Freitag, 21. Juli 2017
Lily King „Euphoria“
Anfang der 1930 er Jahre: noch immer sind westliche Kolonialisten unterwegs, um sich unerschlossene Gebiete in der Südsee untereinander aufzuteilen. Papua Neuguinea ist ein beliebtes Ziel für einige von ihnen. Und genau hier siedelt die Autorin Lily King ihre Geschichte an, die zu einem kleinen Teil an die Biografie der amerikanischen Ethnologin Margaret Mead angelehnt ist.

Im Roman ist die Wissenschaftlerin Nell Stone mit ihrem Ehemann Fen auf der Suche nach einem weiteren Volk, dessen Kultur und Lebensweise sie zu erforschen gedenken. Behilflich dabei ist ihnen der Anthropologe Andrew Bankson aus England, der sich bereits vor Monaten in einem kleinen Dorf in Papua-Neuguinea niedergelassen hat. Eher halbherzig widmete er sich bisher seinen Studien, begann sich mehr und mehr einsam zu fühlen und steuerte schon einmal auf einen Suizid zu. Den Veränderungen, die mit dem enthusiastischen Ehepaar auf ihn zuzukommen scheinen, sieht er freudig entgegen.

Schon nach kurzer Zeit und vielen intensiven Gesprächen über ihre Forschungen entspinnt sich eine tiefe Freundschaft zwischen den Ethnologen, die für den einen oder anderen auch Liebe entflammen lässt. Während Fen sich in der intensiven Arbeit mit den männlichen Stammesbewohnern zu verstricken droht, kommen sich Nell und Andrew über das Beobachten von Frauen und Kindern näher.

Vor dem Hintergrund der späten Kolonialzeit erzählt Lily King nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern zeigt auch auf, in welcher Weise die westlichen Länder in dieser Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in fremde Kulturen eingegriffen haben, Ureinwohnern ihre Heimat und Existenzgrundlage entrissen haben. Das erzählt sie so einfühlsam und poetisch, dass, kaum ist man in diese fremde Welt eingetaucht, man nicht so schnell herausfindet.

„Nachts schien es mir zuweilen, als würde mein Boot nicht von seinem Motor angetrieben, sondern Boot wie auch Motor würden vom Fluss selbst gezogen und die Kräusel in meinem Kielwasser wären nur etwas Gemaltes, Teil eines mitreisenden Bühnenbilds.“ (Zitat Seite 43)

Wie in diesem Zitat beschrieben, fließt auch King‘s Sprache. Etliche Male dachte ich mir beim Lesen “diesen einen Satz noch“, oder „diesen einen Abschnitt noch“ und immer wurden es mehr, nicht imstande diesen Fluss zu unterbrechen. Die Perspektiven werden gewechselt und somit die Sichtweisen der einzelnen Protagonisten, was dem Roman eine zusätzlichen Anziehungskraft verleiht.

Dieses Buch ist mit Abstand das Beste, was ich in diesem Jahr bisher gelesen habe und ich war traurig, als die Geschichte zu Ende erzählt war. In meinem Kopf allerdings wird sie noch eine Weile Bestand haben; da bin ich mir sicher!



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Sonntag, 18. Juni 2017
Alice Adams „Als wir unbesiegbar waren“
Die Zeit, in der die vier Freunde Eva, Benedict, Sylvie und Lucien unbesiegbar waren, ist lange vorbei. Damals aber haben sie sich so gefühlt. Oft saßen sie beisammen, philosophierten über das Leben und hatten Spaß; schienen unzertrennlich. Da wollten sie sich noch nicht vorstellen, dass das Ende ihrer gemeinsamen Studienzeit in Bristol vielleicht auch das Ende ihrer Freundschaft bedeuten könnte. Denn wenn sie sich auch demnächst in alle Winde zerstreuten, würden sie sich immer nah sein, das war ihnen allen klar.

Jeder von ihnen hatte einen Plan, ein Konzept und eine Vorstellung, wie ihr Leben verlaufen sollte. Die Träume und Wünsche für die Zukunft so unterschiedlich, wie die vier Freunde selbst. Und plötzlich war es soweit, jeder ging seinen eigenen Weg, beruflich wie privat, jedes Leben entwickelte sich, Persönlichkeiten formten sich und manches kam anders, als gedacht. Die Gemeinsamkeiten wurden weniger, Besuche seltener und auch das Verständnis für einander schien zu bröckeln. Am Ende steht die Frage, ob die vier Freunde wieder zusammenfinden können oder ob die Zeit sie zu stark verändert hat.

