Dienstag, 25. Oktober 2016
Judith W.Taschler „Bleiben“
Die Wege von vier Personen kreuzen sich in der einen oder anderen Weise in Wien. Sie sind aber keine Fremden, denn vor zwanzig Jahren sind sie sich bei einer Zugfahrt nach Rom begegnet. Durch lediglich ein paar kurzen Gesprächen, die gemeinsame Zeit sich gegenüber sitzend im Abteil und einem schnellen Schnappschuss auf dem Bahnsteig sind alle nur flüchtige Bekannte geblieben. Bis jetzt, im Jahr 2015, werden sie verschiedene Ereignisse wieder zusammenführen.

Alle haben sich weiterentwickelt, sind ihren privaten und beruflichen Zielen mehr oder weniger gefolgt, haben sich in Beruf oder Kunst verwirklicht, sind um die Welt gereist, haben Familien gegründet oder auch als Single mehr oder weniger in den Tag hinein gelebt. Von jedem einzelnen erfahren wir aus dessen Leben, wie sie dorthin gelangt sind in der Zeitspanne zwischen Zugfahrt und Gegenwart. Alle scheinen sich in ihrem Leben eingerichtet zu haben, aber nicht alle können bleiben in diesem Leben.

Der Roman ist fast wie ein Kammerspiel angelegt. Innerhalb neun Monaten des Wiedersehens dieser so unterschiedlichen Menschen erzählt jeder von ihnen einem imaginären Freund, bzw. Freundin, aus dieser Zeit. Die Perspektiven zwischen den Personen und den einzelnen Monaten im Jahr 2015 sind wild durcheinandergewürfelt, was mindestens bis zur Hälfte des Buches zu viel Verwirrung, zu wiederholtem Zurückblättern und Chaos im Kopf des Lesers führt. Wie ein Knobelspiel aus der Zeitung muss man sich die einzelnen Leben zusammensetzen. Sprachlich eher kühl und sachlich bleiben die Persönlichkeiten der Protagonisten doch sehr oberflächlich. Man wird mit keinem der Charaktere so richtig warm. Gefühle bleiben schwarze Worte auf weißem Papier und haben mich beim Lesen nicht im Geringsten berührt.

Fast gewinnt man den Eindruck, als habe die Autorin ihr Hauptmerkmal auf Struktur und Ausrichtung des Romans gelegt, und weniger auf den Inhalt. Denn der bleibt bei diesem ganzen Durcheinander leicht auf der Strecke.

Hier ist meiner Meinung nach aus einer guten Idee und das Schreiben mit außergewöhnlicher Perspektive eine eher schleppende Geschichte geworden. Schade eigentlich!


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Sonntag, 18. September 2016
Stewart O'Nan „Abschied von Chautauqua“
Emily‘s Mann Henry ist vor ein paar Monaten gestorben. Ein langes erfülltes Leben haben sie miteinander geteilt, zwei Kinder großgezogen und die Sommer stets in ihrem Haus am Chautauqua-See, südlich den Niagarafällen, verlebt. Das Haus steht bereits zum Verkauf, und so lädt Emily die ganze Familie mit Kind und Kegel noch ein letztes Mal ins Sommerhaus ein. Auch Henrys Schwester ist mit von der Partie.

Eine ganze Woche lang will die Familie den Abschied von Chautauqua zelebrieren. Während die Tage für Emily selbst eine nostalgische Reise in die Vergangenheit sind, in der sie alle Plätze noch einmal aufsucht, an denen sie mit ihrem Henry so glücklich war, ist in der Familie jeder einzelne mit seinen eigenen Angelegenheiten und Sorgen beschäftigt. Sogar jedes der Kinder hat bereits sein Päckchen zu tragen. Vordergründig erlebt die Familie fröhliche Tage beim Bootsfahren, Golfspielen, gemeinsamen Kochen und Abenden auf der Veranda. Hinter der Familienidylle allerdings schlummert so das eine oder andere Geheimnis, was der eine nicht vom anderen weiß oder wissen soll. An jedem einzelnen Tag entfernt sich die Familie ein bisschen mehr von ihrem Sommerdomizil, indem Möbel und Besitztümer möglichst gerecht verteilt werden und Vorbereitungen für die letzte Abreise getroffen werden. Aber auch mit jedem Tag kommen sich die einzelnen Mitglieder ein wenig näher.

