Donnerstag, 20. Dezember 2012
Gabriele Goettle: „Der Augenblick“
Die Journalistin Gabriele Goettle hat zusammen mit der Buchillustratorin und Autorin Elisabeth Kmölniger Gespräche mit 26 Frauen geführt. Diese Reportagen wurden zwischen 2007 und 2009 in der „taz“ bereits veröffentlicht und hier zu einem ungewöhnlichen Buch zusammengefasst.

Die Augenblicke, die Kapitel des Buches, beschäftigen sich mit ganz unterschiedlichen Menschen, ausschließlich Frauen. Jedes einzelne Interview beginnt mit einer kurzen Biographie. Danach erzählt die „Befragte“ aus ihrem Leben, was es ausmacht, was sie daraus macht und was ihr wichtig ist. Allen gemeinsam ist eine gute Schulbildung, ein hohes Maß an Eigeninitiative und Eigenverantwortung und eine meist akademische Laufbahn. Jede dieser Frauen ist beruflich wie privat selbständig und unabhängig. Jede definiert sich mehr oder weniger über ihren Beruf.

Goettle bietet unter anderem Einblick in so interessante Leben wie einer Körperhistorikerin, einer Präparatorin, einer Anwältin und einer Bienenforscherin. All diese Frauen engagieren sich in Beruf, politisch wie sozial und haben wirklich was zu erzählen. Und haben was zu sagen. Ein Querschnitt unserer Gesellschaft stellen diese allerdings nicht dar. So spricht Goettle hier leider nur eine bestimmte Klientel von Lesern an, was ich durchaus schade finde.

Auf der einen Seite ist es natürlich interessant unterschiedliche Milieus kennenzulernen, wie sie hier beschrieben sind. Spannend und authentisch erzählt. So verkehrt sich hier der Ausspruch „man legt das Buch nicht mehr aus der Hand“ –eine Beschreibung derer ich mich selbst bei Rezensionen oft bediene- ins Gegenteil. Ich legte es weg nach jedem Kapitel, weil ich nicht umhin kam, eine Weile über das Gelesene nachzudenken, über den eigenen Platz, das eigene Engagement und die eigenen Möglichkeiten die Welt mitzugestalten. Fast zu schade, um es alleine zu lesen, denn es bietet eine Menge Gesprächsstoff.

Auf der anderen Seite brauchen wir jetzt noch jemanden, der die alleinerziehende Hartz-4 Empfängerin interviewt, die sich in ihrer Jugend mit Prostitution ihren Drogenkonsum gesichert hat, den Müllmann, der die Schule frühzeitig abgebrochen hat, um seinen kranken Vater zu pflegen und die alleinstehende Altenpflegerin, die nach Feierabend nicht zu müde ist, noch zum Speeddating zu gehen. So würde ein Ganzes daraus!

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Dienstag, 11. Dezember 2012
Zum 75. Geburtstag des Lyrikers Robert Gernhardt
Am kommenden Donnerstag, dem 13. Dezember, wäre Robert Gernhardt 75 Jahre alt geworden. Leider ist er bereits im Sommer 2006 an schwerer Krankheit verstorben. Ein wirklich großer Verlust!

Von ihm gehört habe ich bereits in den frühen 80er Jahren. Da tauchte sein Name im Zusammenhang mit Sketchen von Otto Waalkes auf. Als Anhänger dessen Humors fand ich heraus, dass vieles aus der Feder von Robert Gernhardt stammte. Kurz darauf sah ich im Hessischen Fernsehen ein Porträt des für mich außergewöhnlichen Künstlers und war sofort begeistert. In den 60er Jahren hatte er für die Satirezeitschrift „Pardon“ geschrieben und später für die „Titanic“. Er war Maler, Schriftsteller und ein begnadeter Karikaturist.

