Dienstag, 4. Juli 2017
Jo Nesbø „Koma“ (Ein Harry-Hole-Krimi 10)
Ein Mann liegt im Koma. Seine Identität ist unbekannt, bewacht durch einen Polizisten vor der Tür des Krankenhauszimmers. Unterdessen kommt es in Oslo zu abscheulichen Morden. Das Muster, nachdem diese Morde begangen werden, ist schnell gefunden: Sie finden allesamt an Tatorten statt, an denen es in den letzten Jahren zu Gewaltverbrechen kam, die nicht aufgeklärt wurden. Handelt es sich hier um einen Racheakt eines Angehörigen, will der Täter hier auf die Missstände bei der Polizei aufmerksam machen? Denn die aktuellen Opfer sind Gesetzeshüter, die damals an den Ermittlungen beteiligt waren. Einige davon auch aus dem Team des Kriminalkommissars Harry Hole. Dieser wird im Präsidium bei den Ermittlungen schmerzlich vermisst; gut hätte man seine Sicht auf die Dinge und die ungewöhnliche Herangehensweise an einen Fall, die für den unkonventionellen Hole so typisch waren, gebrauchen können. Seine Unterstützung fehlt an jeder Stelle.

Jo Nesbø lässt hier wie immer keine Wünsche offen, hält den Leser in Atem von der ersten bis zur letzten Seite. Abgesehen von den überaus scheußlichen Morden und den Beschreibungen der Toten schreckt der Autor nicht davor zurück, auch Hauptfiguren über die Klinge springen zu lassen. Der norwegische Polizeiapparat wird hier nicht als eine Truppe Helden der Nation verstanden, sondern Nesbø beschreibt alle darin authentisch und absolut menschlich. Da werden Fehler begangen, andere sind korrupt, wieder andere nehmen es mit Wahrheit und Gesetz nicht ganz so genau. Und der Leser ist ganz dicht dabei. Sprachlich unterscheidet sich Jo Nesbø meiner Meinung nach erheblich von dem üblichen Thriller-Slang und überrascht immer wieder mit tiefgründigen, gar poetischen Sätzen.

Als sei man selbst ein Teil des Ermittler-Teams schickt uns der Autor auf viele verschiedene Spuren, die das eine oder andere Mal in eine Sackgasse führen. Er ist ein Meister darin, uns an der Nase herum zu führen, uns miträtseln zu lassen und uns in einer Lesepause den Kopf zerbrechen zu lassen über das, was in der Geschichte geschieht. Nicht wenige Male bezieht sich Jo Nesbø auf vorherige Fälle um Hauptkommissar Harry Hole. Zum besseren Verständnis hilft ein Glossar am Ende des Buches, in dem die vielen Namen der Beteiligten noch einmal nachgelesen werden können.

Ich kann nur jedem raten, einmal einen Kriminalroman von Jo Nesbø zu lesen und sich mitten hinein zu begeben in seine Ermittlergruppe, Teil des Teams zu werden! Absolut lesenswert!



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Donnerstag, 29. Juni 2017
Ingeborg-Bachmann-Preis 2017
Nächste Woche scheiden sich wahrscheinlich wieder die Geister. Die einen verfolgen die Tour de France und die anderen machen sich auf den Weg nach Klagenfurt. Dort finden wie in jedem Jahr die „Tage der deutschsprachigen Literatur“ statt. 14 junge AutorInnen lesen aus unveröffentlichten Texten und sieben Juroren aus Österreich, der Schweiz und Deutschland besprechen und beurteilen diese. Und dann gibt es noch die dritte Spezies, die es sich auf der Couch vor dem Fernsehen bequem macht. 3 Sat überträgt die Veranstaltung vom 6. Juli an, jeweils ab 10:00 Uhr, wobei am Ende, dem 9. Juli etwa gegen Mittag unter anderem der Ingeborg Bachmann Preis übergeben wird. Oder aber man ist clever und nimmt sich das Ganze auf, um einerseits nichts zu verpassen und andererseits sich in die Länge ziehende Besprechungen auch mal schnell zu überspringen.

Sehr interessant finde ich, wie die Juroren die Texte deuten, in Einzelteile zerlegen, interpretieren und beurteilen. Keinesfalls, in den seltensten Fällen sogar, sind sie sich einig und man bekommt einen Eindruck, wie unterschiedlich eine Meinung zu einem Text sein kann. Da geht es auch mitunter schon mal sehr unharmonisch zu.