Erscheint auch die Fülle an Problemen der Maxwells zunächst überladen, so bleiben die Figuren doch in sich stimmig und authentisch. Aus der Sicht eines jeden wechselt die Perspektive und so weiß der Leser jederzeit, was in jedermann so vor sich geht. Lediglich den anderen Familienmitgliedern bleibt das Innere des Gegenübers größtenteils verborgen. Der Autor nimmt sich die Tage einzeln vor und beschreibt sie in einer Ausführlichkeit, dass man das Gefühl hat, sie selbst mitzuerleben.

Stewart O'Nan hat hier keine Geschichte geschrieben, die einen spektakulären Anfang und ein fulminantes Ende hat, vielmehr nimmt er einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben einer ganz normalen Familie und beleuchtet diesen überaus genau. Auch nach dem Beenden des umfangreichen Romans ist man sicher, dass irgendwo da draußen in der wirklichen Welt das Leben der Familie Maxwell weitergeht. Die zahlreichen Charaktere bieten dem Leser eine enorme Fläche für Interpretation sowie persönliche Identifizierung mit sich selbst und der eigenen Familie.

Einfach ein Stück normales Leben, was hier beschrieben wird und nicht weniger unterhaltsam als der spannendste Krimi!

Ebenfalls hier rezensiert:

Stewart O'Nan: „Alle, alle lieben dich“


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Donnerstag, 1. September 2016
Bodo Kirchhoff: „Widerfahrnis“
Zwei Menschen, die sich zunächst gänzlich fremd sind, reisen in einem kleinen Auto Richtung Süden. Wie ist es wohl dazu gekommen? Folgendermaßen:
Leonie Palm, ehemalige Besitzerin eines Hutladens steht eines Abends unvermittelt vor Julius Reithers Tür. Er, früherer Inhaber eines Verlags, bittet sie herein und das eher karge Gespräch entwickelt sich zu der Idee, mitten in der Nacht mit ihrem Cabrio einen Ausflug zu machen. Bis zum Sonnenaufgang soll gefahren werden. Allmählich, fast nebenbei, kommen sich die beiden näher.

Als Leser werden wir mit hineingezogen in diese Erzählung. Sitzen mit im Auto und werden Zeuge dieses Näherkommens der Protagonisten auf dem Weg zwischen Bozen und Bari; sind ganz nah dabei, wenn aus einem „Allein-Sein“ ein “Zu-zweit-Sein“ wird; aus der Mitreisenden eine Freundin und aus dem kalten Deutschland ein bereits warmes Italien. Doch auch diese Liebesgeschichte, wenn man sie denn so nennen will, wird überschattet vom Leben selbst, von der Welt und der Gesellschaft, wie sie sich momentan zeigt. Bodo Kirchhoff kommt nicht umhin, seine beiden durch die Lande reisen zu lassen, ohne den immer größer werdenden Strom Flüchtlinge in die Geschichte einzubringen. Und so nimmt die Reise ihren Lauf.

Sprachlich bleibt der Autor bei seinem gewohnten Stil: einem “kirchhoffisch“, wie ich es gerne nenne. Da kann auch mal auf kleine Worte verzichtet werden, ohne dass das Gesagte an Bedeutung verliert. Ein zwischendurch sparsames Erzählen löst ab und an ausführliche Beschreibungen ab, ohne Tiefgründigkeit einzubüßen. Auch in diesem Buch von Bodo Kirchhoff finden sich Sätze, wie nur er sie schreibt; Figuren, die anfangs nicht leicht zu durchschauen sind und die auch der Leser noch kennenlernen muss. Und immer schwingt in allem eine geradezu melancholische Stimmung!

Seit Kirchhoffs letzten beiden Romanen, auf deren Rezensionen ich am Ende verweisen werde, bin ich regelrechter Fan von diesem Autor geworden. Und ich wurde ein weiteres Mal nicht enttäuscht.

