Mittwoch, 24. August 2016
Rafael Chirbes „Paris-Austerlitz“
Zu Beginn des Romans liegt Michel, der Freund und ehemalige Liebhaber des Ich-Erzählers, von schwerer Krankheit gezeichnet bereits in einem Hospital in der Nähe von Paris. Von ihrer beider Beziehung ist nur mehr eine Art Hassliebe geblieben und die Erinnerung an sehr lebendige Zeiten.

Vor vielen Jahren hat der junge spanische Künstler seine Heimat Madrid verlassen, um in Paris seine Malerei voranzubringen aber auch um seiner eher konservativen Familie zu entfliehen. Im Nachbarland angekommen trifft er Michel und verliebt sich in den so viel älteren Mann. Beide unterscheidet nicht nur das Alter, sondern auch die soziale Herkunft. Während der eine aus gut situierten Verhältnissen stammt, hält sich Michel mit Jobs in der Fabrik über Wasser. Da der junge Maler zunächst ohne Geld und Arbeit ist, entsteht zwischen beiden bald eine nahezu symbiotische Beziehung, eine gegenseitige Abhängigkeit, die recht schnell zum Überdruss führt. Doch zuvor verlebt das Liebespaar ausschweifende Wochen mit zu viel Alkohol, Drogen und hemmungslosem Sex.

Chirbes beschreibt die Verbindung eines ungleichen Paares zwischen Liebe und Obsession ungeschönt und direkt. Der manchmal harschen und groben Ausdrucksweise, bei der der Autor kein Blatt vor den Mund nimmt, steht die durchaus poetische Sprache mit viel Gefühl gegenüber. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern der Ich-Erzähler springt in Gedanken zu einzelnen Begebenheiten. Nicht zuletzt dadurch werden die Unterschiede der beiden Männer spürbar.

Die wenigen Seiten des dünnen Buches sind schnell gelesen, doch der atmosphärische Sog, in den man beim Lesen hineingezogen wird, wirkt noch lange nach. Der vermutlich letzte Roman Rafael Chirbes‘ wurde posthum veröffentlicht. Der spanische Autor starb bereits im Herbst des letzten Jahres. Leider “begegnet“ man manchen Menschen zu spät im Leben, denn zuvor hatte ich von diesem Schriftsteller noch nie gehört. Aber es ist nicht zu spät die früheren Werke Rafael Chirbes‘ noch zu lesen.

Ein trauriges Buch, eine traurige Geschichte, dennoch nicht weniger wert unbedingt gelesen zu werden!


Mehr zu diesem Autor :

https://de.wikipedia.org/wiki/Rafael_Chirbes


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Donnerstag, 11. August 2016
Monika Zeiner “Die Ordnung der Sterne über Como“
Wenn wir als Leser Tom Holler, dem Protagonisten des Romans, begegnen, befindet er sich gerade in einem recht desolaten Zustand. Er ist desillusioniert, trinkt zu viel, ist frustriert und steht kurz vor der Scheidung. Und obwohl er mit seinem Jazz Ensemble als Pianist seit ein paar Jahren kleine Erfolge verzeichnen kann, möchte er am liebsten alles hinschmeißen und seinem jämmerlichen Dasein ein Ende setzen. Doch gerade mitten in seiner tiefsten Melancholie ruft Betty an. Seine Betty, seine große Liebe.

Sie lebt seit Jahren in Italien und hat eine Ankündigung eines Konzerts in Neapel seiner Band zufällig entdeckt. Sie freue sich auf ein Wiedersehen. Gepusht von diesem neu aufflammenden Gefühl erfährt Tom neue Kraft um weiterzumachen und die Erinnerungen an vergangene Zeiten sind plötzlich allgegenwärtig. Erinnerungen an eine Zeit, als Marc und er beste Freunde waren. Zwei kreative Köpfe, die sich blind verstanden, gemeinsam komponierten und musizierten und das eine oder andere philosophische Gespräch führten. Beide waren Denker, hinterfragten sich selbst und die Welt.