Ich freue mich auf diese Tage und bin schon sehr gespannt, denn das eine oder andere Mal habe ich für mich ein kleines Schmankerl finden können. Also ab nach Österreich oder aber auf die heimische Couch und möglichst ungedopt neue Literatur genießen!

Mehr Info gibt‘s hier:
http://bachmannpreis.orf.at/
https://de.wikipedia.org/wiki/Ingeborg-Bachmann-Preis


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Sonntag, 18. Juni 2017
Alice Adams „Als wir unbesiegbar waren“
Die Zeit, in der die vier Freunde Eva, Benedict, Sylvie und Lucien unbesiegbar waren, ist lange vorbei. Damals aber haben sie sich so gefühlt. Oft saßen sie beisammen, philosophierten über das Leben und hatten Spaß; schienen unzertrennlich. Da wollten sie sich noch nicht vorstellen, dass das Ende ihrer gemeinsamen Studienzeit in Bristol vielleicht auch das Ende ihrer Freundschaft bedeuten könnte. Denn wenn sie sich auch demnächst in alle Winde zerstreuten, würden sie sich immer nah sein, das war ihnen allen klar.

Jeder von ihnen hatte einen Plan, ein Konzept und eine Vorstellung, wie ihr Leben verlaufen sollte. Die Träume und Wünsche für die Zukunft so unterschiedlich, wie die vier Freunde selbst. Und plötzlich war es soweit, jeder ging seinen eigenen Weg, beruflich wie privat, jedes Leben entwickelte sich, Persönlichkeiten formten sich und manches kam anders, als gedacht. Die Gemeinsamkeiten wurden weniger, Besuche seltener und auch das Verständnis für einander schien zu bröckeln. Am Ende steht die Frage, ob die vier Freunde wieder zusammenfinden können oder ob die Zeit sie zu stark verändert hat.

Die Autorin begleitet diese Menschen über einen Zeitraum von 20 Jahren. In unregelmäßigen Abständen, die auch schon mal zwei Jahre betragen können, erzählt sie von den Veränderungen, die bei jedem Einzelnen stattgefunden haben. Erzählt, wie die vier, auch mit Hinblick auf ihre Kindheit und des sozialen Gefüges ihrer Familien, ihre Leben zu meistern versuchten.

Die Figuren in diesem Roman sind mit vielen Klischees behaftet, so dass jede von ihnen in eine eigene Schublade passt. So über die Maßen unterschiedlich, dass ich mich als Leser das eine oder andere Mal gefragt habe, was denn nun diese besondere Freundschaft auszeichnet, um die es in diesem Buch geht. Alles wirkt auf mich sehr konstruiert und aufgesetzt, dass es kaum noch Überschneidungen in den Persönlichkeiten gibt. Auch war es mir nicht wirklich möglich, eine Verbindung zu den Protagonisten aufzubauen, da mir jegliche Beschreibungen zu oberflächlich war. Auch gibt die Autorin, was sehr gewollt und bemüht rüberkommt, jedem der Hauptpersonen eine ordentliche Portion Dramatik mit auf den Lebensweg. Zu dick aufgetragen für meinen Geschmack!

In Sprache und Ausdruck bleibt Alice Adams schlicht und einfach, an manchen Stellen gar zu umgangssprachlich, was natürlich auch an der Übersetzung liegen kann. Die etwas zu langen Ausführungen über das Brokerleben von Eva hätte ich ab und an gerne überblättert, weil es mir weder passend erschien noch sonderlich interessant war.

Für mich wirkte alles in allem extrem ausgedacht und geformt, wenig mitreißend und in sich nicht sehr glaubwürdig und stimmig. Hier hat der Inhalt leider nicht das halten können, was der Klappentext versprochen hat. Eine Spur mehr Tiefe und Lebendigkeit hat dem Ganzen meiner Meinung nach gefehlt.