Mit diesem Titel ist Bodo Kirchhoff in diesem Jahr für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiert!

Ebenfalls in diesem Blog rezensiert:
Bodo Kirchhoff: „Verlangen und Melancholie”
Bodo Kirchhoff „Die Liebe in groben Zügen“


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Mittwoch, 24. August 2016
Rafael Chirbes „Paris-Austerlitz“
Zu Beginn des Romans liegt Michel, der Freund und ehemalige Liebhaber des Ich-Erzählers, von schwerer Krankheit gezeichnet bereits in einem Hospital in der Nähe von Paris. Von ihrer beider Beziehung ist nur mehr eine Art Hassliebe geblieben und die Erinnerung an sehr lebendige Zeiten.

Vor vielen Jahren hat der junge spanische Künstler seine Heimat Madrid verlassen, um in Paris seine Malerei voranzubringen aber auch um seiner eher konservativen Familie zu entfliehen. Im Nachbarland angekommen trifft er Michel und verliebt sich in den so viel älteren Mann. Beide unterscheidet nicht nur das Alter, sondern auch die soziale Herkunft. Während der eine aus gut situierten Verhältnissen stammt, hält sich Michel mit Jobs in der Fabrik über Wasser. Da der junge Maler zunächst ohne Geld und Arbeit ist, entsteht zwischen beiden bald eine nahezu symbiotische Beziehung, eine gegenseitige Abhängigkeit, die recht schnell zum Überdruss führt. Doch zuvor verlebt das Liebespaar ausschweifende Wochen mit zu viel Alkohol, Drogen und hemmungslosem Sex.

Chirbes beschreibt die Verbindung eines ungleichen Paares zwischen Liebe und Obsession ungeschönt und direkt. Der manchmal harschen und groben Ausdrucksweise, bei der der Autor kein Blatt vor den Mund nimmt, steht die durchaus poetische Sprache mit viel Gefühl gegenüber. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern der Ich-Erzähler springt in Gedanken zu einzelnen Begebenheiten. Nicht zuletzt dadurch werden die Unterschiede der beiden Männer spürbar.

Die wenigen Seiten des dünnen Buches sind schnell gelesen, doch der atmosphärische Sog, in den man beim Lesen hineingezogen wird, wirkt noch lange nach. Der vermutlich letzte Roman Rafael Chirbes‘ wurde posthum veröffentlicht. Der spanische Autor starb bereits im Herbst des letzten Jahres. Leider “begegnet“ man manchen Menschen zu spät im Leben, denn zuvor hatte ich von diesem Schriftsteller noch nie gehört. Aber es ist nicht zu spät die früheren Werke Rafael Chirbes‘ noch zu lesen.

Ein trauriges Buch, eine traurige Geschichte, dennoch nicht weniger wert unbedingt gelesen zu werden!


Mehr zu diesem Autor :

https://de.wikipedia.org/wiki/Rafael_Chirbes


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Donnerstag, 11. August 2016
Monika Zeiner “Die Ordnung der Sterne über Como“
Wenn wir als Leser Tom Holler, dem Protagonisten des Romans, begegnen, befindet er sich gerade in einem recht desolaten Zustand. Er ist desillusioniert, trinkt zu viel, ist frustriert und steht kurz vor der Scheidung. Und obwohl er mit seinem Jazz Ensemble als Pianist seit ein paar Jahren kleine Erfolge verzeichnen kann, möchte er am liebsten alles hinschmeißen und seinem jämmerlichen Dasein ein Ende setzen. Doch gerade mitten in seiner tiefsten Melancholie ruft Betty an. Seine Betty, seine große Liebe.

Sie lebt seit Jahren in Italien und hat eine Ankündigung eines Konzerts in Neapel seiner Band zufällig entdeckt. Sie freue sich auf ein Wiedersehen. Gepusht von diesem neu aufflammenden Gefühl erfährt Tom neue Kraft um weiterzumachen und die Erinnerungen an vergangene Zeiten sind plötzlich allgegenwärtig. Erinnerungen an eine Zeit, als Marc und er beste Freunde waren. Zwei kreative Köpfe, die sich blind verstanden, gemeinsam komponierten und musizierten und das eine oder andere philosophische Gespräch führten. Beide waren Denker, hinterfragten sich selbst und die Welt.