„Und immer wieder dachte er einen einzigen Gedanken, nämlich dass das Leben aber wirklich komisch sein kann. Das Leben ist echt die allerkomischste Angelegenheit auf der ganzen Welt, dachte er…….“ (Zitat Seite 32)

Und dann stieß Betty zu ihnen und schien das Trio perfekt zu machen. Und dann kam da die eine Nacht unter dem Sternenhimmel in Como, die plötzlich alles veränderte.

Monika Zeiner wechselt ihre Perspektiven zwischen Tom Holler und Betty Morgenthal, zwischen Berlin und Neapel. Während sie sich in der Gegenwart langsam annähern, werden wir Zeuge davon, wie sie sich in der Vergangenheit voneinander entfernten. als Leser lernen wir alle drei Figuren allmählich Seite für Seite etwas besser kennen.

Die Art wie die Autorin schreibt ist einfach unglaublich! Ihre Sprache so emotional und poetisch, dass ich mir viele Sätze mehrfach durchgelesen habe. Wie ein Stück Schokolade lässt man sich Satz um Satz auf der Zunge zergehen und schmilzt am Ende selber dahin. So schwülstig sich das jetzt auch anhören mag! Hier ist mal wieder das große Thema Liebe so eindringlich in Worte gefasst, wie man es besser selbst nicht hätte ausdrücken können; Interaktionen zwischen Menschen so mitfühlend beschrieben, dass es auch den Abgebrühtesten unter uns berühren wird. Dafür gebe ich meine Garantie!

Ich habe viele Wochen an diesem Buch gelesen, und das nur aus dem einzigen Grund: ich wollte nicht, dass es zu Ende ist. Nur zu gerne, und das kommt bei mir wirklich selten vor, hätte ich diesen Roman beim Beenden des letzten Satzes einfach noch einmal von vorne zu lesen begonnen

Für mich das schönste Buch des Jahres!


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Montag, 25. Juli 2016
Elizabeth Poliner "Wie der Atem in uns"
Der Debütroman der Schriftstellerin Elizabeth Poliner erzählt von einer jüdischen Großfamilie, die jedes Jahr gemeinsam den Sommer am Meer verbringt. In einer jüdischen Sommerhaussiedlung an der Küste Connecticuts verleben die erwachsenen Schwestern Ada, Vivie und Bec mit ihren Ehemännern und Kindern beschwingte Tage. Die Männer der Familie arbeiten die Woche über in ihrem Kaufhaus in der Stadt und kehren freitags zurück zum Sommerhaus, um den Schabbat mit der Familie zu feiern.

Aus Molly’s, Adas Tochter, Perspektive wird die Geschichte in Jahresabschnitten rückwirkend erzählt. Nach 50 Jahren versucht sie die Geschehnisse des Sommers 1948 zu analysieren und zu ergründen, welche Konsequenzen der Unfall ihres Bruders auf alle Beteiligten hatte. Zu dieser Zeit ist sie gerade zwölf Jahre alt. Sie berichtet von diesem Jahr und der Leser weiß von Anfang an, dass sich in diesem Sommer durch den Tod des 8jährigen Davy vieles ändern wird. Wir erfahren viel von der Lebensgeschichte jeder Schwester, von der Beziehung der Familienmitglieder untereinander und von dem Gefangensein in der jüdischen Tradition, der Rollenverteilung zwischen Männern, Frauen und Kindern und der Abschottung gegen alle nichtjüdischen Einflüsse.

Über den glücklichen Tagen und dem entspannten Leben im Juli und August 1948 hängt die dunkle Wolke des Unfalls, die wir als Leser immer gegenwärtig haben, von der die Protagonisten aber nichts ahnen. Wir sehen die Endlichkeit des entspannten Zusammenseins und die tiefe Veränderung der Lebensumstände der Familie, denen keiner der Beteiligten entkommen wird.

In einfacher, dennoch lebendige Sprache erzählt die Autorin von dieser Familie, in der Zusammenhalt zunächst großgeschrieben wird, doch wie in jeder größeren Institution machen es sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig nicht immer leicht. Nicht nur die Vergangenheit prägt das Miteinander, sondern ebenso die Zukunft nach dem schrecklichen Tod von Molly’s Bruder. Poliner zeigt, dass im System Familie jedes Verhalten des Einzelnen und jedes Ereignis Folgen für alle nach sich zieht.

