Freitag, 13. Juli 2018
Elizabeth Hartley Winthrop „Mercy Seat“
Wie eine Spirale, in deren Mitte die Hinrichtung eines jungen schwarzen Mannes steht, steuern die Geschehnisse in diesem Roman auf das unweigerliche Ende zu. Die Handlung orientiert sich an einer wahren Begebenheit, die sich in Louisiana zu Beginn der 1940 er Jahre so oder so ähnlich zugetragen haben mag.

Der wegen Vergewaltigung einer weißen Frau zum Tode verurteilte Will möchte seine letzten 24 Stunden auf der Erde möglichst schnell hinter sich bringen. Er hat das Kämpfen längst aufgegeben, ist lethargisch. Die einzige Möglichkeit, die Zeit schneller verrinnen zu lassen, scheint ihm, die Augen zu schließen und an schöne Stunden mit Grace oder an seine Familie zu denken. Die Menschen in der Kleinstadt St. Martinsville sind unterdessen in geschäftigem Treiben. Auch sie bereiten sich mehr oder weniger auf „das große Ereignis“ vor.

In dieser perspektivischen Erzählung hangelt sich der Leser an der Spirale entlang und begegnet dabei den unterschiedlichsten Personen. Während sich zwei Männer in einem Truck und der ungewöhnlichen Fracht, dem „Mercy Seat“, dem elektrischen Stuhl mitsamt Generator dem Gerichtsgebäude der Stadt nähern, transportiert Frank eine Granitplatte mit dem Maultierwagen auf den Friedhof zu. Polly, der Staatsanwalt, hat das Urteil nicht aus Überzeugung getroffen, steht unter Druck, wurde er doch von einer Gruppe wütender weißer Männer dazu genötigt. Seine Frau Nell hat Mitleid mit dem Verurteilten und bereitet für den Jungen die Henkersmahlzeit. Der katholische Pfarrer des Ortes wird Will in seinen letzten Stunden beistehen, droht aber an seinem Zweifel an Gott zu scheitern. Und während dies alles passiert, freundet sich Ora, die Frau des Tankstellenbesitzers mit einem Kind an, einem schwarzen Baumwollpflücker, der sie bald um einen großen Gefallen bitten wird.

Die Gegenwärtigkeit der Geschehnisse macht uns die Autorin sprachlich deutlich mit der Wahl des Präsens. In atmosphärischen Bildern und mit ihrer poetischen Ausdrucksweise, die dem Schrecklichen des Inhaltes in krassem Widerspruch gegenübersteht, katapultiert sie uns mitten hinein in eine Gruppe aufgebrachter Bürger. Sie lässt uns die verschiedenen Meinungen, die in diesem Buch aufeinandertreffen, wie Hass, Vorurteile und das Verständnis vom Töten, aber auch Mitleid und allmähliches Begreifen, emotional verstehen. Seite um Seite, Stunde um Stunde, zieht sich die Spirale enger um den Zeitpunkt der Hinrichtung, der Kloß im Hals des Lesers wächst.

„Er hatte seine Augen offen gehalten und einen Riss in der Wandfarbe fixiert, als ob er durch das Anstarren dieses Punktes irgendwie Halt fände, die Kontrolle behielte, das einzige Bollwerk gegen die tiefe Trauer und die Reue und die Sehnsucht, die ihn so sehr auszehrten, dass sie ihn beinahe zusammenbrechen ließen.“ (Seite 85)

Die Autorin hat den Leser fest im grausigen Griff, entlässt ihn zu keiner Zeit, nicht eine Minute in eine Wohlfühlzone, hält die dichte Atmosphäre bis zum Ende.

Das war in dieser ersten Hälfte des Jahres bereits der zweite Roman um das Thema Todesstrafe. Die Abscheulichkeit dieser Tat ist kaum in Worte zu fassen, erschüttert und lässt traurig und wütend zurück. Gefühlsmäßig an der Grenze des Ertragbaren, möchte ich doch im Nachhinein keines dieser Bücher missen. Lange noch wird mich dieser Roman beschäftigen!


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