Freitag, 17. Januar 2020
Jan Kjærstad „Berge“
Übersetzung Bernhard Strobel

Ich muss es gleich vorweg sagen, kann mit meiner Meinung nicht hinterm „Berge“ halten: ich bin begeistert! Bereits zum zweiten Mal hat mich der hierzulande noch nicht so bekannte norwegische Autor Jan Kjærstad mitgerissen. Sprachlich so herausragend und besonders, der Lesegenuss vergleichbar mit dem Schlürfen eines guten Weines, mit langem Abgang. Aber zuerst zum Inhalt:

In einer Ferienhütte, im Wald, in der Nähe von Oslo werden fünf Leichen gefunden, allesamt auf bestialische Weise ermordet. Bald wird publik, dass sich unter ihnen der Vorsitzende der Arbeiterpartei Arve Storefjeld und dessen erwachsene Tochter Gry, ebenfalls stark politisch engagiert, befinden. Statt jetzt aber dem üblichen Krimigenre, Polizei, Ermittlung und Täterüberführung zu folgen, geht der Autor einen anderen Weg. Er stellt Überlegungen an, wer um alles in der Welt, dem kleinen friedlichen Norwegen schaden will. Sollte es sich etwa um einen Terroranschlag halten? Das ganze Land ist erschüttert, gilt es doch als Nation, die sich nicht einmischt, aus den großen politischen Debatten Europas und der Welt heraushält und den Ruf als friedliches Völkchen in beschaulicher Natur genießt. Ein solcher Vorfall rüttelt alle auf, Urteile sind schnell gefasst und man strebt nach einer erfolgreichen und möglichst schnellen Aufklärung.

„Das war das Wertvollste, das wir hatten.[…]Auch in der Zeit nach dem Krieg hatten wir uns meist mit Glanz bewährt. Durch Heraushalten nämlich. Es war uns gelungen, abgeschieden zu leben, unsere Verhältnisse so beneidenswert einzurichten, dass wir es vermeiden konnten, hineingezogen zu werden. In den Dreck, in die Barbarei der Gewalt.“ (Seite 172)

Um das Große und Ganze zu verdeutlichen bedient sich Jan Kjærstad dreier Personen. Zum einen Ine Wang, erfolgreiche Journalistin, die, auch mit schlechtem Gewissen, in diesem spektakulären Ereignis ihre Erfolgschancen wittert (gerade erst hat sie den großen Politiker Arve Storefjeld interviewt und ein biografisches Manuskript erstellt). Zum Zweiten, der angesehene Richter Peter Malm, den wir Leser als besonnenen, aber auch sehr speziellen Zeitgenossen kennen lernen. Die meiste Zeit ist der Pedant mit sich selbst und seinen eigenen Interessen beschäftigt, bis er aufgrund des mutmaßlichen Anschlages beginnt, die derzeitige Situation im Land zu analysieren. Und last but not least Nicolai Berge, dem oppositionellen Flügel der Arbeiterpartei zugehörig, der sich in jungen Jahren Hals über Kopf in die junge Gry Storefjeld verliebt hatte.

Der Autor bedient sich des Mordfalls lediglich als Ausgangspunkt, keinesfalls als Mittelpunkt des Romans. Vielmehr lässt er daraus seine Geschichte entstehen, eine Geschichte über die Gesellschaft Norwegens, politische Machenschaften, Vorurteile und der allgemeine Hang zur Harmonie.
Mit seiner Sprachbegabung, Eloquenz und Empathie für die Menschen wird Jan Kjærstad in Zukunft bei meiner Lektüreauswahl immer ganz vorne dabei sein.

Und so wird das zuletzt gelesene Buch des Jahres zum Highlight desselben.



*

... comment

Besucherzähler Für Homepage