Selten in letzter Zeit hat mich ein Buch so sehr gefesselt. Von der ersten Seite an wurde ich in dieser Familie aufgenommen, habe gespannt die Geschichte der Schwestern Ada, Vivie und Bec , deren Ehemännern und Kindern verfolgt und mitgelitten beim Unfalltod von Adas jüngsten Kind Davy.

Ein durchaus gelungenes Debüt!

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Dienstag, 26. Januar 2016
Philipp Tingler “Schöne Seelen“
In dieser Geschichte bewegen wir uns in einem erlauchten Personenkreis der Züricher Upper Class; Reichtum und Schönheit sind Pflicht. Da es an Geld nicht mangelt, wird dem äußeren Erscheinungsbild bei Bedarf chirurgisch auf die Sprünge geholfen. Man bedient sich der besten Haushaltshilfen, der angesagtesten Hairstylisten und dem trendigsten Raumausstatter. Events und Partys sind an der Tagesordnung, einzig um zu sehen und gesehen zu werden.

So sah auch das Leben der Mellvina van Runkle aus. Doch jetzt haucht sie, frisch geliftet und bebotoxt, den letzten Atem des Lebens in der besten Schönheitsklinik des Landes aus, nicht ohne vorher zu gestehen, dass ihre Tochter Mildred adoptiert ist. Diese erbt nach dem Tod der Mutter zwar Haus und Hof und ein beträchtliches Vermögen, doch an Liebe und Zuwendung fehlt es. Da ihre Ehe am Ende scheint, legt sie ihrem Mann Viktor nahe, er möge sich einer Therapie unterziehen, um sich seiner Gefühle und seines Verhaltens klar zu werden. Doch der sieht sich seiner Freiheit beraubt und bittet daher seinen besten Freund Oskar anstelle seiner die vielen Stunden zu absolvieren. Natürlich beim besten Therapeuten der Stadt.

Oskar, ein bekannter Schriftsteller und glücklich verheiratet, sieht darin eine Herausforderung und die Chance seinen Horizont zu erweitern und stimmt schließlich zu. Was in der Theorie eine einfach durchzuführende Idee scheint, entpuppt sich in der Praxis allerdings als schwieriges Unterfangen. Und bald kommt es in unserer so illustren Gesellschaft zu allerlei inneren und äußeren Irrungen und Wirrrungen.

Satire = Kunstgattung (Literatur, Karikatur, Film), die durch Übertreibung, Ironie und [beißenden] Spott an Personen, Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert, mit scharfem Witz geißelt (Wortbedeutung lt Duden)

Eine Satire, so würde ich Philipp Tinglers Roman nennen; voller spitzzüngigem Sarkasmus. Charaktere und die Handlung selbst sind derart überzeichnet, dass man sie nicht ganz ernst nehmen kann. Dennoch verbirgt sich ein tieferer Kern in allem. Der Autor bewegt sich sprachlich auf einem hohen intellektuellen Niveau, mit Fremdwörtern geradezu jonglierend. Da muss man nicht jeden Satz zur Gänze verstehen. Und doch wird am Ende die Aussage hinter alledem klar. Er zeigt eine Gesellschaft dessen inhaltsleeres Dasein alles entbehrt was ein Leben ausmacht. Am Ende kann man als Leser froh sein, nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren zu sein, und sieht vielleicht die eine oder andere Hürde auf dem eigenen Weg etwas gelassener.

Gelungene Unterhaltung, witzig und intelligent.

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Freitag, 27. November 2015
Giuliano Musio: “Scheinwerfen“
Manche Erinnerungen blieben besser im Verborgenen. Doch die Familie Weingart vermag es mit einer bloßen Berührung vergessene und verdrängte Erinnerungen zurückzubringen. Diese Gabe wurde in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Nach dem Tod des Vaters Emil Weingart verdienen jetzt die Söhne Toni und Julius mit ihrer Cousine Sonja ihr Geld mit dem „Scheinwerfen“. Die von der Mutter geleitete Praxis in Bern genießt hohes Ansehen und so werden täglich viele Menschen mit ihren Anliegen empfangen. Manchmal geht es dabei nur um ganz banale Dinge wie einen verlorenen Schlüssel, ein andermal aber auch um dunkle Kindheitserinnerungen.