„Und immer wieder dachte er einen einzigen Gedanken, nämlich dass das Leben aber wirklich komisch sein kann. Das Leben ist echt die allerkomischste Angelegenheit auf der ganzen Welt, dachte er…….“ (Zitat Seite 32)

Und dann stieß Betty zu ihnen und schien das Trio perfekt zu machen. Und dann kam da die eine Nacht unter dem Sternenhimmel in Como, die plötzlich alles veränderte.

Monika Zeiner wechselt ihre Perspektiven zwischen Tom Holler und Betty Morgenthal, zwischen Berlin und Neapel. Während sie sich in der Gegenwart langsam annähern, werden wir Zeuge davon, wie sie sich in der Vergangenheit voneinander entfernten. als Leser lernen wir alle drei Figuren allmählich Seite für Seite etwas besser kennen.

Die Art wie die Autorin schreibt ist einfach unglaublich! Ihre Sprache so emotional und poetisch, dass ich mir viele Sätze mehrfach durchgelesen habe. Wie ein Stück Schokolade lässt man sich Satz um Satz auf der Zunge zergehen und schmilzt am Ende selber dahin. So schwülstig sich das jetzt auch anhören mag! Hier ist mal wieder das große Thema Liebe so eindringlich in Worte gefasst, wie man es besser selbst nicht hätte ausdrücken können; Interaktionen zwischen Menschen so mitfühlend beschrieben, dass es auch den Abgebrühtesten unter uns berühren wird. Dafür gebe ich meine Garantie!

Ich habe viele Wochen an diesem Buch gelesen, und das nur aus dem einzigen Grund: ich wollte nicht, dass es zu Ende ist. Nur zu gerne, und das kommt bei mir wirklich selten vor, hätte ich diesen Roman beim Beenden des letzten Satzes einfach noch einmal von vorne zu lesen begonnen

Für mich das schönste Buch des Jahres!


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Montag, 25. Juli 2016
Elizabeth Poliner "Wie der Atem in uns"
Der Debütroman der Schriftstellerin Elizabeth Poliner erzählt von einer jüdischen Großfamilie, die jedes Jahr gemeinsam den Sommer am Meer verbringt. In einer jüdischen Sommerhaussiedlung an der Küste Connecticuts verleben die erwachsenen Schwestern Ada, Vivie und Bec mit ihren Ehemännern und Kindern beschwingte Tage. Die Männer der Familie arbeiten die Woche über in ihrem Kaufhaus in der Stadt und kehren freitags zurück zum Sommerhaus, um den Schabbat mit der Familie zu feiern.

Aus Molly’s, Adas Tochter, Perspektive wird die Geschichte in Jahresabschnitten rückwirkend erzählt. Nach 50 Jahren versucht sie die Geschehnisse des Sommers 1948 zu analysieren und zu ergründen, welche Konsequenzen der Unfall ihres Bruders auf alle Beteiligten hatte. Zu dieser Zeit ist sie gerade zwölf Jahre alt. Sie berichtet von diesem Jahr und der Leser weiß von Anfang an, dass sich in diesem Sommer durch den Tod des 8jährigen Davy vieles ändern wird. Wir erfahren viel von der Lebensgeschichte jeder Schwester, von der Beziehung der Familienmitglieder untereinander und von dem Gefangensein in der jüdischen Tradition, der Rollenverteilung zwischen Männern, Frauen und Kindern und der Abschottung gegen alle nichtjüdischen Einflüsse.

Über den glücklichen Tagen und dem entspannten Leben im Juli und August 1948 hängt die dunkle Wolke des Unfalls, die wir als Leser immer gegenwärtig haben, von der die Protagonisten aber nichts ahnen. Wir sehen die Endlichkeit des entspannten Zusammenseins und die tiefe Veränderung der Lebensumstände der Familie, denen keiner der Beteiligten entkommen wird.