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Samstag, 3. Juni 2017
Bernhard Aichner „Totenfrau“ Hörbuch
gelesen von Christian Berkel

Rạ·che: Substantiv [die], Vergeltung für eine (als böse empfundene) Tat.
"an jemandem für etwas Rache nehmen"


Das hat auch Brünhilde Blum, genannt Blum, im Sinn. Lange hat es gedauert, es war einiges passiert und schwere Zeiten lagen hinter ihr, bis die junge Frau endlich ihr Glück finden sollte. Mit dem Polizisten Mark hatte sie die Liebe ihres Lebens gefunden. Schnell hatten sie erkannt, dass sie zusammen gehörten, recht bald geheiratet und Kinder bekommen. Sie waren ein eingeschworenes Team, Blum übernahm das Bestattungsunternehmen ihrer Eltern und Mark sorgte als Kommissar für Recht und Ordnung. Mit dem Tod hatten also beide in mancherlei Hinsicht zu tun.

Und dann reißt ihr ein Verkehrsunfall ihren geliebten Mann aus dem Leben. Zunächst gibt sich Blum völlig der Trauer hin, wird es nicht schaffen ohne die Hilfe ihres Schwiegervaters und des Angestellten. Immer wieder geht sie Situationen und Begebenheiten im Kopf durch, möchte sich an alles erinnern, und als sie schon denkt, alles zu verlieren, hört sie Marks Stimme auf dem Diktiergerät seines Handys. Ganz fasziniert von diesem Fund hört sie noch eine andere Stimme, die einer Frau, die ihrem Mann eine unglaubliche Geschichte zu erzählen weiß. Bald darauf scheint sich eine neue Wahrheit aus allem zu ergeben: wenn es kein Unfall war, der Mark getötet hat, dann war es Mord!

Und jetzt sinnt Brünhilde Blum auf Rache!

Soweit so gut zum Inhalt des Hörbuchs, der erste Teil einer Trilogie, der mich zunächst mit seiner Andersartigkeit schnell in Bann gezogen hat. Eine ungewöhnliche Protagonistin mit einem ungewöhnlichen Beruf, die zu einer brutalen Mörderin wird und dennoch die Sympathien des Lesers auf ihrer Seite hat. Die Sprache des Autors, die kurz, knackig und brisant Geschwindigkeit, Spannung und Emotionen transportiert. Und der Vorleser, Christian Berkel, der all das hervorragend umzusetzen weiß. Und die Ereignisse, die sich förmlich überschlagen….

Aber so schnell die Begeisterung begonnen hatte, ließ sie nach einigen Stunden des Hörens auch wieder nach. Zu bestialisch und blutig waren mir die Racheszenen beschrieben, gern hätte ich auf Zerstückelung, abgehackte Köpfe und nähere Beschreibung von Exkrementen und Säften verzichtet. Es werden wirklich alle Sinne gefordert! Der eigenen Fantasie aber lässt der Autor Bernhard Aichner nur sehr wenig Raum. Obwohl er sparsam mit Worten umgeht, seine Sätze nur aus Fragmenten bestehen, sind die Ekelszenen einfach zu deutlich hervorgehoben. Hier wäre weniger mehr gewesen!

Wahrscheinlich habe ich hier das Genre „Thriller“ für mich gewaltig unterschätzt; vielleicht hätte ich es mehr als satirische Krimikomödie ansehen sollen; oder aber, unter Umständen, bin ich einfach zu alt und eine Spur zu empfindlich für solche Bücher! ;-)



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Mittwoch, 10. Mai 2017
E. O. Chirovici „Das Buch der Spiegel“ Hörbuch
gelesen von Jonas Nay, Stephan Kampwirth, Volker Lechtenbrink, Sebastian Rudolph und Sascha Rotermund

Was ist mit Prof. Joseph Wieder passiert? Diese Frage zieht sich durch den gesamten Roman. In den achtziger Jahren galt er als Koryphäe seines Studienfaches für Psychologie und war an der Universität Princeton tätig. Doch dann 1987 wurde er tot in seiner Villa aufgefunden; brutal erschlagen. Also was war damals geschehen?

30 Jahre später nun taucht ein Manuskript bei einem Verleger auf, geschrieben von einem damaligen Studenten Prof. Wieders. Richard Flynn katalogisierte für den Psychiater den Bestand seiner umfangreichen Bibliothek und schildert, wie er den Mann, zu dem alle aufschauen, kennen gelernt hatte. Seine Erzählung endet abrupt vor dem Auffinden des Toten. Aufschluss über die Geschehnisse können aber auch die Aufzeichnungen nicht geben, ganz im Gegenteil, sie werfen immer noch mehr Fragen auf. Denn der größte Teil des Manuskripts fehlt.