Die Autorin begleitet diese Menschen über einen Zeitraum von 20 Jahren. In unregelmäßigen Abständen, die auch schon mal zwei Jahre betragen können, erzählt sie von den Veränderungen, die bei jedem Einzelnen stattgefunden haben. Erzählt, wie die vier, auch mit Hinblick auf ihre Kindheit und des sozialen Gefüges ihrer Familien, ihre Leben zu meistern versuchten.

Die Figuren in diesem Roman sind mit vielen Klischees behaftet, so dass jede von ihnen in eine eigene Schublade passt. So über die Maßen unterschiedlich, dass ich mich als Leser das eine oder andere Mal gefragt habe, was denn nun diese besondere Freundschaft auszeichnet, um die es in diesem Buch geht. Alles wirkt auf mich sehr konstruiert und aufgesetzt, dass es kaum noch Überschneidungen in den Persönlichkeiten gibt. Auch war es mir nicht wirklich möglich, eine Verbindung zu den Protagonisten aufzubauen, da mir jegliche Beschreibungen zu oberflächlich war. Auch gibt die Autorin, was sehr gewollt und bemüht rüberkommt, jedem der Hauptpersonen eine ordentliche Portion Dramatik mit auf den Lebensweg. Zu dick aufgetragen für meinen Geschmack!

In Sprache und Ausdruck bleibt Alice Adams schlicht und einfach, an manchen Stellen gar zu umgangssprachlich, was natürlich auch an der Übersetzung liegen kann. Die etwas zu langen Ausführungen über das Brokerleben von Eva hätte ich ab und an gerne überblättert, weil es mir weder passend erschien noch sonderlich interessant war.

Für mich wirkte alles in allem extrem ausgedacht und geformt, wenig mitreißend und in sich nicht sehr glaubwürdig und stimmig. Hier hat der Inhalt leider nicht das halten können, was der Klappentext versprochen hat. Eine Spur mehr Tiefe und Lebendigkeit hat dem Ganzen meiner Meinung nach gefehlt.


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Donnerstag, 30. März 2017
Julia Wolf „Walter Nowak bleibt liegen“
Walter Nowak ist Ende 60, hat seinen Betrieb für Baumaschinen verkauft und lebt mit seiner zweiten Frau Yvonne zusammen. Das alles erfahren wir etwas später im Roman. Doch zunächst geht Walter schwimmen, wie jeden Morgen, mit Ohrstöpsel und Badekappe zieht er seine Bahnen. Er ist stolz darauf noch so fit zu sein und spürt gerne das Brennen in seinen Muskeln. Als er eine junge Frau im rosa Badeanzug und ihre perfekten Armzüge beobachtet, fühlt sich Walter an der Ehre gepackt und gibt sich kurzerhand einem „Rennen“ hin. Das soll weitreichende Konsequenzen für ihn haben.

Am nächsten Tag wacht Walter auf, spät erst, zu spät um noch schwimmen zu gehen. Gedanken schwirren ihm durch den Kopf, Erinnerungsfetzen, seine Ehe, sein Sohn, seine Kindheit, Yvonne, die für einige Tage verreist ist, seine alten Kumpels, die Firma und vieles mehr. Alles scheint hin und her zu hüpfen in seinem Kopf, angefangene Gedanken mittendrin abzureißen, um an anderer Stelle wieder aufgenommen zu werden. Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen, sind bald nicht mehr voneinander abzugrenzen. Aber Walter Nowak fühlt sich stark, will am nächsten Tag unbedingt wieder ins Schwimmbad, will weitermachen.