Als Sonja ein älterer Kunde mit Demenz zugeteilt wird, ändert sich das sonst so friedliche Miteinander in der Familie. Und dann kommt noch Res hinzu, der das Scheinwerfern ebenso beherrscht und behauptet, Sonja von früher zu kennen. Plötzlich geraten alle in einen Strudel von Lügen und falschen Verdächtigungen. Nicht nur einer in der Familie trägt ein Geheimnis mit sich. Wie gesagt: Manche Erinnerungen blieben besser im Verborgenen!

Die Figuren in diesem Roman sind allesamt etwas daneben. Da ist Julius, ordnungsliebende Psychologe, der für alles eine Liste anfertigt; Toni, der jüngere Bruder, ein Schwulen- Hasser, der leider selbst einer ist und an chronischem Liebeskummer leidet und nicht zuletzt der etwas minderbemittelte Res, der Frauen begrapschet, in fast jeder Kneipe Hausverbot hat und sich selbst für unwiderstehlich hält.

Das Schöne an Giuliano Musios erstem Buch ist, dass es sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Es vereint die unterschiedlichen Genres: mal übersinnlich und esoterisch, dramatisch mit einem Hang zum kriminellen und dann wieder einfach nur urkomisch. Die Sprache ist jung und spritzig, verwegen und hier und da etwas derb. An Fantasie fehlt es dem Autor nicht. In seinem Buch ist nichts normal, nichts gewöhnlich oder vorhersehbar. Es ist einfach anders, und anders macht manchmal Spaß.

Ein absolut unterhaltsamer Roman, skurril, schräg und ein kleeeeiiines bisschen verrückt. Genauso wie ich es mag!


Mehr Informationen zum Autor:
http://www.giulianomusio.com

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Freitag, 9. Oktober 2015
Véronique Olmi “Nacht der Wahrheit“
Enzo Popov ist zwölf Jahre alt und lebt mit seiner Mutter Liouba in einem noblen Apartment im Zentrum von Paris. Allerdings bewohnen beide nur eine kleine Kammer, denn Liouba ist lediglich die Haushälterin. Sie hält die Wohnung selbst dann penibel sauber, wenn die Herrschaften, die von ihr kaum Notiz nehmen, mal wieder verreist sind. Diese Anstellung ermöglicht es der jungen Frau ihren Sohn auf das angesehenste College der Stadt zu schicken. Das gibt sie Enzo täglich zu verstehen und auch dass er ein „Unfall“ war, „ich nenne es lieber Überraschung“, denn Liouba war erst 17 bei seiner Geburt.

Enzo denkt viel über die Dinge nach und ist sich ganz sicher,
dass er für seine Mutter eine Belastung ist;dass sie beide in der Gesellschaft, in der sie leben, nicht viel wert sind;dass sie aufgrund ihrer Herkunft nicht in diese Gegend gehören;dass er, Enzo, in seinem edlen College ein Außenseiter ist und niemals eine Chance haben wird;und dass er zu keiner Zeit, unter keinen Umständen, seiner Mutter von den Misshandlungen durch seine Mitschüler erzählen darf.

Also verkriecht er sich in seine eigene Welt, seine Bücher, isst trotz seines Übergewichtes zu viele Nutella-Brote, kleidet sich nur noch schwarz und hasst vor allem den Montagmorgen. Und Liouba tut weiterhin ihr Bestes, um Enzo ein besseres Leben zu bieten.

Gerade als es zum Äußersten kommt, bringt das die Wende ihrer beider Leben.

Véronique Olmi ist für mich die Meisterin des Erzählens. Auch wenn ihre Themen oft sehr düster und schwer sind, sind sie doch“ von dieser Welt“. Die Autorin gaukelt uns nichts vor, macht uns nicht glauben, das Leben sei ein Ponyhof, sondern zeigt es wie es ist, mit all seinen Facetten. Ihre Sprache ist unglaublich einfühlsam, manchmal poetisch. Auch wenn sich der Sinn ihrer Worte nicht immer gleich erschließen, und man manchmal nicht sofort weiß, wo Olmis Sätze hinführen, kann man die Bedeutung gerade zu spüren, lässt man sie eine Weile auf sich wirken.

Ungewöhnlich, verstörend, genial!