Was mich an Robert Gernhardt so fasziniert, ist die Vielseitigkeit seines Könnens, sowie seiner Ausdrucksstärke. Witzig, satirisch, ironisch und manchmal fast böse auf der einen Seite, auf der anderen unglaublich einfühlsam, emotional, nachdenklich mit einer Spur Melancholie. Denn er hat sich nicht nur dem Humor verschrieben, den er in etlichen Fersen, Gedichten und Reimen in der Manier Ringelnatz’ oder Wilhelm Buschs zu Papier gebracht hat. Auch ernsthafte Gedichte und Lyrik hat er in seinen späteren Werken veröffentlicht. Immer mit einem Sprachgeschick, das seines Gleichen sucht. Robert Gernhardt verstand es wie kein anderer mit Worten zu spielen, zu experimentieren, sie zu verdrehen und doppeldeutig anzuwenden; Wortakrobatik sozusagen.

Als langjährigem Frankfurter wurde ihm zu Ehren 2008 der Robert-Gernhardt-Preis ins Leben gerufen, der alljährlich an aufstrebende hessische Autoren vergeben wird.

Es gäbe noch so viel über diesen Menschen zu sagen, aber das würde hier den Rahmen sprengen. ICH bin glücklich darüber, dass ich ihn mehrmals live auf Lesungen erleben durfte. Mir wird Robert Gernhardt immer in Erinnerung bleiben, nicht zuletzt, weil ein großer Teil seiner Werke mein Bücherregal zieren.

Hier ein Ausschnitt aus einem frühen Werk namens „Animalerotica“:

Zur Nachtzeit fasst der Kormoran
zu gern die Kormoranin an,
die dieses, wenn auch ungern, duldet,
da sie ihm zwei Mark fünfzig schuldet.

Ob humoristisch oder ernst, Gernhardt-Lesen macht immer Spaß!

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Dienstag, 4. Dezember 2012
Arnold Thünker: „Verlangen nach Freundschaft“
Jakobs letzte Station auf seiner Reise durch Amerika ist New York. Um die Zeit bis zu seiner Rückreise nach Deutschland zu überbrücken, nimmt ihn Faunus, ein reicher, homosexueller, in die Jahre gekommener Mann in seiner Wohnung im East End auf und vermittelt ihm einen Job in einem Antiquariat. Faustus erzählt Jakob aus seinem Leben, seiner Kindheit und der Krankheit, die immer wieder ausbricht. Als Sohn einer niederländischen Kolonialisten Familie verbrachte er einige Zeit in einem Straflager in Japan. Diese Erfahrung und sein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Vater haben ihn geprägt. Es entwickelt sich eine Art Freundschaft. Faunus lässt Jakob an seinem Leben teilhaben und stellt ihn seinen Freunden und Bekannten vor.

Bis hierher ein durchaus interessanter Roman. Doch dann wird Jakob, „der junge Deutsche“, wie sie ihn nennen, irgendwie rumgereicht. Er gerät in allerlei Geschichten. Klischeehaft, wie man sich Manhattan in den 80ern vorstellt, besucht Jakob fortan regelmäßig einen Aidskranken, hilft einer jungen Frau Lebensmittel für Obdachlose auszuteilen, unterstützt einen etwas verrückten Künstler bei seiner Ausstellung und begleitet Faunus bei seinen Einladungen einer doch ziemlich verstaubten „besseren Gesellschaft“. Zwar findet sich der rote Faden der Erzählung am Ende wieder, aber die wahllose Aneinanderreihung von Schicksalen und Anekdötchen wirken eher ermüdend.

Ein Roman über Menschen, oder vielmehr über Aktivitäten dieser Menschen, ohne jeglichen Tiefgang. Arnold Thünker beherrscht die Sprache für einen Roman, aber nicht das Geschick den Leser zu fesseln. Die Charaktere bleiben oberflächlich, man erfährt von ihnen nichts. Jakob, der Protagonist des Buches, spricht nicht, denkt nicht, fühlt nicht; er bleibt starr und hölzern wie eine Schachfigur.

Ich frage mich: Warum schreibt ein Autor ein Buch über Menschen ohne ihnen Leben einzuhauchen, ohne etwas von ihnen zu erzählen UND wer ist eigentlich Jakob?