Ein Journalist wird beauftragt sich der Sache anzunehmen und nach der verschwundenen Fortsetzung zu suchen und im Fall Prof. Wieders zu recherchieren. Er beginnt Personen in direktem Umfeld des Psychiaters zu befragen und stößt auf die unterschiedlichsten Meinungen und Darstellungen der Vorkommnisse, die es ihm unmöglich machen die Wahrheit von der Lüge zu unterscheiden. Was genau ist die Wahrheit? Wie viel ist die Wahrheit wert? Wer kennt die Wahrheit und wer verschweigt sie?

Auch der Leser stellt sich bei diesem überaus spannenden Krimi die gleichen Fragen. Von den zahlreichen Befragten erfährt man gerade so viel, um ein klein wenig aufgeklärt und trotzdem im Unklaren gelassen zu werden. Und jeder von ihnen scheint ein Experte darin, einen anderen anzuschwärzen und sich selbst aus der Affäre zu ziehen.

Überaus geschickt setzt der Autor hier ein Puzzle zusammen, das selbst den pfiffigsten Krimileser an seine Grenzen bringt. Denn gerade in dem Moment, in dem man glaubt endlich etwas begriffen zu haben, tauchen neue Erkenntnisse auf, neue Erinnerungen und zuvor verborgene Details. Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt und mit unterschiedlichen Stimmen gelesen, die die einzelnen Wahrheiten und Meinungen verdeutlichen.

E. O. Chirovici überrascht hier mit einem etwas anderen Konzept, an einen Mord, einen Kriminalfall, heranzugehen. Und überrascht damit, eine unglaubliche Spannung bis zum Ende zu halten.

Also: Einmal tief durchatmen und nichts wie ran an dieses Hörbuch!


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Dienstag, 25. April 2017
Drüber gelesen: Verfilmung “Gleißendes Glück“
Fast 17 Jahre ist es jetzt her, dass ich den Roman “Gleißendes Glück“ von A.L. Kennedy gelesen habe. Nicht unbedingt viele Einzelheiten waren mir in Erinnerung geblieben, aber ein ungutes schweres Gefühl und die Gewissheit, dass es um Gewalt in einer Ehe ging. Wie und ob die Protagonistin einen Weg aus ihrem Gefängnis gefunden hat, hätte ich heute nicht mehr sagen können.

Und dann lese ich vor ein paar Wochen bei den Kinotipps meine TV-Zeitschrift einen Artikel über die Verfilmung eben diesen Romans. So bedrückend und beklemmend das Lesen des Buches damals für mich war, wusste ich doch sofort, dass ich diesen Film unbedingt haben musste. Gestern nun habe ich mir ihn angeschaut und bin froh, es getan zu haben. Denn wie der Titel schon verheißt, geht es nicht nur um Gewalt und Unterdrückung, sondern eben auch um das kleines Quäntchen Glück, dass uns Menschen manchmal zuteil wird. Da muss ich mich wohl selbst fragen, warum mir genau dieses Detail in meiner Erinnerung verborgen geblieben war.

Mit der wunderbaren Martina Gedeck und Ulrich Tukur in den Hauptrollen grandios besetzt ist der Film, wie eben auch der Roman, absolut empfehlenswert!


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Montag, 10. April 2017
Takis Würger „Der Club“
Nachdem Hans seine Eltern verloren hat, er danach eine Zeit lang im Internat verbringt, holt ihn seine Tante Alex nach England und beschafft ihm einen der begehrten Studienplätze in Cambridge. Sie brauche seine Hilfe, hatte sie gesagt, als sie nach Monaten Kontakt zu ihm aufgenommen hatte. Aber auch in Cambridge bleibt Hans vorerst einsam, denn Alex‘ Fürsorge gestaltet sich anders, als es sich der junge Mann vorgestellt hat. Zunächst fühlt Hans sich fremd in dieser für ihn neuen Welt, doch dann tritt er dem dortigen Box-Club bei und findet Anschluss zu anderen Studenten.

Über die unterschiedlichsten Beziehungen, die seine Tante spielen lässt, wird “der Deutsche“, wie man ihn nennt, in den berühmten Pit Club aufgenommen; eine der vielen sogenannten Bruderschaften. Und schon bald findet Hans sich in einer elitären und überaus snobistischen Gesellschaft wider. Er, ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen inmitten reicher junger Männer, die allesamt anderes im Sinn haben, als zu studieren. Gerade als er denkt, wirklich Freunde gefunden zu haben und irgendwie dazu zu gehören, erfährt er von einem Verbrechen, dass dort verübt wurde und bei dessen Aufklärung er behilflich sein soll.