Eine weitere Rezension der Autorin hier im Blog:
http://buchlesetipp.blogger.de/stories/2189809/

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Dienstag, 15. September 2015
Anne Tyler: „Der leuchtend blaue Faden“
Anne Tyler‘s neues Buch ist die Chronik der Familie Whitshank, aber auch die ihres Hauses am Stadtrand von Baltimore, das die Familie schon seit Generationen bewohnt.

Red und Abby haben viel erreicht im Leben. Er führt erfolgreich das Bauunternehmen seines Vaters, sie war als Sozialarbeiterin tätig. Fast 70-jährig, die vier erwachsenen Kinder haben ihr eigenes Leben, geht beiden nicht mehr alles so flott von der Hand. Der Alltag wird beschwerlich, Red wird schwerhörig und Abby beginnt sich geistig von der Welt zu verabschieden. Alarmiert vom Zustand ihrer Eltern rufen die Kinder bald einen Familienrat zusammen. Weil Abby sich weigert in eine Seniorenresidenz zu ziehen, zieht bald ihr Sohn Stem mit Frau und Kindern bei Ihnen ein. Es entsteht ein klassischer Generationenkonflikt. Wo die Kinder helfen und unterstützen wollen, fühlen sich die Eltern bald bevormundet, kontrolliert und ihrer Freiheit beraubt. Und so ändert sich schlagartig das unabhängige Leben des Ehepaares in einer Weise, wie sie es nie gewollt haben. Selbst der jüngste Sohn, das schwarze Schaf der Familie, reist an. Bald buhlen alle darum, den Eltern zu helfen. Während Red versucht, sich aus Streitereien herauszuhalten, flieht Abby gedanklich in die Vergangenheit.

Die Autorin erzählt ihre Geschichte nicht chronologisch, sondern geht Stück für Stück rückwärts bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts, als Reds Vater als junger Mann seine Heimat verlässt, um in Baltimore ein neues Leben zu beginnen. Auch hier beginnt die Geschichte des Hauses mit der „großen schattigen Veranda“.

Anne Tyler beschreibt eine ganz normale Familie und das mit viel Empathie und Sensibilität für jeden einzelnen Charakter. In jedem ihrer Sätze scheint ihre eigene Lebenserfahrung greifbar zu sein. Sie lässt den Leser grübeln über die wichtigen Dinge. Was bleibt von einem Leben, einen Menschen, einem Haus? Was und wie viel geben wir an die nächste Generation weiter? Und ist es nicht wichtig, sich der Vergangenheit der Eltern und Großeltern bewusst zu werden?

“Verschwendete denn nie jemand einen Gedanken daran, dass die sogenannten Alten von heute früher Marihuana rauchten, Herrgott noch mal, und sich Tücher um den Kopf banden und vor dem Weißen Haus demonstrierten?“ (Zitat Seite 212)

Der Leser taucht ein in das Leben anderer Leute, das genauso gut das eigene sein könnte. In eine Familiensituation, wie sie fast jeder kennt oder früher oder später erleben wird. Nicht, dass viel passieren würde in diesem Roman; dennoch war ich traurig, als er gelesen war und hätte gerne noch mal von vorn begonnen.

Ein Buch zum Nachdenken, Entspannen und Sich-mitreißen-lassen!

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Freitag, 7. August 2015
Gisa Klönne:“ Die Wahrscheinlichkeit des Glücks“
Manchmal kommt alles anders, als man denkt. Das erfährt auch die Astrophysikerin Dr. Frieda Telling, als sie zur Verlobung ihrer Tochter nach Berlin reist. Am Abend zuvor ist ein Besuch im Ballett geplant, in dem Aline an der Seite ihres Verlobten Jan tanzt. Doch noch bevor die Premiere beginnt, hat Aline einen schrecklichen Unfall. Sie sei völlig hysterisch aus dem Theatergebäude direkt in ein Auto gerannt, wissen Passanten zu berichten. Im Krankenhaus erfährt Frieda, dass ihre Tochter schwer verletzt im Koma liegt. Jan ist überzeugt, dass das Geschenk ihrer Großmutter Henny Aline so aus der Bahn geworfen habe.

