Donnerstag, 1. November 2018
Jan Kjærstad „Das Norman-Areal“
„Nach diesen Stunden,[…], wurde mir klar, dass das Lesen einen immer weiter gestaltet, auch wenn man sich als fertig entwickelt betrachtet.“ (Seite 64)

John Richard Norman ist angesehener Lektor in einem norwegischen Verlag, immer auf der Suche nach neuen Romanen und guten Autoren. Er wäre sicher auch weiterhin sehr erfolgreich, überfiele ihn nicht plötzlich beim Lesen jeglicher zeitgenössischer Literatur eine bis dahin unbekannte Übelkeit. Nicht mehr imstande eingehende Manuskripte zu bearbeiten, nimmt John eine Auszeit und bezieht das Ferienhaus seines Freundes auf einer kleinen Schäreninsel. Mit Blick aufs Meer, im Schaukelstuhl sitzend, versucht er mit viel Ruhe und Entspannung seine Krise zu überwinden.

Beim Einkaufen im kleinen Lebensmittelladen trifft er zum ersten Mal Ingrid. Einige Treffen und Tage später sind die beiden ein Liebespaar und verbringen viele Stunden mit Spaziergängen über die Insel oder mit leidenschaftlichem Sex. In Ingrid scheint John die Partnerin gefunden zu haben, nach der er so lange gesucht hat. Seine Lesekrise rückt in den Hintergrund, bis ein Kollege aus dem Verlag ihm einige Manuskripte bringt und ihn bittet, das Beste davon für einen Literaturpreis herauszusuchen. Zunächst zögerlich nähert sich der Lektor den Schriftstücken.

Der Ich-Erzähler John Richard Norman springt in den Zeiten hin und her und spricht im Text eine Person an, von der wir Leser später im Buch erfahren. Er berichtet von seiner Kindheit, in der er die Liebe zu guten Büchern gefunden hat, von einem Jahre zuvor geschehenen Autounfall, bei dem er den Neurologen Dr Lumholtz kennengelernte (dieser sollte bei weiteren Untersuchungen eine Ungewöhnlichkeit auf Johns Schädel-CT entdecken), zieht immer wieder Vergleiche aus Büchern berühmter Literaten heran, lässt uns teilhaben an Textausschnitten für zukünftige Romane und hüpft letztendlich immer wieder hin zu seiner Zeit mit Ingrid und ihren exzessiven Liebesnächten.

Für Liebhaber schöner und anspruchsvoller Sprache ist dieser Roman ein absolutes Schmankerl, für Liebhaber der Literatur ein weiteres. Der Protagonist allerdings ist etwas schräg; mögen muss man ihn nicht unbedingt, aber man kann. Auch wenn ich zwischendurch immer wieder dachte “was will er nur mit seinem Geschwafel, wie tickt dieser John Richard Norman eigentlich oder wo führt das ganze denn nun hin?“, war dieser Roman für mich das reinste Lesevergnügen. Nicht oft ist mir bisher ein solches Buch begegnet, das meinen Emotionspegel in alle Richtungen hat weit ausschlagen lassen.

„Wie Sie wissen, gibt es insbesondere zwei Gelegenheiten, bei denen Worte nicht taugen: wenn man den Tod erklären soll, und wenn man die Liebe erklären soll […].“ (Seite 365)

Ein großer Roman, dem ein gewisser Zauber innewohnt, über die Liebe, die Literatur und die Leidenschaft!


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