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Freitag, 30. November 2012
Drüber gelacht: Loriot zum Advent
Übermorgen beginnt sie also, die besinnliche Zeit. Im Stillen bin ich ein Bewunderer all derer, für die das wirklich so zutrifft. Die sich frei machen von Kommerz und Hektik, von Vorbereitungsstress für Familienfeiern und vom Weihnachtsmarkthopping. Vielleicht gibt es sie wirklich, die Menschen, die diese Zeit als besinnlich empfinden. Die beneide ich.
Denn mir will es einfach nicht recht gelingen, das mit der Besinnlichkeit. Draußen ist's trübe und dunkel, ich werde zugeschüttet mit Spendenaufrufen (die natürlich wichtig sind, allerdings nicht nur zu Weihnachten), überall Howhowhows der Weihnachtsmänner, glitzernde Werbung im TV für Parfüm, Spielzeug und Manschettenknöpfe, Geruch von fettigem Essen auf dem nächsten Weihnachtsmarkt und Betrunkene, die sich am Glühwein gütlich getan haben.

Um aber nicht ganz zur Spaßbremse zu mutieren, habe ich beschlossen, das Ganze mit Humor zu nehmen und mich mal ordentlich auf die Adventszeit und Weihnachten zu belachen. Und das geht am besten mit diesem garstigen Gedicht von Loriot:

ADVENT
(aus: LORIOTs HEILE WELT, Diogenes/
Loriot, alias Vicco von Bülow)

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis herniedersinken.
Auf Edelmännleins grünem Wipfel
Häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.
Und dort vom Fenster her zerbricht
Den dunklen Tann ein warmes Licht.
Im Forsthaus kniet bei Kerzenschimmer
Die Försterin im Herrenzimmer.
In dieser wunderschönen Nacht
Hat sie den Förster umgebracht.
Er war ihr bei des Heimes Pflege
Seit langer Zeit schon sehr im Wege.
So kam sie mit sich überein:
Am Niklasabend muss es sein.
Und als das Rehlein ging zur Ruh,
das Häslein tat die Augen zu,
erlegte sie direkt von vorn
den Gatten über Kimm und Korn.
Vom Knall geweckt rümpft nur der Hase
Zwei-, drei-, viermal die Schnuppernase
Und ruhet weiter süß im Dunkeln,
derweil die Sternlein traulich funkeln.
Und in der guten Stube drinnen
Da läuft des Försters Blut von hinnen.
Nun muss die Försterin sich eilen,
den Gatten sauber zu zerteilen.
Schnell hat sie ihn bis auf die Knochen
Nach Waidmanns Sitte aufgebrochen.
Voll Sorgfalt legt sie Glied auf Glied
(was der Gemahl bisher vermied)-,
behält ein Teil Filet zurück
als festtägliches Bratenstück
und packt zum Schluss, es geht auf vier,
die Reste in Geschenkpapier.
Da tönts von fern wie Silberschellen,
im Dorfe hört man Hunde bellen.
Wer ist’s, der in so tiefer Nacht
Im Schnee noch seine Runde macht?
Knecht Ruprecht kommt mit goldnem Schlitten
Auf einem Hirsch herangeritten!
„He, gute Frau; habt ihr noch Sachen,
die armen Menschen Freude machen?“
Des Försters Haus ist tief verschneit,
doch seine Frau steht schon bereit:
„Die sechs Pakete heil’ger Mann,
‚s ist alles was ich geben kann.“
Die Silberschellen klingen leise,
Knecht Ruprecht macht sich auf die Reise.
Im Försterhaus die Kerze brennt,
ein Sternlein blinkt – es ist Advent.

Allen einen schönen Advent!

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Freitag, 23. November 2012
Von gehört: Buchverfilmung: Tiziano Terzani „Das Ende ist mein Anfang“
Am Samstag zeigt die ARD im Rahmen seiner Themenwoche die Verfilmung des 2007 erschienen Buches von Tiziano Terzani „Das Ende ist mein Anfang“.

