Donnerstag, 1. Februar 2018
Julia Schoch „Schöne Seelen und Komplizen“
liva, 12:29h
So wie die Mauer das Land in Ost und West teilte, so teilt Julia Schoch ihren neuen Roman und somit das Leben und Erleben ihrer zahlreichen Protagonisten in Vergangenheit und Gegenwart.
Sie sind Schüler eines Gymnasiums in der ehemaligen DDR. Die letzten Jahre bis zum Abitur scheinen für Lehrer und Erziehungsberechtigte die letzte Chance zu sein, ihre Zöglinge nach eigener Fasson und für das sozialistische Miteinander zu formen und zu beeinflussen. Bei manchen von ihnen ist das einfacher, führen sie doch den Gedanken und die politische Einstellung ihrer Eltern mit sich. Und so ist es nun, dass sich einige von ihnen mehr für Volk und Land engagieren, während die anderen in der Kneipe von Widerstand und Freiheit träumen. Aber am Ende dreht sich bei diesen Jugendlichen dann doch alles, wie sicher bei den meisten 15 bis 18-jährigen, um Liebe und Romantik, darum, wer wen küsst, wer wann auf welcher Party zu finden ist und wie man am besten Spaß haben kann. Und dann fällt die Mauer. An die große Veränderung will aber zunächst keiner so recht glauben
„Der einzige Unterschied zwischen jetzt und der Zukunft ist, dass es in der Zukunft mehr Vergangenheit gibt.“ (Zitat Seite 95)
Im zweiten Teil des Buches kommen all diese Ich-Erzähler noch einmal zu Wort. Als Erwachsene bilanzieren sie; wie sind sie im Einzelnen mit ihrer so lang ersehnten Freiheit umgegangen und wo hat ihr Leben sie hingeführt. Lange hatten alle auf Veränderung gewartet, und dann scheinen nur die Wenigsten den neuen Lebensumständen gewachsen zu sein. Viele von ihnen hadern noch immer und finden nach dem Umbruch nicht so leicht ihren Weg. Im Rückblick ergibt sich die Frage, ob die Wende die Lebensbedingungen zwar verändert, aber auch neue Widrigkeiten geschaffen hat. Welche Erwartungen haben sich erfüllt und konnte die gewonnene Freiheit tatsächlich genutzt werden?
„Wir hatten es mal wieder mit der fiesen Fratze der Freiheit zu tun, in dem Punkt waren wir uns alle einig. Die Freiheit lässt alles nüchterner erscheinen. Nüchterner und banaler. In der Unfreiheit wirken die Menschen besser. Warum?“ (Zitat Seite 171)
Ein paar Schnittpunkte sind unter allen Beteiligten geblieben, kleine Begebenheiten, kurze Anekdoten, einzelne kurze Aufeinandertreffen, manchmal kaum der Rede wert. Doch genau an diesem Punkt, an dem sich vor der Wende keine innere Verbindung gefunden hat, ergibt sich jetzt eine Gemeinsamkeit. Es ist eben dieses Kollektiv, das 25 Jahre später sichtbar und spürbar wird, die gemeinsame Vergangenheit.
Der Roman wird nicht als Geschichte im herkömmlichen Sinne erzählt, vielmehr schlüpft die Autorin in jede ihrer Figuren. Lässt sie von sich selbst erzählen, von ihren Gedanken und ihren Gefühlen, schafft ein inneres Bild von Empfindungen. Sie alle haben eine ganz eigene, eine ganz persönliche Sicht auf die Entwicklungen, und nur mir als Leser werden diese ungleichen Aspekte zuteil. Exklusiv sozusagen. Gerade aufgrund dieser Nähe zu den Einzelschicksalen in diesem Roman wird dem Leser deutlich, auf welch unterschiedliche Weise die Menschen das historische Ereignis des Mauerfalls erlebt und gelebt haben. Es ergibt sich ein sehr beeindruckendes Bild einer Gesellschaft, die mit Zerrissenheit und dem inneren Konflikt, politisch wie persönlich, konfrontiert waren und es vielleicht heute noch sind.
Mich haben Inhalt und Sprache dieses Buches gleichermaßen begeistert. Julia Schoch ist eine einfühlsame und genaue Beobachterin jeder einzelnen Gefühlsregung, fasst sie in Worte und macht sie spürbar für den Leser. Es finden sich zahlreiche bemerkenswerte Sätze, die ich mitunter mehrmals gelesen habe.