Als Leser sitzen wir im Kopf des Protagonisten. Die einzelnen Fetzen werden von der Autorin eindringlich in Sprache gebracht, Sätze nur halb formuliert, Satzzeichen an unüblichen Stellen angebracht. So ungewöhnlich sich das jetzt anhören mag, es macht Walters Situation nur allzu deutlich. Es dauert wohl eine Weile, so war es zumindest bei mir, bis der so oft zitierte Groschen fällt und man das Geschehene einschätzen kann. Das war etwa nach der Hälfte des Buches der Fall. Danach war für mich nichts mehr wie vorher, was ich noch am Anfang als interessant und einzigartig empfand, fing an mich leicht zu nerven und ich hab mich nicht mehr richtig wohl gefühlt in meiner Haut. Plötzlich wars mir zu dicht, zu nah.

Ein ungutes Gefühl begleitete mich beim Lesen dieses Buches. Auszüge daraus hatte ich bereits bei der Aufzeichnung des letzten Ingeborg Bachmann Preises im letzten Jahr hören können. Ich fand es faszinierend, wie Julia Wolf schreibt. Dennoch hätte ich nicht mehr als diese 150 Seiten ertragen können, weder sprachlich noch inhaltlich.

Selbst jetzt beim Rezensieren des Buches stehe ich dem Ganzen noch ambivalent gegenüber und werde sicherlich noch eine ganze Weile darüber nachdenken. Am besten ist, jeder macht sich selbst ein Bild davon!



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Mittwoch, 15. März 2017
Jan Christophersen „Schneetage“
Ende der siebziger Jahre versinken große Teile Schleswig-Holsteins im Schneechaos. Und genau da setzt Jan Christophersens Geschichte an.

In einem kleinen Ort direkt an der Grenze zu Dänemark kämpft Jannis mit seiner Familie und den Dorfbewohnern gegen die Schneemassen an. Paul, Jannis Ziehvater, wird nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. In diesem größten Chaos seit Jahren erinnert sich der junge Mann an die Vergangenheit. Erinnert sich, wie ihn vor vielen Jahren Pauls Frau, von ihm nur „Chefin“ genannt, in ihr Zuhause holt, in das einzige Wirtshaus im Ort. Damals, Paul war in den Fünfzigern gerade aus der Gefangenschaft heimgekehrt, schien die Kneipe finanziell am Ende. Doch Paul verhalf dem “Grenzkrug“ zu neuem Glanz und Ansehen. Mit viel Engagement und Geschäftssinn, dem Ausbau der angrenzenden Stallungen zu Ferienwohnungen und mit der Hilfe der ganzen Familie, kamen bald die ersten Gäste. Zunächst wurden viele Flüchtlinge aufgenommen, die wegen der unsicheren Grenzsituation nicht recht wussten wohin. Später, nachdem ein Maler für das Haus und den Ort die Werbetrommel rührte, kamen mit der Zeit immer mehr Besucher, die meisten von ihnen fortan jedes Jahr.

Und dann erinnert sich Jannis daran, wie Paul sich immer mehr von der Familie abzuwenden schien; wie plötzlich die Suche nach einer verschwundenen Insel im Watt, die vor mehr als 500 Jahren überflutet wurde, zu seinem Lebensmittelpunkt wurde. In einem Zimmer der Ferienwohnungen richtete Paul sich ein. Schuf sein eigenes kleines Museum mit Fundstücken aus dem Watt, mit Karten jeder einzelnen Hallig, die es vor der großen Flut in der Gegend noch gegeben hatte. Paul lebte in seiner eigene kleine Welt, die ihn bald zu überfordern drohte.

„Schon einmal gesehen, wie das ist, wenn ein Damm bricht? Wie zunächst nur eine Welle über die Krone leckt und schäumend auf der Rückseite herunterfließt? Sieht erst gar nicht so schlimm aus. Das wiederholt sich, immer wieder, bis der Deich durchgeweicht ist und das erste Stück herausbricht. Ich sage Ihnen, wenn man das sieht, versteht man, was es heißt, Angst zu haben.“ (Seite 330)

Sehr einfühlsam und ruhig erzählt der Autor vom Leben einer Familie, in der jedes Mitglied seinen Platz findet. In jeden einzelnen kann sich der Leser einfinden und schließt schnell alle in sein Herz. Und hinter der Familie Tamme beleuchtet Jan Christophersen sehr genau und nachvollziehbar die Grenzsituation zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark, in der bis heute noch eigene Gesetze gelten. Auch der Hintergrund der großen Flut, die viele Inseln in der Nordsee ertränkt hat ist sehr interessant und hat mich immer wieder dazu veranlasst, die Tatsachen dieses Teils deutscher Geschichte im Internet nachzulesen. Und wieder bin ich ein bisschen schlauer geworden!