Völlig aus der Fassung geraten macht sich die sonst so kontrollierte Frieda auf die Suche nach dem Grund für den Unfall und gerät bald tief in die eigene Vergangenheit, die Jugend ihrer an Demenz erkrankten Mutter Henny und deren Heimat, das rumänische Siebenbürgen. Noch ahnt sie nicht, dass sie einem alten Familiengeheimnis auf der Spur ist. Bei ihrer Recherche kommt sie nicht umhin, auch ihr eigenes Leben und das Verhältnis zu ihrer Tochter zu hinterfragen. Alles scheint auf den Kopf gestellt, als sie sich auch noch zu dem Frauenheld und Schriftsteller Arno hingezogen fühlt. Doch zunächst benötigt sie seine Hilfe, denn sein Vater und ihre Mutter scheinen eine gemeinsame Vergangenheit zu verbinden.

Ich muss es leider ehrlich sagen: Selten hat mich ein Buch so gelangweilt und enttäuscht wie dieses. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich erfüllt es jegliches Klischee eines billigen Groschenromans. Die Handlung, wie auch die Figuren selbst sind unglaubwürdig und wirken allzu ausgedacht und konstruiert. Die endlosen Fragen, die sich die Protagonistin unentwegt stellt, werden, wenn sie auch bei Seite 300 noch unbeantwortet bleiben, zermürben und langweilig für den Leser. Außerdem entbehrt die Geschichte jeder Logik.

Der Grat zwischen poetischem Ausdruck und umgangssprachlicher Phrase ist sehr schmal, die Grenze dessen hier zu oft überschritten. Kaum zu glauben, dass dieser Roman aus derselben Feder stammt, wie die vor ein paar Jahren veröffentlichten und absolut lesenswerten Krimis der Autorin Gisa Klönne.

Nichts Schlimmeres gibt es beim Lesen, als wenn einen das Ende des Buches nicht interessiert.


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Montag, 16. März 2015
Bernhard Schlink: „Die Frau auf der Treppe“ Hörbuch
Gelesen von Charles Brauer

Auf einer Geschäftsreise nach Australien wird sich das Leben des Ich-Erzählers verändern. Davon ahnt er allerdings noch nichts, als er ein Museum in Sydney betritt. Plötzlich bleibt er wie angewurzelt vor einem der Exponate stehen, dass er aus früheren Zeiten kennt. Das Gemälde zeigt eine nackte Frau wie sie eine Treppe hinunterschreitet. Damals war er ein junger Anwalt in Frankfurt und träumte von einem guten Leben. Dieses Ziel wusste er pedantisch zu verfolgen. Doch dann geriet er zwischen die Fronten zweier Klienten, die sich um eben dieses Gemälde stritten. Auch die Frau, die für das Bild Modell gestanden hat, Irene, spielte in deren Unstimmigkeiten eine große Rolle. Der Anwalt verliebte sich in die Frau, bereit sein Leben und seine Zukunftsvision hinter sich zu lassen und mit ihr und dem Bild durchzubrennen. Das gut geplante Vorhaben gerät allerdings außer Kontrolle und Irene verschwindet spurlos, mit ihr das Bild „die Frau auf der Treppe“.

Als der Anwalt jetzt, Jahrzehnte später, das Museum verlässt, setzt er alle Hebel in Bewegung, um Irene aufzuspüren. Er findet sie tatsächlich in einem kleinen Haus an einer unscheinbaren Bucht. Eben an jenem Ort, wo sich bald alle wiedertreffen werden. Aus dem jungen Juristen ist ein großer Anwalt der Reichen mit eigener Kanzlei geworden, aus dem Nächsten ein millionenschwerer Unternehmer, aus dem Dritten einer der erfolgreichsten Maler seiner Zeit. Auch für Irene hat sich einiges verändert, wenn auch nicht im positiven Sinn.

Der Autor Bernhard Schlink zeigt in diesem Buch, dass es im Leben um mehr geht. Dass Zufriedenheit nicht unbedingt mit Erfolg zusammenhängt, Reichtum nicht unweigerlich mit Geld zu tun hat und Luxus eine Frage der Weltanschauung sein kann. Trotz des tieferen Sinns der Geschichte, den der Leser hineininterpretieren kann, bleibt der Autor in seiner Art des Erzählens an der Oberfläche. Um Bedeutungsvolles in diesen Text zu transportieren, fehlt meiner Meinung nach die Emotionalität der Sprache. Mit den langen, teilweise unbedeutenden Dialogen, bleibt das Buch eher langweilig. Die eigentlich originelle Idee der Handlung hätte spannender umgesetzt werden können.