In der Autobiographie des Journalisten und Asienkorrespondenten Terzani ruft dieser seinen Sohn Folco zu sich, um ihm kurz vor seinem Tod seine Lebensgeschichte zu erzählen und so das angespannte Verhältnis zwischen Vater und Sohn zu klären. Es kommt zu einem Interview, das später als Buch veröffentlicht werden wird. Der Sohn wird folglich nicht nur Zeuge einer ungewöhnlichen Existenz, sondern wird Teil eines Sterbensprozesses und einer inneren Einkehr. Denn nach all dem Schrecklichen, nach Krieg und politischen Unruhen, die sein Vater miterlebt hat, ist er jetzt unheilbar krank. Aber anstatt seinem ereignisreichen Dasein nachzutrauern, vermittelt er Folco Mut und Zuversicht über den eigenen Tod hinaus. Mit eindrucksvoller Gelassenheit, philosophischer Einsicht und einem fernöstlich, religiösen Blick lässt Tiziano Terzani sein Leben Revue passieren und geht seinen Weg in einen freien, würdigen Tod.

Ein großartiges Buch!

Nun vertrete ich keinesfalls uneingeschränkt die Meinung, ein Buch sei besser als der Film, doch in diesem Fall stimme ich der These absolut zu. Ich habe ihn bereits als Video gesehen und war enttäuscht. Bruno Ganz gibt den Journalisten zwar sehr glaubhaft, doch fehlt dem Film meiner Meinung nach trotz des Themas die Lebendigkeit. Die politischen wie privaten Rückblicke und Erinnerungen bleiben im Film einfach nur erzählt, während einem beim Lesen Bilder vermittelt werden, die deutlicher und einfühlsamer nicht sein könnten. Irgendwie paradox!

Mein Rat: Buch lesen, Film lassen!

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Mittwoch, 21. November 2012
Heinrich Steinfest: „Das himmlische Kind“
So einiges habe ich aus diesem Roman gelernt, so z.B. ein Stück vom Realismus einer Geschichte zurückzutreten, um das Große und Ganze darin zu erkennen. Denn zwar vieles, aber nicht alles entspricht hier einer Wirklichkeit, wie man sie kennt. Heinrich Steinfest erzählt die tragische Geschichte zweier Waisenkinder, die in einer Waldhütte versuchen zu überleben. Nicht nur Krankheit, sondern auch den Verlust der Mutter, die sich im Beisein ihrer beiden Kinder mit dem Auto in einen abgelegenen See gestürzt hat. Sie ertrinkt, die Kinder überleben. Und er erzählt die Geschichte so poetisch und gleichermaßen fantastisch, dass man das Buch nicht mehr weglegt.

Die beiden Halbwüchsigen, besonders die überaus intelligente wie altkluge 12jährige Miriam, die so jedem Klischee eines typischen Mädchens entspricht, wachsen in ihrem „Exil“ über ihre eigenen Fähigkeiten hinaus. Nicht zuletzt, weil Miriam ihrem kleinen Bruder Elias ein modernes Märchen so anschaulich zu erzählt vermag, das es ihm unmöglich macht, nicht zu überleben.

Ich würde Heinrich Steinfests „himmlisches Kind“ als philosophisches Märchen bezeichnen, das zeigt, dass nicht der Tod das Schlimmste ist, sondern das Sinnvolle darin besteht, wie die Überlebenden aus einer solchen Situation heraustreten.

Die Art der Sprache schaffte bei mir das Gefühl nicht genau gewahr zu sein, ob es sich hier um einen Traum handelt. Ähnlich wie die Protagonistin selbst traut man als Leser seinen eigenen Wahrnehmungen nicht mehr. Es bleibt einem nur, das Gelesene hinzunehmen und abzuwarten, was daraus wird.

Und es wird! Soviel kann ich versprechen!