„Das Provisorium ist das Türchen, das man sich offen lässt. Solange man im Provisorium lebt, bleibt man im Vorzimmer zum Ernst des Lebens.“ (Zitat Seite 293)
Mal schön, mal rührend, mal traurig.
*
Sie sind Schüler eines Gymnasiums in der ehemaligen DDR. Die letzten Jahre bis zum Abitur scheinen für Lehrer und Erziehungsberechtigte die letzte Chance zu sein, ihre Zöglinge nach eigener Fasson und für das sozialistische Miteinander zu formen und zu beeinflussen. Bei manchen von ihnen ist das einfacher, führen sie doch den Gedanken und die politische Einstellung ihrer Eltern mit sich. Und so ist es nun, dass sich einige von ihnen mehr für Volk und Land engagieren, während die anderen in der Kneipe von Widerstand und Freiheit träumen. Aber am Ende dreht sich bei diesen Jugendlichen dann doch alles, wie sicher bei den meisten 15 bis 18-jährigen, um Liebe und Romantik, darum, wer wen küsst, wer wann auf welcher Party zu finden ist und wie man am besten Spaß haben kann. Und dann fällt die Mauer. An die große Veränderung will aber zunächst keiner so recht glauben
„Der einzige Unterschied zwischen jetzt und der Zukunft ist, dass es in der Zukunft mehr Vergangenheit gibt.“ (Zitat Seite 95)
Im zweiten Teil des Buches kommen all diese Ich-Erzähler noch einmal zu Wort. Als Erwachsene bilanzieren sie; wie sind sie im Einzelnen mit ihrer so lang ersehnten Freiheit umgegangen und wo hat ihr Leben sie hingeführt. Lange hatten alle auf Veränderung gewartet, und dann scheinen nur die Wenigsten den neuen Lebensumständen gewachsen zu sein. Viele von ihnen hadern noch immer und finden nach dem Umbruch nicht so leicht ihren Weg. Im Rückblick ergibt sich die Frage, ob die Wende die Lebensbedingungen zwar verändert, aber auch neue Widrigkeiten geschaffen hat. Welche Erwartungen haben sich erfüllt und konnte die gewonnene Freiheit tatsächlich genutzt werden?
„Wir hatten es mal wieder mit der fiesen Fratze der Freiheit zu tun, in dem Punkt waren wir uns alle einig. Die Freiheit lässt alles nüchterner erscheinen. Nüchterner und banaler. In der Unfreiheit wirken die Menschen besser. Warum?“ (Zitat Seite 171)
Ein paar Schnittpunkte sind unter allen Beteiligten geblieben, kleine Begebenheiten, kurze Anekdoten, einzelne kurze Aufeinandertreffen, manchmal kaum der Rede wert. Doch genau an diesem Punkt, an dem sich vor der Wende keine innere Verbindung gefunden hat, ergibt sich jetzt eine Gemeinsamkeit. Es ist eben dieses Kollektiv, das 25 Jahre später sichtbar und spürbar wird, die gemeinsame Vergangenheit.
Der Roman wird nicht als Geschichte im herkömmlichen Sinne erzählt, vielmehr schlüpft die Autorin in jede ihrer Figuren. Lässt sie von sich selbst erzählen, von ihren Gedanken und ihren Gefühlen, schafft ein inneres Bild von Empfindungen. Sie alle haben eine ganz eigene, eine ganz persönliche Sicht auf die Entwicklungen, und nur mir als Leser werden diese ungleichen Aspekte zuteil. Exklusiv sozusagen. Gerade aufgrund dieser Nähe zu den Einzelschicksalen in diesem Roman wird dem Leser deutlich, auf welch unterschiedliche Weise die Menschen das historische Ereignis des Mauerfalls erlebt und gelebt haben. Es ergibt sich ein sehr beeindruckendes Bild einer Gesellschaft, die mit Zerrissenheit und dem inneren Konflikt, politisch wie persönlich, konfrontiert waren und es vielleicht heute noch sind.
Mich haben Inhalt und Sprache dieses Buches gleichermaßen begeistert. Julia Schoch ist eine einfühlsame und genaue Beobachterin jeder einzelnen Gefühlsregung, fasst sie in Worte und macht sie spürbar für den Leser. Es finden sich zahlreiche bemerkenswerte Sätze, die ich mitunter mehrmals gelesen habe.
„Das Provisorium ist das Türchen, das man sich offen lässt. Solange man im Provisorium lebt, bleibt man im Vorzimmer zum Ernst des Lebens.“ (Zitat Seite 293)
Mal schön, mal rührend, mal traurig.
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