Montag, 30. September 2013
Justin Torres „Wir Tiere“
Die drei Brüder, 7-10 Jahre alt, teilen alles, halten zusammen, und erleben traurige wie schöne Zeiten. Oft von den sehr jungen Eltern unbeaufsichtigt, die Mutter war erst 14 bei der Heirat mit dem hitzigen Puerto Ricaner, mischt sich Gewalt in ihr gemeinsames Spiel. Diese kennen sie von zu Hause; dort wird sich nicht nur leidenschaftlich geliebt, sondern auch gehasst und geschlagen. Nicht selten vor den Augen der Brüder. Während die Eltern versuchen, sich und die Kinder im eher armseligen Milieu durchzuschlagen, bleiben diese häufig auf sich gestellt. In dieser Zeit benehmen sie sich manchmal wie Tiere: sie fangen sie, quälen sie, fallen wie Heuschrecken in anderer Leute Gärten ein oder umringen den neuen Pick-up des Vaters „wie schlecht erzogene Hunde“. Sie beobachten ihre Eltern, ohne deren zuweilen exzessives Verhalten so richtig zu verstehen, dennoch kopieren sie es. Sie sehen „Ma“ und „Paps“ sich prügeln, aber auch wie sie sich körperlich lieben.

Der Autor beschreibt seine Charaktere anhand deren Verhalten; dessen was sie tun, oder auch nicht tun. Man liebt und hasst sie gleichermaßen. Zunächst glaubt man sich dennoch in der Erzählung einer typisch amerikanischen Familie zu befinden, die in armen Verhältnissen lebt. Die Situationen, die vom Jüngsten der Brüder geschildert werden sind mal lustig, mal anrührend und mal beängstigend; wie im richtigen Leben eben. Irgendwann allerdings kippt diese Stimmung. Sie wird gefährlicher, ernsthafter. Dunkle Ahnungen, die sich beim Lesen vielleicht schon angedeutet hatten, werden plötzlich klarer. Ab jetzt kann man nicht mehr wegsehen, obwohl man hofft, dass sich diese Ahnungen nicht bewahrheiten.

Dieser „Bruch“ in der Wahrnehmung des Gelesenen passiert schleichend. Sogar die Sprache ändert sich mit der Zeit. Plötzlich, ohne dass man es auf Anhieb begreift, spricht einen der Erzähler geradezu an, man wird zum Zeugen, ja vielleicht sogar mit in die Verantwortung gezogen für das Geschehene. Justin Torres ist unheimlich geschickt darin, den Leser zu lenken, ihn emotional zu manipulieren, bringt uns gedanklich an einen Punkt, wo man eigentlich nicht hin will. Er lässt uns zwischen den Zeilen lesen und baut eine unglaubliche Spannung auf, die einen sofort in Bann zieht, von der ersten Seite an.

Nur wenige Stunden hat es gedauert diesen schmalen aber inhaltsschweren Roman zu lesen, aber mindestens ebenso viele Stunden habe ich über das Gelesene nachgedacht, ja sogar im Buch zurückgeblättert, um sicher zu gehen, nichts überlesen zu haben. Auch wenn es mich tief betroffen zurücklässt, wird es eines der ganz seltenen Bücher sein, das ich noch einmal lesen werde!

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