Freitag, 30. August 2019
Mareike Fallwickl „Das Licht ist hier viel heller“
Wo ist sie geblieben, die Zeit, in der er ein erfolgreicher Schriftsteller war, ein gefragter Mann bei der Presse, in Literaturkreisen und bei den Frauen. Nichts hat er anbrennen lassen damals, in keinem der Bereiche. Jetzt haust Maximilian Wenger mehr schlecht als recht in einer kleinen Mietwohnung; um ihn herum herrscht Chaos. Seine Schwester versorgt ihn mit Essen während er sich gehen lässt. Alles scheint verloren, seine Frau, sein Haus, seine Kinder und vor allem seine Inspiration. Täglich schlurft er ungewaschen und mit Schlappen an den Füßen, sich am mittlerweile dicken Bauch kratzend, zum Briefkasten. Eines Tages findet er dort einen handgeschriebenen Brief, adressiert an seinen Vormieter. In Abständen kommen weitere Briefe und Wenger wird neugierig. Er beginnt darin zu lesen, fasziniert von der poetischen Sprache, den klaren Worten, die von einem schrecklichen Ereignis erzählen.

Zwischenzeitlich befindet sich seine Exfrau, eine erfolgreiche Influencerin, mit ihrem neuen Partner auf Reisen, um ein Video für ihren Beauty- und Fitnesskanal zu drehen. Die fast volljährigen Kinder der Wengers, Zoey und Spin, sind wie so oft auf sich selbst gestellt, sie kennen das, es war nie anders. Die Geschwister haben deshalb eine ganz besondere Verbindung. Sie sind füreinander da, stehen einander bei in Krisenzeiten und geben sich Halt. Beide Jugendliche versuchen in dieser Zeit ihre eigenen Wege zu finden, privat wie beruflich. Die kurzen Besuche beim Vater überbrücken Sie mit telefonieren, chatten oder Spielen am Handy. Bei einem dieser verhassten Pflichtbesuche entdeckt Zoey die Briefe, liest darin und findet sich in den traurigen, aber auch zornigen Worten der fremden Frau wieder. Denn auch Zoey selbst ist etwas zugestoßen, von dem kaum jemand weiß. Ihren Vater hätte sie da am dringendsten gebraucht, doch der war mal wieder nicht verfügbar.

Was zu Beginn des Buches humorvoll, fast satirisch anmutet, trägt im Ganzen gesehen einen tiefgründigen Kern. Der Themen gibt es viele in Mareike Fallwickls zweitem Roman. Im Vordergrund aber stehen Machtmissbrauch, die Stellung der Frau in der Gesellschaft und der Umgang mit Grenzen, die gezogen und im nächsten Moment von anderen missachtet werden. Motive also, wie sie aktueller und wichtiger nicht sein könnten. Die Autorin legt außerdem den Finger tief in die Wunde unserer heutigen kurzlebigen Gesellschaft, in der scheinbar Erfolg und Ansehen mehr zählen, als alles Andere. Man könnte den Text als kleinen Rundumschlag bezeichnen, bei dem unter anderem die gesamte Literatur- und Verlagsbranche und die Neuen Medien eine gehörige “Watschen“ erfahren.

Sprachlich lässt sich Mareike Fallwickl von ihren Figuren leiten. Mal obszön und chauvinistische, mal frech, fesch und spritzig und ein anderes Mal sehr rührend und poetisch. Obwohl sie hin und wieder doch für meinen Geschmack zu tief in die Klischeekiste gegriffen hat, finden sich in ihrem Roman eine Menge herausragender Gedanken und Sätze. Das, was sie über eine Überlegung Wengers in folgendem Zitat schreibt, beherrscht sie selbst aus dem Effeff.

„Weil diese Energie, die durch die Sprache in den Briefen flirrt, ihn erinnert an die Macht, die er selbst einmal besessen hat. Er hat gespürt, was Worte auslösen können, was auch er einmal auslösen konnte mit Worten, alles eigentlich, Worte waren sein Stoff, sein Atem, sein Wesen. Er konnte sie herumwirbeln, aufeinanderstapeln, Löcher lassen dort, wo es Still sein musste. Und die Worte, die auf die Stille folgten, waren noch viel lauter.“ (Seite 54)

Eine ganze Palette an Gefühlen hat der Roman in mir ausgelöst, die wenigsten davon waren angenehm. Ein Buch, das zum Nachdenken und Diskutieren einlädt. Lasst uns diese Einladung annehmen!


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