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Dienstag, 22. Dezember 2020
Jürgen Bauer „Portrait“
liva, 16:13h
An einem gewissen Punkt im Leben angelangt, fragt Georg Menschen seines Umfelds nach deren persönlichen Erinnerungen, ihn betreffend. Am Ende sind es drei Monologe, in denen er selbst nur in den Erzählungen der anderen zu Worte kommt.
„Aber nicht, dass du glaubst, dass ich dich nicht liebgehabt hätte. Es ist nur anders gewesen, das Liebhaben. Deinen Bruder hab ich verstanden, dich nicht.“ (Seite 50)
Von vielen Schicksalsschlägen in ihrem eigenen Leben verbittert, findet Mariedl, die Mutter, nicht viele gute Worte für ihren Schorsch, wie sie ihn nennt. Griesgrämigkeit und Unverständnis sind vorherrschend in ihrem Bericht. Sie klagt an.
„Den Mund halt ich nie, wieso auch? Wenn dir einer blöd kommt, dann kommst ihm eben noch blöder […] und wenn einer nur komisch schaut, dann provozierst ihn ein bisserl, sonst hast keinen Spaß im Leben.“ (Seite 132)
Um den engen Konventionen des Elternhauses und des Dorfes zu entfliehen, sucht Gabriel als Jugendlicher schon sein Glück in Wien. Sein sexuelles Verlangen ist die Triebfeder seines Stricherdaseins in der Großstadt. Es sind schwere Zeiten für die Schwulenbewegung in den siebziger Jahren. Freiheitsdrang und Provokation bestimmen die Sprache des Liebhabers.
„Ich verliebte mich in dich, weil ich das Gefühl hatte, mit dir eine andere Machtdynamik erleben zu können, weil du mich mehr brauchtest als ich dich, …“ (Seite 265)
Von der eigenen Mutter weitgehend ignoriert, beruflich mäßig erfolgreich kommt Sara, die Ehefrau, unterkühlt und oberflächlich daher. Mit dem Wunsch möglichst wenig Engagement in diese Ehe zu bringen, schaut sie auf ihren eigenen Vorteil.
Inmitten dieser ganz unterschiedlichen Erzählungen fungiert der stille Protagonist Georg lediglich als Schnittmenge. Jürgen Bauer gibt jedem der drei Erzähler die eigene unverwechselbare Persönlichkeit, deren Authentizität er in Form der Sprache ausdrückt. Er nimmt hier kein Blatt vor den Mund und erzählt schonungslos und mit rhetorischem Geschick. Die Tiefgründigkeit der Worte lassen uns Leser*innen kaum Möglichkeit, uns emotional auch nur ein wenig rauszunehmen, lässt weder Ruhepausen noch inneren Abstand zu und holt uns auf teilweise tragische Weise immer wieder tief ins Geschehen.
Wenn ein Roman mich in eine Welt mitnimmt, die mir weitgehend unbekannt ist, meinen Horizont zu erweitern vermag, wenn er mich aufrüttelt, mich auch mal schockiert, ab und an unbequem ist und weh tut, wenn die Geschichte mich traurig macht und lange nach der Lektüre nicht vom Schlafittchen lässt, ...... dann ist es ein guter Roman.
Unbedingt lesen!
*
„Aber nicht, dass du glaubst, dass ich dich nicht liebgehabt hätte. Es ist nur anders gewesen, das Liebhaben. Deinen Bruder hab ich verstanden, dich nicht.“ (Seite 50)
Von vielen Schicksalsschlägen in ihrem eigenen Leben verbittert, findet Mariedl, die Mutter, nicht viele gute Worte für ihren Schorsch, wie sie ihn nennt. Griesgrämigkeit und Unverständnis sind vorherrschend in ihrem Bericht. Sie klagt an.
„Den Mund halt ich nie, wieso auch? Wenn dir einer blöd kommt, dann kommst ihm eben noch blöder […] und wenn einer nur komisch schaut, dann provozierst ihn ein bisserl, sonst hast keinen Spaß im Leben.“ (Seite 132)
Um den engen Konventionen des Elternhauses und des Dorfes zu entfliehen, sucht Gabriel als Jugendlicher schon sein Glück in Wien. Sein sexuelles Verlangen ist die Triebfeder seines Stricherdaseins in der Großstadt. Es sind schwere Zeiten für die Schwulenbewegung in den siebziger Jahren. Freiheitsdrang und Provokation bestimmen die Sprache des Liebhabers.
„Ich verliebte mich in dich, weil ich das Gefühl hatte, mit dir eine andere Machtdynamik erleben zu können, weil du mich mehr brauchtest als ich dich, …“ (Seite 265)
Von der eigenen Mutter weitgehend ignoriert, beruflich mäßig erfolgreich kommt Sara, die Ehefrau, unterkühlt und oberflächlich daher. Mit dem Wunsch möglichst wenig Engagement in diese Ehe zu bringen, schaut sie auf ihren eigenen Vorteil.
Inmitten dieser ganz unterschiedlichen Erzählungen fungiert der stille Protagonist Georg lediglich als Schnittmenge. Jürgen Bauer gibt jedem der drei Erzähler die eigene unverwechselbare Persönlichkeit, deren Authentizität er in Form der Sprache ausdrückt. Er nimmt hier kein Blatt vor den Mund und erzählt schonungslos und mit rhetorischem Geschick. Die Tiefgründigkeit der Worte lassen uns Leser*innen kaum Möglichkeit, uns emotional auch nur ein wenig rauszunehmen, lässt weder Ruhepausen noch inneren Abstand zu und holt uns auf teilweise tragische Weise immer wieder tief ins Geschehen.
Wenn ein Roman mich in eine Welt mitnimmt, die mir weitgehend unbekannt ist, meinen Horizont zu erweitern vermag, wenn er mich aufrüttelt, mich auch mal schockiert, ab und an unbequem ist und weh tut, wenn die Geschichte mich traurig macht und lange nach der Lektüre nicht vom Schlafittchen lässt, ...... dann ist es ein guter Roman.
Unbedingt lesen!
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