Alles an diesem Roman ist außergewöhnlich: der Erzählstil, die Zeitsprünge, die anfangs zu viel Verwirrung gesorgt haben, die Figuren und der Bezug zur Realität. Man sollte nicht mit großen Begebenheiten und Ereignissen in diesem Roman rechnen. Der Autor bleibt sachte in seiner Sprache, drückt mehr im Schweigen als im Reden aus, beobachtet aus den Augen des Icherzählers Jannis und schafft eine geradezu bildhafte Atmosphäre, die vor meinem inneren Auge noch lange Bestand haben wird.


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Dienstag, 21. Februar 2017
Véronique Olmi „Der Mann in der fünften Reihe“
„In ein paar Stunden […] Beginnt der Tag. Ich weiß nicht, was ich mit ihm anfangen werde. Ich weiß nicht, was ich jetzt mit mir anfangen soll. Vor 24 Stunden war alles noch gewohnt und vertraut. Ich dachte, ich würde entscheiden und hätte alles im Griff. Ich dachte, ich würde leben.“

Nach diesen Sätzen der ersten Seite des neuen Romans von Véronique Olmi weiß ich bereits, dass mich auch dieses Buch wieder fesseln wird.

Die Ich-Erzählerin, Nelly, sitzt nachts am verlassenen Bahnhof in Paris und erzählt von ihren letzten 24 Stunden. Erzählt, wie sie sich wie immer auf den Weg zu ihrer Arbeit gemacht hat, wie viel Angst sie jeden Abend vor der Theatervorstellung hat, in der sie eine große Rolle spielt und wie für sie die Schauspielerei zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden ist. Und erzählt, wie sie am gestrigen Abend bei ihrem Auftritt plötzlich ein bekanntes Gesicht unter den Zuschauern in der fünften Reihe erblickt. Und wie sie denkt ihr Herz bliebe stehen.

Was es mit dem Mann in der fünften Reihe auf sich hat und wie Nelly zu ihm steht, erfährt der Leser im zweiten Teil des Buches. Gerade mal auf etwas mehr als einhundert Seiten beleuchtet die Autorin einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben ihrer Protagonisten. Sie erzählt die Geschichte so emotional und eindringlich, dass man als Leser mit Nelly mitfühlt, mitdenkt und mitlebt. Derart gefesselt und hineingezogen in dieses Leben ist es trotz der Kürze schwer wieder aufzutauchen. Es ist sicher nicht in erster Linie die Story selbst die hier besticht, sondern die Art, wie sie erzählt wird, die Sprache, die Tiefsinnigkeit. Die Autorin bleibt nie an der Oberfläche, sondern führt den Leser stets zum Eigentlichen, zum Kern einer Sache hin.

Oft habe ich nach Beenden eines Romans von Véronique Olmi das Gefühl, als habe sie in mir etwas hinterlassen, was ich nicht genau zu beschreiben fähig bin.

Einhundert Seiten gelesen, dreihundert Seiten gespürt!



Véronique Olmi hier im Blog:
Véronique Olmi“Nacht der Wahrheit“
Véronique Olmi“In diesem Sommer“


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Dienstag, 3. Januar 2017
Volker Kutscher „Lunapark“
Kriminalkommissar Gereon Rath hat es derzeit nicht leicht. Im Berlin 1934 ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die immer stärker wertende Machtübernahme der Nationalsozialisten stellt alles auf den Kopf. Als der Kommissar vom Alexanderplatz zu einem Tatort gerufen wird, muss er bald feststellen, dass sich längst die geheime Staatspolizei eingemischt hat. Allen voran sein vormals untergebener Kollege Gräf. Wie kann das sein, dass dieser sich so schnell nach oben gearbeitet hat, während seine Karriere stagniert?

Also begibt sich Gereon Rath wohl oder übel gemeinsam mit den Kollegen der Gestapo auf die Suche nach dem Mörder eines SA Mannes, der, wie es scheint, totgeprügelt aufgefunden wird. Später wird sich herausstellen, dass der Mann zuvor an einem doch eher ungewöhnlichen Gegenstand erstickt war. Dann geschieht ein weiterer Mord eines hochrangigen Nationalsozialisten und während sich die Gestapo mit ihrer Suche nach dem Mörder auf eine Gruppe von Kommunisten versteift, ermittelt Gereon Rath in eine ganz andere Richtung.

