Dienstag, 9. Juli 2019
Rebecca Hunt „Everland“
1913 entdeckt man eine kleine Insel in der Antarktis und entsendet von einem Segelschiff aus ein Team von drei Personen, um die Insel zu erkunden, geologische Proben zu nehmen und sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Schon bald ist der Name für dieses neue Eiland gefunden: Everland. Als Leiter des Teams wird der erste Offizier Napps benannt, begleitet vom erfahrenen Matrosen Millet-Bass und dem jungen Wissenschaftler Dinners. Warum ausgerechnet dieser unerfahrene „Grünschnabel“ den Zuschlag für die Expedition bekommt stößt bei den Besatzungsmitgliedern auf Unverständnis. Wetten werden abgeschlossen, wie lange dieser wohl auf Everland überleben möge. Kaum auf der neuen Insel angekommen, häufen sich die Probleme, menschlicher und witterungsbedingter Natur.

Fast 100 Jahre später, 2012, reist noch einmal ein Schiff in Richtung Everland. Teils auf den Spuren der ersten Entdeckung, aber auch um biologische Forschung zu betreiben. Die Tiere der Antarktis sollen gezählt und markiert und eventuelle Bewegungen der Eisberge dokumentiert werden. Wieder wird ein Team von drei Personen mit kistenweise Proviant auf der Insel abgesetzt. Mit dabei und Chef des Teams: Degger. Für ihn wird dies die letzte Expedition sein bevor er sich in den wohlverdienten Ruhestand zurückzieht. Zweite im Bunde: Jess, die jüngste unter ihnen, erprobte Assistentin der Feldforschung, fleißig, zupackend, und geradeheraus. Und auch hier wieder eine Unerfahrene: die Wissenschaftlerin Brix, die unter den anderen einen schweren Stand hat. Abermals kriselt es in der kleinen Arbeitsgemeinchaft.

In einem Interview mit ihrem Verlag Luchterhand erklärt die Autorin Rebecca Hunt, sie wolle die Handlung ihres Romans „in zwei verschiedene Zeitebenen aufteilen, in denen sich das Rätsel parallel entwickelt und gleichzeitig auflöst.“ Und genauso ist es ihr gelungen. Die Erzählstränge wechseln mit jedem Kapitel zwischen 1913 und 2012 und bewegen sich auf ein gemeinsames Ende zu.

Die eisige Landschaft der Antarktis beschreibt sie außerordentlich bildhaft, die Figuren menschlich und authentisch. Durch die Dreierkonstellation der beiden Teams entstehen immer wieder Allianzen, die aber durch die Geschehnisse stetig wechseln. Wie bei einem Eisberg, dessen größter Teil unter der Meeresoberfläche liegt, verbirgt sich das Wesentliche dieses Textes zwischen den Zeilen und dem Umgang der Personen miteinander. Die Urgewalten von Mensch und Natur erschweren beide Expeditionen. Es kommt nicht nur zu extrem rasch wechselnden Wettereinflüssen, sondern die Befindlichkeiten der sehr unterschiedlichen Charaktere gefährden letztendlich die Vorhaben.

Ich würde dieses Buch weniger als Abenteuerroman bezeichnen, sondern als Psychogramm der Menschheit, die sich offensichtlich in 100 Jahren nicht wesentlich verändert hat. Die Gleichartigkeit der Verhaltensmuster sticht als besonderes Merkmal aus der Handlung heraus; meiner Meinung nach der wichtigste Aspekt. Kontroverse Meinungen habe ich seit Erscheinen des Buches verfolgt. Viele von ihnen kann ich gut nachvollziehen, andere nicht. „Everland“ ist wohl eins der Bücher, über das man sich unbedingt selbst ein Urteil bilden sollte. Für mich war die Lektüre ein wahrer Hochgenuss.


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