In einfacher, dennoch lebendige Sprache erzählt die Autorin von dieser Familie, in der Zusammenhalt zunächst großgeschrieben wird, doch wie in jeder größeren Institution machen es sich die einzelnen Mitglieder gegenseitig nicht immer leicht. Nicht nur die Vergangenheit prägt das Miteinander, sondern ebenso die Zukunft nach dem schrecklichen Tod von Molly’s Bruder. Poliner zeigt, dass im System Familie jedes Verhalten des Einzelnen und jedes Ereignis Folgen für alle nach sich zieht.

Selten in letzter Zeit hat mich ein Buch so sehr gefesselt. Von der ersten Seite an wurde ich in dieser Familie aufgenommen, habe gespannt die Geschichte der Schwestern Ada, Vivie und Bec , deren Ehemännern und Kindern verfolgt und mitgelitten beim Unfalltod von Adas jüngsten Kind Davy.

Ein durchaus gelungenes Debüt!

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Mittwoch, 6. Juli 2016
Jonathan Franzen “Unschuld“ Hörbuch
gelesen von Sascha Rotermund und Walter Kreye

In Jonathan Franzens neuem Buch wimmelt es geradezu von den unterschiedlichsten Figuren. Und entgegen jeglicher Definition seines Titels „Unschuld“ (wie z.Bsp. Schuldfreiheit, Arglosigkeit, Unberührtheit, Sittsamkeit und Reinheit, lt. Duden) wird kaum ein einziger diesem großen Wort und der Charaktereigenschaft gerecht.

Im Wesentlichen spielen drei Protagonisten hier die Hauptrolle:

da ist zum einen Purity, genannt Pip, eine junge Frau um die 20, die in einer Wohngemeinschaft in Kalifornien lebt. Wo ihre berufliche Zukunft sie hinführen soll, weiß sie noch nicht so ganz genau. Momentan ist ihr einziger Wunsch, ihren leiblichen Vater zu finden. Und genau deshalb hat sie zu ihrer Mutter ein eher ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite ist da eine große Liebe und Nähe, auf der anderen hasst Pip sie dafür, dass sie sie in Bezug ihres Vaters im Unklaren lässt. Ihre Mutter macht ein so großes Geheimnis aus ihrer Vergangenheit, dass sie damals sogar eine neue Identität angenommen hat.

Andreas, ein aus der DDR stammender Whistleblower, hat sich in die Berge Südamerikas geflüchtet, um sich vor den Folgen eines Verbrechens, dessen er sich vor langer Zeit schuldig gemacht hat, zu schützen. Wegen seiner schon fast ödipalen Beziehung zu seiner Mutter entwickelt der Exzentriker schon früh einen Hang zu minderjährigen Mädchen, die er verführt und für seine Zwecke benutzt. Als Deckmantel dient ihm die leitende Stellung des “Sunlight- Project“, das Missstände der Gesellschaft, Politik und Umwelt im Internet aufdeckt.

Und nicht zuletzt Tom, Journalist in Denver, mehr oder weniger glücklich liiert, erfolgreich im Job und schon fast etwas langweilig. Doch auch hier trügt der Schein des gänzlich unschuldigen Zeitgenossen.

All diese Figuren verbinden Schnittpunkte, die nur allmählich miteinander verschmelzen und ein Abbild der Gesellschaft ergeben. Der Randthemen gibt es viele in diesem umfangreichen Werk. Eines wichtiger als das andere und des weiteren Drübernachdenkens absolut notwendig und unvermeidbar.

Jonathan Franzen hat seinen Roman in langen Episoden geschrieben, die nicht chronologisch angelegt sind. In jeder dieser Episoden beleuchtet er das Leben einer anderen Figur. Und das so ausführlich, dass der Leser ganz in dieses Leben und die Persönlichkeit dieses Menschen hineingezogen wird. Der rote Faden allerdings bildet Pip.

Vielleicht mag eine Vatersuche im Allgemeinen sich als Thema eines Romans etwas profan ausmachen, aber nicht wenn es Jonathan Franzen schreibt. Wer Bücher von ihm kennt, der weiß, dass dieser Autor wenig dem Zufall überlässt, gut recherchiert, seine Meinung über Politik und die Welt kundtut und psychologisch immer ganz nah an seinen Charakteren bleibt. Sprachlich sehr intelligent auf hohem Niveau bringt er dem Leser eine tiefgründige Sensibilität nahe, wie man sie nur selten in Büchern findet. Aber neben all dem dramatischen findet Franzen einen witzigen, spritzigen, manchmal sogar verschlagenen Ton. Sätze, wie er sie schreibt, sind leider zu selten geworden.

