Freitag, 16. Februar 2018
Bianca Bellová „Am See“
Man könnte sich den kleinen Fischerort im Osten Europas ausgesprochen idyllisch vorstellen. An einem klaren See gelegen, umrahmt von Wiesen und Bäumen in frischer sauberer Luft. Man könnte sich Kinder vorstellen, glücklich, von den Eltern behütet und eingebunden in die Dorfgemeinschaft, planschend im kühlen Nass.

Bianca Bellová allerdings zeichnet hier ein anderes Bild. Der See ist nur mehr eine ausgetrocknete Kloake, der Gestank einer Fischfabrik liegt in der Luft, Kinder, die nach einem Bad im See juckende Ausschläge davontragen und manchmal auf ihrem Schulweg von den russischen Soldaten belästigt werden. Die sowjetischen Besatzer haben die leer stehenden Plattenbauten am Rande der kleinen Gemeinde bezogen. Die Menschen leben in einem Milieu, das durch Armut, Unterdrückung und zerstörter Natur bestimmt wird. Halt finden sie in ihrem alten Aberglauben an einen Seegeist, der gefüttert und besänftigt werden will.

An diesem scheinbar hoffnungslosen Ort wächst Nami auf, in ärmsten Verhältnissen bei seinen Großeltern. Von einem Vater weiß man nichts, die Mutter eine Hure, so sagen es die Leute im Dorf. Er selbst hat nur eine vage Erinnerung an sie. Als der Großvater vom Fischfang nicht zurückkehrt und seine Großmutter stirbt, macht sich Nami auf in ein eigenes Leben. Er will seine eigene Bestimmung finden und vor allem auf die Suche nach seinen Wurzeln gehen. Doch die Misshandlungen und schlechten Lebensbedingungen der Kindheit haben ihre Narben hinterlassen. Auf dem Weg in die Hauptstadt ist sich Nami sicher, Boros und seine große Liebe Zasa nie mehr wieder zu sehen.

Der Leser macht sich mit dem Protagonisten und der leisen Hoffnung auf den Weg, dass sich das Schicksal des Jungen wenden möge und ihm eine bessere Zukunft beschert. Es wird eine Coming-of-Age Geschichte der dramatischen Art erzählt, in dunkler desillusionierter Atmosphäre und einer von den Menschen zerstörten Kulisse.

Die Autorin hat den Text in Präsenz verfasst, die einen emotionalen Abstand zur Figur und dessen Werdegang nicht zulässt. Hautnah gehen wir jeden Schritt mit, jede Regung, sehen mit den Augen Namis. Und was wir sehen und fühlen ist manchmal schier unerträglich. Gerne hätte ich eine gewisse Distanz zwischen mich und das Gelesene gelegt; mal abgestoßen und mal gefesselt. Die harsche schonungslose Sprache macht nur allzu deutlich, in welch einem Umfeld wir uns hier befinden. Beleuchtet werden die ersten 18 Jahre eines Jungen, der auszubrechen versucht und ein neues Lebensskript zu schreiben. Erzählt wird von diesem Erwachsenwerden in einer Welt, die nicht viel bereithält für einen wie ihn.

Der Inhalt des Buches ist erschütternd und schwer verdaulich. Die Frage ist nun, ob ich diesen Roman empfehlen kann. Nun, uneingeschränkt sicherlich nicht. Wer in einem Buch Entspannung, eine schöne Welt und Leichtigkeit sucht, für den wird es nicht das Richtige sein. Für andere aber, die das kuschelige Sofa für den Blick über einen Tellerrand, der nichts Gutes verheißt, zu verlassen bereit sind, dem sei der Roman der tschechischen Autorin an Herz und Nieren gelegt. Er lässt mich traurig und nachdenklich zurück!


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