Montag, 5. März 2018
Mareike Fallwickl „Dunkelgrün fast schwarz“
Wie oft im Leben schweigen wir, wo wir eigentlich reden müssten? Doch gerade die Dinge, die wir nicht sagen, um andere zu schützen oder weil wir selbst die Konsequenzen dessen nicht tragen wollen, entpuppen sich nicht selten als die wichtigsten. Die Autorin Mareike Fallwickl zeigt uns aber eine weitere Möglichkeit des Ausdrucks. In ihrem Debütroman ist alles Farbe, Geräusch, Geruch, Spürsinn und Gefühl. Mit allen Sinnen, mit Verstand und vor allem mit viel Herz erzählt sie die Geschichte einer verhängnisvollen Freundschaft.

Als Vierjährige begegnen sich Raffael und Moritz auf dem Spielplatz eines Bergdorfes in Österreich. Beide sind auf ihre Art anders, außergewöhnlich (dem Wie und in welchem Maße möchte ich hier nicht vorgreifen) und so unterschiedlich, wie zwei Menschen nur sein können. Der eine kühl und berechnend, der andere ängstlich und sensibel. Vielleicht gerade wegen dieser Ungleichheit docken sie nahezu aneinander an und bilden auf Anhieb ein untrennbares Gespann. Auch deren Mütter, die sich beide im Ort nicht recht wohl fühlen können, scheinen sich gesucht und gefunden zu haben. Marie allerdings, und davon ist sie mehr und mehr überzeugt, glaubt in Raffael nicht den besten Umgang für ihren Sohn Moritz gefunden zu haben; ist fähig hinter seine Fassade zu schauen.

Einige Jahre später findet sich Johanna als letztes Puzzelteil in die Gemeinschaft ein. Mit ihrer tiefen Traurigkeit, die sie durch Coolness zu verstecken sucht, passt sie hervorragend in den Bund der Freunde. Die drei Jugendlichen bilden fortan ein Dreieck, an dessen Spitze sich Raffael zu positionieren versteht. Es entsteht eine Dynamik, in der jeder von ihnen seinen Platz findet. Als vierte im Bunde, wenn auch etwas außerhalb, steht Moritz‘ Mutter Marie, die sorgenvoll die Entwicklung der drei Jugendlichen verfolgt. Sie hat aber auch selbst eine Geschichte zu erzählen, ihre Geschichte und fragt sich bald, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.

„Ein Zorn, den man nicht haben darf, der einem vom anderen aberkannt wird, ist kühl und blau und halbflüssig, er hat eine Konsistenz wie Pudding, füllt den Kopf aus und das Herz.“ (Seite 118)

2017: 16 Jahre sind vergangen, als alle wieder aufeinander treffen und zunächst scheint es, als habe der Zusammenhalt von damals nicht an Kraft verloren. Doch dann verändert sich etwas, lange Verschwiegenes wird endlich ausgesprochen und die Vergangenheit vermischt sich mit der Gegenwart.

Die Autorin nimmt den Leser mit auf eine Reise, die man, hat man sie erst einmal angetreten, nicht mehr unterbrechen will. Die Neugierde auf das Ziel dieser Reise wird übermächtig und schon lange nicht mehr hat mich ein Roman in diesem Maße in Anspruch genommen, zeitlich und vor allem emotional. Das “Spiel“ der Protagonisten, dass sich um Liebe, Sehnsucht, Zusammenhalt, aber auch um Machtausübung und Manipulation rankt, ist überaus fesselnd und spannend beschrieben. In jede der Figuren wird tief hineingeschaut, tief hineingefühlt und uns nahe gebracht, wie und wodurch diese Menschen geworden sind, wie sie sind.

Mareike Fallwickl wechselt die Zeitebenen ebenso wie die Perspektiven. Ihre Sprache ist Lyrik, Musik, ist wie ein Fluss, der jeden Leser mit sich reißt.

„In der Nacht ist das Sehnen am größten. Es schwebt. Es wartet und gleitet und tropft. Lauwarme, speichelförmige Tropfen lässt es auf Jo fallen, bis sie bedeckt ist mit einem Netz aus Nässe und Drängen. […] Das Sehnen ist stark, und wenn Jo einschläft, sich fortgräbt vom Speichelregen, kann es sein, dass das Sehnen sie würgt.“ (Seite 51)

Glückwunsch zu diesem absolut gelungenen Romandebüt!


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