Zu Beginn erschien mir alles etwas langatmig und zäh, aber hat man sich erst mal eingelesen, bzw. eingehört, kann man kaum noch aufhören. Eine gewisse Ausdauer und Geduld für die Geschichte sollte man dann schon haben, denn mit 26 Stunden ist es das bisher längste Hörbuch, das ich mir auf die Ohren gegeben habe.


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Mittwoch, 29. Juni 2016
Liva dichtet: "Der Tod"

Der Tod ist still
kein Atem mehr der kommen will
nicht Ein noch Aus kein Laut zu hören
nichts kann den Tod noch stören
ein stummer Schrei man sieht ihn zwar
doch kein Geräusch verlässt die Kehle
entweicht dem Körper sonderbar
mit letzter Kraft die Seele


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@lleRechtebleibenbeiderAutorin

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Dienstag, 7. Juni 2016
Stephen King “Finderlohn“
Stellen Sie Sich vor, Sie vergraben Ihr Diebesgut an einem vermeintlich sicheren Ort und werden dann aufgrund eines anderen Vergehens für die nächsten 30 Jahre inhaftiert. Das einzige, was Sie in dieser Zeit nicht verzweifeln lässt, ist der Gedanke an Ihren „Schatz“, der auf sie warten wird. So erging es Morris Bellamy, dem Protagonisten dieses Romans, in den siebziger Jahren.

Jetzt stellen Sie Sich weiter vor, Sie sind ein 13-jähriger Junge, dessen Familie aufgrund finanzieller Probleme zu zerrütteten droht, und Sie finden einen vergrabenen alten Koffer. In diesem befinden sich ein paar Umschläge mit mehreren 1000 $ und etliche Notizbücher eines bekannten Schriftstellers, der vor etwa 30 Jahren durch Mord ums Leben gekommen war. Dies widerfährt Pete Saubers, einem weiteren Protagonisten dieses Romans, in den 2000 Jahren.

Und wie es das Schicksal (bzw. der Autor) will, treffen die beiden Figuren bald aufeinander. Der mittlerweile 70-jährige Bellamy ist rasend vor Wut und will unter allen Umständen seinen „Besitz“ zurück, koste es was es wolle. Auf seinem Weg zu diesem Ziel zerstört er gnadenlos alles, was sich ihm in den Weg stellt.

Auch wenn Stephen King dem echten Horror abgeschworen hat und sich jetzt eher im Thriller Genre bewegt, so bleibt er doch bei dem, was seine Romane ausmachen. Es geht wie immer um Mord und Totschlag und weil das an sich nicht genug ist, wird dies äußerst genau beschrieben. Bis ins kleinste Detail werden die ekeligsten Ereignisse dargestellt und dem Leser so jeglichen Raum für Fantasie genommen. Da tropft das Blut, da schwingt das Beil, da riecht es nach verwesendem Fleisch. Und wer Bücher von diesem Autor kennt, der weiß außerdem: es geht nicht ohne mindestens einen total durchgeknallten Typen.

King lässt seinen psychopathischen Protagonisten Bellamy in grober und brutaler Sprache agieren, nicht ohne fäkale Ausdrucksweise hier und da. Ansonsten verzichtet der Autor auf lange komplizierte Sätze, schreibt einfach und fließend, dass man sich ganz auf Inhalt und die fesselnde Spannung konzentrieren kann.

Wegen der extremen Gewaltszenen ist dieser Roman absolut NICHT jugendfrei! Aber: wer erwachsen ist, bei klarem Verstand und das Ganze mit einem Augenzwinkern lesen kann, der findet mit diesem Buch gute und kurzweilige Unterhaltung. Spannend von der ersten Seite an bis zum bitteren Ende. Ein typischer Stephen King eben! ;-))

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