Der Probleme nicht genug, gerät auch sein Privatleben aus den Fugen, nichts scheint mehr unter Kontrolle. Sein Ziehsohn sympathisiert mit der Hitlerjugend und seine Frau Charly hat beschlossen, nicht mehr nur Ehefrau und Mutter zu sein, sondern wieder arbeiten zu gehen. Und dann hat auch der Kommissar selbst noch seine eigenen “Leichen im Keller“.

Volker Kutscher nimmt uns Leser wieder einmal mit auf eine ungewöhnliche Zeitreise. Man wird nicht nur Zeuge eines überaus spannenden Kriminalfalls, sondern hier greifen verschiedenste Ereignisse und Handlungsstränge geschickt ineinander. Man spürt die zunehmende Verunsicherung in der Bevölkerung, nicht mehr zu wissen wem man trauen und was man öffentlich äußern kann. Der Autor watet mit einem überaus großen Geschichtswissen auf und schildert diese Zeit in Berlin bis ins kleinste Detail. Auch sprachlich passt er sich hervorragend an, sodass man sich geradezu zeitlich zurückversetzt fühlt. Bei seinen Schilderungen von Mord, Folter und anderen Gräueltaten ist Kutscher nicht zimperlich; da bleibt die eine oder andere Schrecksekunde beim Lesen nicht aus.

Ein überaus gelungener, spannender und kluger Krimi, der einen Lerneffekt nicht ausschließt und für das Genre in einer ungewöhnlichen Zeit spielt. Selten bin ich beim Lesen eines Romans hinterher so viel schlauer gewesen!

BRAVO!!!


Für mehr Info:

http://www.gereonrath.de


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Samstag, 12. November 2016
Joachim Meyerhoff „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“
Im zweiten Band seines autobiografischen Romans und somit Nachfolgers von Alle Toten fliegen hoch – Amerika beschreibt Joachim Meyerhoff seine Kindheitsjahre. Inmitten des Geländes einer psychiatrischen Klinik lebt er mit seinen Eltern und zwei älteren Brüdern; sein Vater, als Leiter der Anstalt, ist ein angesehener Arzt.

Zum Inhalt des Buches lässt sich eigentlich nicht viel mehr sagen, denn der Schreiber, Autor möchte ich ihn noch nicht einmal nennen, reiht hier wieder ein Anekdötchen ans andere, scheinbar alles, was ihm gerade so einfällt. Und so besteht dieser Roman aus einzelnen voneinander unabhängigen Geschichtchen. Um diese etwas interessanter zu gestalten, wird wohl, wie ich glaube, dass eine oder andere dazu erfunden, denn manches wirkt derart unglaubwürdig, dass man sich die Haare raufen möchte.

Jeglicher Versuch mit kleinen Slapstick ähnlichen Einlagen das ganze witziger zu machen, geht hier vollkommen in die Hose. Die Sprache wirkt aufgesetzt bemüht und allzu erzwungen. Hier fehlt Leichtigkeit und lockeres Erzählen. Der Schreiber ist emsig darin, Dinge und Situationen mit einem Wust von Adjektiven zu beschreiben und überfrachtet damit jeden einzelnen Satz. Auch bildhaftes Schreiben zählt nicht zu Meyerhoffs Stärken. Viele diese Schilderungen sind kaum nach zu vollziehen.

Es mag an mir persönlich liegen, dass mich gerade das, was mir am ersten Teil noch unterhaltsam vorkam, mich jetzt unendlich genervt hat und mir keinerlei Lesespaß bereiten konnte. Oder aber daran, dass hier ein Schauspieler seinen Namen nutzt, um einen weiteren Roman zu verkaufen. Ihm fehlt meiner Meinung nach jegliches Gespür für Menschen und Situationen.

Der großen Lobhudelei, die ich im Internet bezüglich dieses Buches gefunden habe, kann ich mich hier leider nicht anschließen! Da möge sich bitte jeder selbst ein Bild machen!