So schnell das Hörbuch gehört ist, so schnell ist die Geschichte auch wieder vergessen. Schade eigentlich!

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Dienstag, 3. Februar 2015
Bodo Kirchhoff: „Verlangen und Melancholie”
Der fast 60-jährige Hinrich, einst Journalist einer großen Zeitung, lebt in Frankfurt. Er ist Witwer seit seine Frau Irene vor einigen Jahren den Freitod gewählt hat. Bei einsamen Streifzügen durch die Stadt ergeht er sich in Grübeleien über das Leben und sucht nach Beweggründen ihres Handelns.

Wo er auch geht und steht, sieht er seine Irene vor seinem inneren Auge, den Menschen, der ihn ein Ganzes hat sein lassen. Aber es gab auch eine Zeit da hatte er sie fast verloren wegen einer Affäre mit Marianne. Immer wieder tauchen Erinnerungen auf, mal an die gemeinsamen Reisen nach Italien, die vielen Besuche in den Frankfurter Museen und die gemeinsam verbrachten zärtlichen Nächte. Hinrichs langweiliger Alltag wird nur unterbrochen von seinem Enkel Malte, dem er mit seinem Wissen über Kultur und Geschichte durchs Abitur hilft.

Eines Tages findet Hinrich im Briefkasten einen schwarzumrandeten Brief, einen Trauerbrief. Ein ungutes Gefühl bestärkt ihn darin, diesen Brief in einer Schublade verschwinden zu lassen, die verschiedentliche Utensilien seiner Frau enthält. Als er dann eine junge Polin kennen lernt, gerät der Brief zunächst in Vergessenheit. Seine Suche nach Liebe und Nähe scheint nun ein Ende zu haben, da Zusan sich nicht nur um den Haushalt kümmert, sondern auh um die Bedürfnisse des Witwers selbst. Natürlich gegen ein kleines Taschengeld. Die Tage vergehen nur schleppend und beim Blättern in einem der letzten Bücher, die Irene übersetzt hat, fällt ihm eine kleine Notiz in die Hände. Eine Notiz, die ihn beunruhigt und ihn zweifeln lässt, wie gut er seine Irene wirklich gekannt hat.

Später in der Geschichte begibt sich Hinrich auf einer Reise nach Polen, und kommt dort nicht nur einem Geheimnis seiner Frau auf die Spur, sondern öffnet auch endlich den schwarzumrandeten Brief. Danach wünschte er, ihn nie erhalten zu haben.

Bodo Kirchhoff schreibt über die Liebe wie kaum ein anderer Autor, anrührend und schön ohne trivial zu werden. Auch seiner Liebe zu seiner Heimatstadt Frankfurt gibt der Autor Ausdruck, indem er die Stadt nicht nur als Finanzmetropole beschreibt, sondern der Kultur und den vielen Museen huldigt. Er lässt seinen Protagonisten über Literaten und Künstler gleichermaßen philosophieren wie über Politik und aktuelles Weltgeschehen. Unglaublich wie Kirchhoff es vollbringt, eigene Gedanken und Gefühle in kurzen knappen Sätzen zu formulieren, für die man selbst nie Worte gefunden hätte. Er verwebt Gewesenes und die Gegenwart in wenigen Sätzen, springt in Gedanken hin und her und bleibt dennoch klar in seiner Aussage.

Der Roman ist nichts für hastige, ungeduldige Leser; stattdessen begibt man sich ganz und gar mit dem Autor tief in das unaufgeregte Leben des Protagonisten. Bodo Kirchhoff ist ein Meister darin, Vieles zu sagen, und doch liegt das Wichtige und Reizvolle im Unausgesprochenen, nicht Gesagten oder den Worten zwischen den Zeilen. Das muss man ihm erst einmal nachmachen!

Ein bisschen Melancholie sollte man zum Lesen dieses Buches aber schon aushalten können ;-)

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