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Donnerstag, 15. November 2012
Drüber gelacht: Neues von Axel Hacke
„Humor ist die Begabung eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen.“ (lt wikipedia)

In der heutigen Zeit, an jeder Ecke ein Comedian, scheint es leicht, die Menschen zum Lachen zu bringen. Für mich war das leider nie so. Dennoch gibt es da ein paar „Auserwählte“ ,über die ich wirklich lachen kann. Einer davon ist Axel Hacke. Er ist Schriftsteller und Kolumnist und hat in seinem Leben schon einige Preise für seine Bücher, Hörspiele und Werke erhalten. Absolut verdient, meiner Meinung nach!
Spätestens bekannt wurde Axel Hacke durch seine Bücher über „König Wumbaba“, Bücher übers Verhören. Mittlerweile gibt es eine Trilogie.
Nach dem ersten Buch bekam Axel Hacke so viele Zuschriften von Lesern und Fans, die alle eine Geschichte erzählen konnten, in der jemand ein Lied oder einen sonstigen zu Gehör gebrachten Text falsch verstanden hatte. Wir alle kennen das doch, dass man gerade bei englischen Songtexten früher lautstark mitgeträllert hat, ohne die Worte so richtig zu verstehen. Erst nach dem gelesenen Text, wurde klar, was der Interpret tatsächlich gesungen hat. So gibt es einen Bekannten, der, als er das Lied der Fußballfans der Frankfurter Eintracht „Auf geht’s Eintracht, schießt ein Tor……die ersten Male hörte, fälschlicherweise verstand: „Auf geht’s Eintracht, si Senior! Und sich ernsthaft fragte, was das denn alles mit Spanien zu tun hat. ;)))
Das sind Sachen, darüber kann ICH lachen!

Jetzt gibt’s einen neuen Hacke: „Oberst von Huhn bittet zu Tisch“. Hier geht es um Speisekarten aus aller Welt, auf denen versucht wird, die Gerichte ins Deutsche zu übersetzen. Und dann sieht das so aus: Aus „onion rings“ wird „Zwiebel ruft an“, aus filetto al pepe verde „Ich schneide ein Gewinde zum grünen Pfeffer“. Also ich finds zum Schreien komisch!

ABER jeder versteht schließlich unter Humor etwas anderes, und das ist gut so!

Hier gibt’s mehr zum Lachen:
http://www.axelhacke.de

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Dienstag, 13. November 2012
Anne Enright: „Das Familientreffen“ Hörbuch
gelesen von Anna Thalbach

Die Irin Veronica Hegarty bereitet in ihrem Elternhaus die Beerdigung ihres Bruders vor. Ihre Mutter ist dabei nur bedingt erinnerungsfähig. Ganz anders Veronica. Immer mehr drängen sich ihr Bilder auf, von denen sie nicht sicher ist, ob sie der Wirklichkeit entsprechen. Oder passierte alles nur in ihrer Phantasie? Die Kinder der Hegarty‘s wuchsen bei den Großeltern auf. Dort macht die achtjährige Veronica eine Beobachtung, die nicht nur ihr Leben verändert. Später ist sie sich sicher, dass genau dieses Ereignis zum Selbstmord ihres Bruders geführt haben muss.
Ihre Gedanken pendeln zwischen Kindheitserinnerungen, der Ehe mit Tom, die am Abgrund steht und ihren Töchtern. Und ihr Verhältnis zu alldem. Zu ihrer Familie, ihrem Unvermögen mit ihnen zu reden. Hätte sie damals doch nur nicht geschwiegen!

Die Ich-Erzählerin verstrickt sich während des Romans in ihre eigene zurechtgerückte Welt. Sie ist nicht nur unsicher, was die Wahrheit angeht, sie scheint sie auch ganz gerne zu verdrehen, sich zeitweise in Lügengebäuden zu bewegen. Diese Zerrissenheit vermittelt Anna Thalbach sehr glaubwürdig. In einem schon fast schnodderigen Ton liest sie nicht nur, sondern versucht ihrer Protagonistin Lebendigkeit einzuhauchen.