Aus verschiedenen Perspektiven erzählt Takis Würger in seinem Debüt diese kleine Geschichte (klein, kurz aber inhaltsschwer) und wirft damit die Frage auf, wie weit man bereit ist für die Wahrheit zu gehen. Jede einzelne Figur kommt zu Wort und trägt am Ende zum Gesamtbild bei. Der Autor baut die Spannung langsam auf. Wie dem Protagonisten selbst, wird auch dem Leser nur allmählich klar, um was es hier eigentlich geht. Ist die berühmte Katze erst mal aus dem Sack, ist das Verbrechen auch schnell geklärt.

Die einzelnen Charaktere und was in den Figuren wirklich vor sich geht, bleibt leider an der Oberfläche, die einzelnen Wesenszüge zu kurz angerissen, um einen guten Eindruck der Personen zu erhalten. Die Geschichte selbst, so dramatisch und aufwühlend sie auch ist, ist zu schnell erzählt, als dass man sich in das Buch so richtig hineinfallen lassen kann. Kaum hat man ein Gespür für die Umgebung, die Menschen und deren Tun bekommen, ist der Roman schon am Ende.

Das Buch hatte es bei mir deswegen schwer, weil es in den Medien schon seit Monaten überall beworben und gelobt wurde und die Erwartungshaltung dementsprechend hoch war. Vielleicht ist das der Grund für meine leichte Enttäuschung.

Trotz allem empfehle ich diese Kriminalgeschichte, weil kurzweilig, spannend und interessant!



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Donnerstag, 30. März 2017
Julia Wolf „Walter Nowak bleibt liegen“
Walter Nowak ist Ende 60, hat seinen Betrieb für Baumaschinen verkauft und lebt mit seiner zweiten Frau Yvonne zusammen. Das alles erfahren wir etwas später im Roman. Doch zunächst geht Walter schwimmen, wie jeden Morgen, mit Ohrstöpsel und Badekappe zieht er seine Bahnen. Er ist stolz darauf noch so fit zu sein und spürt gerne das Brennen in seinen Muskeln. Als er eine junge Frau im rosa Badeanzug und ihre perfekten Armzüge beobachtet, fühlt sich Walter an der Ehre gepackt und gibt sich kurzerhand einem „Rennen“ hin. Das soll weitreichende Konsequenzen für ihn haben.

Am nächsten Tag wacht Walter auf, spät erst, zu spät um noch schwimmen zu gehen. Gedanken schwirren ihm durch den Kopf, Erinnerungsfetzen, seine Ehe, sein Sohn, seine Kindheit, Yvonne, die für einige Tage verreist ist, seine alten Kumpels, die Firma und vieles mehr. Alles scheint hin und her zu hüpfen in seinem Kopf, angefangene Gedanken mittendrin abzureißen, um an anderer Stelle wieder aufgenommen zu werden. Gegenwart und Vergangenheit verschwimmen, sind bald nicht mehr voneinander abzugrenzen. Aber Walter Nowak fühlt sich stark, will am nächsten Tag unbedingt wieder ins Schwimmbad, will weitermachen.

Als Leser sitzen wir im Kopf des Protagonisten. Die einzelnen Fetzen werden von der Autorin eindringlich in Sprache gebracht, Sätze nur halb formuliert, Satzzeichen an unüblichen Stellen angebracht. So ungewöhnlich sich das jetzt anhören mag, es macht Walters Situation nur allzu deutlich. Es dauert wohl eine Weile, so war es zumindest bei mir, bis der so oft zitierte Groschen fällt und man das Geschehene einschätzen kann. Das war etwa nach der Hälfte des Buches der Fall. Danach war für mich nichts mehr wie vorher, was ich noch am Anfang als interessant und einzigartig empfand, fing an mich leicht zu nerven und ich hab mich nicht mehr richtig wohl gefühlt in meiner Haut. Plötzlich wars mir zu dicht, zu nah.