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Dienstag, 25. Oktober 2016
Judith W.Taschler „Bleiben“
Die Wege von vier Personen kreuzen sich in der einen oder anderen Weise in Wien. Sie sind aber keine Fremden, denn vor zwanzig Jahren sind sie sich bei einer Zugfahrt nach Rom begegnet. Durch lediglich ein paar kurzen Gesprächen, die gemeinsame Zeit sich gegenüber sitzend im Abteil und einem schnellen Schnappschuss auf dem Bahnsteig sind alle nur flüchtige Bekannte geblieben. Bis jetzt, im Jahr 2015, werden sie verschiedene Ereignisse wieder zusammenführen.

Alle haben sich weiterentwickelt, sind ihren privaten und beruflichen Zielen mehr oder weniger gefolgt, haben sich in Beruf oder Kunst verwirklicht, sind um die Welt gereist, haben Familien gegründet oder auch als Single mehr oder weniger in den Tag hinein gelebt. Von jedem einzelnen erfahren wir aus dessen Leben, wie sie dorthin gelangt sind in der Zeitspanne zwischen Zugfahrt und Gegenwart. Alle scheinen sich in ihrem Leben eingerichtet zu haben, aber nicht alle können bleiben in diesem Leben.

Der Roman ist fast wie ein Kammerspiel angelegt. Innerhalb neun Monaten des Wiedersehens dieser so unterschiedlichen Menschen erzählt jeder von ihnen einem imaginären Freund, bzw. Freundin, aus dieser Zeit. Die Perspektiven zwischen den Personen und den einzelnen Monaten im Jahr 2015 sind wild durcheinandergewürfelt, was mindestens bis zur Hälfte des Buches zu viel Verwirrung, zu wiederholtem Zurückblättern und Chaos im Kopf des Lesers führt. Wie ein Knobelspiel aus der Zeitung muss man sich die einzelnen Leben zusammensetzen. Sprachlich eher kühl und sachlich bleiben die Persönlichkeiten der Protagonisten doch sehr oberflächlich. Man wird mit keinem der Charaktere so richtig warm. Gefühle bleiben schwarze Worte auf weißem Papier und haben mich beim Lesen nicht im Geringsten berührt.

Fast gewinnt man den Eindruck, als habe die Autorin ihr Hauptmerkmal auf Struktur und Ausrichtung des Romans gelegt, und weniger auf den Inhalt. Denn der bleibt bei diesem ganzen Durcheinander leicht auf der Strecke.

Hier ist meiner Meinung nach aus einer guten Idee und das Schreiben mit außergewöhnlicher Perspektive eine eher schleppende Geschichte geworden. Schade eigentlich!


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Sonntag, 18. September 2016
Stewart O'Nan „Abschied von Chautauqua“
Emily‘s Mann Henry ist vor ein paar Monaten gestorben. Ein langes erfülltes Leben haben sie miteinander geteilt, zwei Kinder großgezogen und die Sommer stets in ihrem Haus am Chautauqua-See, südlich den Niagarafällen, verlebt. Das Haus steht bereits zum Verkauf, und so lädt Emily die ganze Familie mit Kind und Kegel noch ein letztes Mal ins Sommerhaus ein. Auch Henrys Schwester ist mit von der Partie.

Eine ganze Woche lang will die Familie den Abschied von Chautauqua zelebrieren. Während die Tage für Emily selbst eine nostalgische Reise in die Vergangenheit sind, in der sie alle Plätze noch einmal aufsucht, an denen sie mit ihrem Henry so glücklich war, ist in der Familie jeder einzelne mit seinen eigenen Angelegenheiten und Sorgen beschäftigt. Sogar jedes der Kinder hat bereits sein Päckchen zu tragen. Vordergründig erlebt die Familie fröhliche Tage beim Bootsfahren, Golfspielen, gemeinsamen Kochen und Abenden auf der Veranda. Hinter der Familienidylle allerdings schlummert so das eine oder andere Geheimnis, was der eine nicht vom anderen weiß oder wissen soll. An jedem einzelnen Tag entfernt sich die Familie ein bisschen mehr von ihrem Sommerdomizil, indem Möbel und Besitztümer möglichst gerecht verteilt werden und Vorbereitungen für die letzte Abreise getroffen werden. Aber auch mit jedem Tag kommen sich die einzelnen Mitglieder ein wenig näher.