Die Erzählabschnitte springen in der Zeit so schnell hin und her, dass es einem oft verborgen bleibt, wo sich Veronica gerade befindet; in welcher Zeit, an welchem Ort. Mag sein es lag daran, dass ich während des Hörens mehrfach in einen tiefen Schlaf gefallen bin, was aber dann auch nicht unbedingt für den Roman spricht. Anna Thalbachs Kleinmädchenstimme war für mich leider schon nach einer Stunde unerträglich. Vielleicht hätte ich doch besser das Buch selbst gelesen!

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Mittwoch, 7. November 2012
Bodo Kirchhoff „Die Liebe in groben Zügen“
Vila und Renz führen ein wohlhabendes Leben: eine Stadtwohnung in Frankfurt, ein Sommerhaus am Gardasee, beide beim Fernsehen tätig, Geld und Porsche, an nichts fehlt es. In ihrer über 30jährigen Ehe haben sie sich gemütlich eingerichtet. Ihr ritualisiertes Dasein dreht sich um Freunde, Beruf, gelegentlichen Sex, die Sommer am See und Weihnachten in Jamaika. Beide pflegen Affären, „Weil zu wenig dagegen sprach. Und zu viel dafür.“ Aber plötzlich ist da Bühl, der Mieter des Hauses über den Winter und die gutaussehende Marlies, Producerin und Kollegin Renz‘. Und es ist Liebe. Für Vila gibt es fortan ein Bühl’sches Leben und ein Renz’sches. Nicht vereinbar, aber auch nicht trennbar.
Alles beginnt wie ein frischer Morgen, reinigend, neu, anders. Aber auch Bühl und Marlies haben eine Vorgeschichte und ein Leben, das auf verquere Weise in Verbindung zu stehen scheint. Die Hoffnung auf ein Enkelkind lassen Vila und Renz eine letzte Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch dazu kommt es nicht. Als Marlies an Krebs erkrankt, begleitet Renz ihren Leidensweg. Vila hingegen blüht auf in ihren heimlichen Telefonaten mit dem Mieter und dem erfüllenden Sexleben mit ihrer neuen Liebe. Sie wirkt verjüngt und ausgetauscht, „nah am Glück“. Mit Bühl begibt sie sich auf eine Reise zu ihrer Tochter nach Havanna, auf den Spuren von Franz von Assisi durch Italien und in ihre Jugendzeit. Denn schon lange hat sie sich nicht mehr so jung und begehrt gefühlt. „Welche Frau will keine Venus sein mit Ende vierzig.“
Aber die Jahre mit Renz haben natürlich Spuren hinterlassen, die sie nicht einfach wegwischen kann. Wohin auch immer sich beide bewegen, Vila und Renz, gehören sie doch irgendwie zueinander.

Was ist Liebe, wo beginnt Liebe, wo endet sie? Darum geht es in diesem 700seitigen Roman. Alles, was ich dazu sagen kann, klingt farblos und hohl neben Bodo Kirchhoff’s Sprachgewaltigkeit. Sein Erzählstil in groben Zügen schafft beim Lesen eine ganz besondere Atmosphäre; als beschreibe er einzelne Bilder aus den Leben seiner Protagonisten.
Kirchhoff schreibt unglaublich schöne Sätze über Liebe, ohne auch nur im Entferntesten schnulzig zu klingen. Einfühlsam und sensibel, aber auch ungeschönt und geradeheraus spricht der Autor über das alltägliche Erleben. Über Wünsche und Sehnsüchte des Liebens und Geliebt Werdens.

Für mich hätten es gerne 100 Seiten weniger sein können. Die Hintergrundgeschichte über Franz von Assisi, sicherlich ein gelungener Einfall des Schreibers, ist meines Erachtens zwar nachvollziehbar, aber für einen solch guten Roman nicht notwendig. Wenn auch sonst thematisch ein wenig überfrachtet, steht doch eins für mich fest:
Bodo Kirchhoff trifft hier bei jedem Thema den richtigen Ton!

Absolut lesenswert!

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