolgt, glaubt man doch es vor dem inneren Auge genau sehen zu können.

In einfacher Sprache und chronologisch erzählt lässt Andreas Schäfer uns in die Psyche der Menschen blicken, setzt der Gesellschafft einen Spiegel vor und behandelt hier das aktuelle Thema der Flüchtlingsproblematik. Nicht alles kommt hier zu einem schlüssigen Ende, das Buch ist aber dennoch lesenswert.

Ein bedrückender Roman, der einen nachdenklich werden lässt.

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