Montag, 19. November 2018
Salih Jamal „Orpheus“
„Außer der Liebe gibt es kein größeres Gefühl als das von Musik, wenn sie dich erfasst, dich zieht, schiebt, umweht oder anhaucht. Wenn sie dich ergreift und dich auf ihren Schwingen einem Adler gleich schwebend über alles Irdische emporhebt und fortträgt.“ (Seite 100)

Orpheus und sein jüngerer Bruder sind die Enkel in einer Familiendynastie, an deren Spitze der Großvater Zeus steht. Gewaltbereit und despotisch wacht er über das gesamte Familienimperium, scharrt die Mitglieder seiner Sippe um sich wie Jünger und duldet keinerlei Widerspruch. Auch Orpheus‘ große Liebe Nienke ist mit eingebunden, als Anwältin in der Firma Zeus‘ angestellt. Orpheus selbst frönt seiner Musikleidenschaft und hält sich neben den Auftritten mit seiner Band mit kleineren Jobs über Wasser. Eines Tages findet Nienke Ungereimtheiten in den Papieren des Alten und glaubt ihn nach einiger Recherche mit einem alten Mordfall in Verbindung bringen zu können. Orpheus ist außer sich, hadert anfangs mit sich, ist dann aber bereit, gegen den eigenen Großvater vorzugehen. Und dann verschwindet seine Geliebte eines Morgens, und seine Gedanken drehen sich fortan nur noch um die vermisste Nienke. Lediglich mit schönen Erinnerungen an seine Liebste hält sich Orpheus aufrecht.

Ein Buch der Extreme und den, auf den ersten Blick, stilistischen Unvereinbarkeiten. Auf den zweiten Blick fügt sich manches ineinander. So orientiert sich der Autor zum Beispiel an der griechischen Sage um Orpheus und Eurydike und holt die Basis der Geschichte in die Neuzeit. Auch funktioniert es, Literatur und Musik in Einklang zu bringen, obwohl man sich fragen könnte wie der „Time Warp“ aus der Rocky Horror Picture Show zur „Mondscheinsonate“ von Beethoven passt. Jedes Kapitel ist mit einem Musikstück überschrieben und so begegnen sich Cat Stevens und Peer Gynt wunderbar auf musikalischer und literarischer Ebene. Damit hat der Autor absolut meinen Geschmack getroffen.

Salih Jamal lässt keine Grauzonen zu, bei ihm gibt es nur Schwarz und Weiß. So auch seine Sprache: auf der einen Seite über die Maßen poetisch und einfach schön zu lesen, auf der anderen Seite obszön, geradeheraus und kaum zu ertragen. Und genau hier hat es für mich nicht den erwarteten Zusammenhalt gefunden, zumal beides aus einer Perspektive erzählt wurde. Abgesehen davon, dass es mir sprachlich etwas dick aufgetragen war, so sind mir zwischendurch immer wieder unpassende, umgangssprachliche Begriffe aufgefallen, die den schönen Lesefluss für mich behindert haben und nicht zur Figur des Protagonisten gepasst haben.

Mein Lesevergnügen (der Autor hatte mich von der ersten Seite in Bann gezogen) endete zur Hälfte des Buches bei der Beschreibung einer extremen Gewaltszene. Nicht, dass ich solches aus anderen Krimis nicht gewohnt wäre, doch die Genauigkeit und die abstoßende Wortwahl, die verwendet wurde, war mir persönlich zu heftig, und die Bilder haben sich lange vor meinem inneren Auge gehalten. Für mich liegt die Kunst der Literatur oft in Andeutungen, im Ungesagten oder den Worten zwischen den Zeilen. Da ist weniger manchmal mehr.

Leider kann ich diesen Roman trotz der originellen Idee und der zahlreichen poetischen Sätzen nicht uneingeschränkt jedem empfehlen!



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