Ein ungutes Gefühl begleitete mich beim Lesen dieses Buches. Auszüge daraus hatte ich bereits bei der Aufzeichnung des letzten Ingeborg Bachmann Preises im letzten Jahr hören können. Ich fand es faszinierend, wie Julia Wolf schreibt. Dennoch hätte ich nicht mehr als diese 150 Seiten ertragen können, weder sprachlich noch inhaltlich.

Selbst jetzt beim Rezensieren des Buches stehe ich dem Ganzen noch ambivalent gegenüber und werde sicherlich noch eine ganze Weile darüber nachdenken. Am besten ist, jeder macht sich selbst ein Bild davon!



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Mittwoch, 15. März 2017
Jan Christophersen „Schneetage“
Ende der siebziger Jahre versinken große Teile Schleswig-Holsteins im Schneechaos. Und genau da setzt Jan Christophersens Geschichte an.

In einem kleinen Ort direkt an der Grenze zu Dänemark kämpft Jannis mit seiner Familie und den Dorfbewohnern gegen die Schneemassen an. Paul, Jannis Ziehvater, wird nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. In diesem größten Chaos seit Jahren erinnert sich der junge Mann an die Vergangenheit. Erinnert sich, wie ihn vor vielen Jahren Pauls Frau, von ihm nur „Chefin“ genannt, in ihr Zuhause holt, in das einzige Wirtshaus im Ort. Damals, Paul war in den Fünfzigern gerade aus der Gefangenschaft heimgekehrt, schien die Kneipe finanziell am Ende. Doch Paul verhalf dem “Grenzkrug“ zu neuem Glanz und Ansehen. Mit viel Engagement und Geschäftssinn, dem Ausbau der angrenzenden Stallungen zu Ferienwohnungen und mit der Hilfe der ganzen Familie, kamen bald die ersten Gäste. Zunächst wurden viele Flüchtlinge aufgenommen, die wegen der unsicheren Grenzsituation nicht recht wussten wohin. Später, nachdem ein Maler für das Haus und den Ort die Werbetrommel rührte, kamen mit der Zeit immer mehr Besucher, die meisten von ihnen fortan jedes Jahr.

Und dann erinnert sich Jannis daran, wie Paul sich immer mehr von der Familie abzuwenden schien; wie plötzlich die Suche nach einer verschwundenen Insel im Watt, die vor mehr als 500 Jahren überflutet wurde, zu seinem Lebensmittelpunkt wurde. In einem Zimmer der Ferienwohnungen richtete Paul sich ein. Schuf sein eigenes kleines Museum mit Fundstücken aus dem Watt, mit Karten jeder einzelnen Hallig, die es vor der großen Flut in der Gegend noch gegeben hatte. Paul lebte in seiner eigene kleine Welt, die ihn bald zu überfordern drohte.

„Schon einmal gesehen, wie das ist, wenn ein Damm bricht? Wie zunächst nur eine Welle über die Krone leckt und schäumend auf der Rückseite herunterfließt? Sieht erst gar nicht so schlimm aus. Das wiederholt sich, immer wieder, bis der Deich durchgeweicht ist und das erste Stück herausbricht. Ich sage Ihnen, wenn man das sieht, versteht man, was es heißt, Angst zu haben.“ (Seite 330)

Sehr einfühlsam und ruhig erzählt der Autor vom Leben einer Familie, in der jedes Mitglied seinen Platz findet. In jeden einzelnen kann sich der Leser einfinden und schließt schnell alle in sein Herz. Und hinter der Familie Tamme beleuchtet Jan Christophersen sehr genau und nachvollziehbar die Grenzsituation zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark, in der bis heute noch eigene Gesetze gelten. Auch der Hintergrund der großen Flut, die viele Inseln in der Nordsee ertränkt hat ist sehr interessant und hat mich immer wieder dazu veranlasst, die Tatsachen dieses Teils deutscher Geschichte im Internet nachzulesen. Und wieder bin ich ein bisschen schlauer geworden!

Alles an diesem Roman ist außergewöhnlich: der Erzählstil, die Zeitsprünge, die anfangs zu viel Verwirrung gesorgt haben, die Figuren und der Bezug zur Realität. Man sollte nicht mit großen Begebenheiten und Ereignissen in diesem Roman rechnen. Der Autor bleibt sachte in seiner Sprache, drückt mehr im Schweigen als im Reden aus, beobachtet aus den Augen des Icherzählers Jannis und schafft eine geradezu bildhafte Atmosphäre, die vor meinem inneren Auge noch lange Bestand haben wird.


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