Erscheint auch die Fülle an Problemen der Maxwells zunächst überladen, so bleiben die Figuren doch in sich stimmig und authentisch. Aus der Sicht eines jeden wechselt die Perspektive und so weiß der Leser jederzeit, was in jedermann so vor sich geht. Lediglich den anderen Familienmitgliedern bleibt das Innere des Gegenübers größtenteils verborgen. Der Autor nimmt sich die Tage einzeln vor und beschreibt sie in einer Ausführlichkeit, dass man das Gefühl hat, sie selbst mitzuerleben.

Stewart O'Nan hat hier keine Geschichte geschrieben, die einen spektakulären Anfang und ein fulminantes Ende hat, vielmehr nimmt er einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer ganz normalen Familie und beleuchtet diesen überaus genau. Auch nach dem Beenden des umfangreichen Romans ist man sicher, dass irgendwo da draußen in der wirklichen Welt das Leben der Familie Maxwell weitergeht. Die zahlreichen Charaktere bieten dem Leser eine enorme Fläche für Interpretation sowie persönliche Identifizierung mit sich selbst und der eigenen Familie.

Einfach ein Stück normales Leben, was hier beschrieben wird und nicht weniger unterhaltsam als der spannendste Krimi!

Ebenfalls hier rezensiert:

Stewart O'Nan: „Alle, alle lieben dich“


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Donnerstag, 1. September 2016
Bodo Kirchhoff: „Widerfahrnis“
Zwei Menschen, die sich zunächst gänzlich fremd sind, reisen in einem kleinen Auto Richtung Süden. Wie ist es wohl dazu gekommen? Folgendermaßen:
Leonie Palm, ehemalige Besitzerin eines Hutladens steht eines Abends unvermittelt vor Julius Reithers Tür. Er, früherer Inhaber eines Verlags, bittet sie herein und das eher karge Gespräch entwickelt sich zu der Idee, mitten in der Nacht mit ihrem Cabrio einen Ausflug zu machen. Bis zum Sonnenaufgang soll gefahren werden. Allmählich, fast nebenbei, kommen sich die beiden näher.

Als Leser werden wir mit hineingezogen in diese Erzählung. Sitzen mit im Auto und werden Zeuge dieses Näherkommens der Protagonisten auf dem Weg zwischen Bozen und Bari; sind ganz nah dabei, wenn aus einem „Allein-Sein“ ein “Zu-zweit-Sein“ wird; aus der Mitreisenden eine Freundin und aus dem kalten Deutschland ein bereits warmes Italien. Doch auch diese Liebesgeschichte, wenn man sie denn so nennen will, wird überschattet vom Leben selbst, von der Welt und der Gesellschaft, wie sie sich momentan zeigt. Bodo Kirchhoff kommt nicht umhin, seine beiden durch die Lande reisen zu lassen, ohne den immer größer werdenden Strom Flüchtlinge in die Geschichte einzubringen. Und so nimmt die Reise ihren Lauf.

Sprachlich bleibt der Autor bei seinem gewohnten Stil: einem “kirchhoffisch“, wie ich es gerne nenne. Da kann auch mal auf kleine Worte verzichtet werden, ohne dass das Gesagte an Bedeutung verliert. Ein zwischendurch sparsames Erzählen löst ab und an ausführliche Beschreibungen ab, ohne Tiefgründigkeit einzubüßen. Auch in diesem Buch von Bodo Kirchhoff finden sich Sätze, wie nur er sie schreibt; Figuren, die anfangs nicht leicht zu durchschauen sind und die auch der Leser noch kennenlernen muss. Und immer schwingt in allem eine geradezu melancholische Stimmung!

Seit Kirchhoffs letzten beiden Romanen, auf deren Rezensionen ich am Ende verweisen werde, bin ich regelrechter Fan von diesem Autor geworden. Und ich wurde ein weiteres Mal nicht enttäuscht.

Mit diesem Titel ist Bodo Kirchhoff in diesem Jahr für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiert!

Ebenfalls in diesem Blog rezensiert:
Bodo Kirchhoff: „Verlangen und Melancholie”
Bodo Kirchhoff „Die Liebe in groben Zügen“


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