Freitag, 15. März 2019
Julian Barnes „Die einzige Geschichte“
Die 1960er Jahre waren allenthalben eine Zeit der Revolte. Gerade England, bzw. London, galt als Vorreiter einer neuen Kultur. Jugendliche kämpften für Freiheit und gegen das allgemeine Spießertum. So auch der 19-jährige Paul. Er lebt bei seinen Eltern in der Nähe der Hauptstadt und rebelliert gegen jegliche Konventionen. Er missachtet sämtliche Regeln, die Eltern sind ihm zu konservativ und die Ehe hält er für angestaubt und bourgeois, und überhaupt: Erwachsene nerven ihn, nein, er verabscheut sie geradezu. Er will beweglich bleiben, frei bleiben, sich nichts und niemandem unterordnen. Um ihm, was „ein nettes Mädchen“ angeht, ein wenig auf die Sprünge zu helfen, meldet seine Mutter ihn im Tennisclub an. Und gerade weil alle damit rechnen, dass Paul genau das ablehnt, geht er trotzig zum Probetraining. Und tatsächlich findet er dort seine erste große Liebe.

Aber es wäre nicht der aufsässige Paul und es wären nicht die 60er, wenn alles nach Plan verliefe. Die Auserwählte ist die etwa 20 Jahre ältere Susan; verheiratet und hat zwei Töchter, lebt in einem großen Haus und gehört zur „Upper Class“. Während alle um sie herum dem ungleichen Paar Unverständnis entgegenbringen, hält Paul sich für unglaublich cool und souverän. Der Rauswurf aus dem Tennisclub wegen dieses „ungeheuerlichen Skandals“ ist für ihn die Krönung seiner Unangepasstheit.

Paul geht bald im Haus der McLeods ein und aus, von Susans Ehemann eher widerwillig geduldet. Später, als ihre Beziehung enger und ernster wird, merkt Paul, dass Liebe allein nicht immer ausreicht, dass Beziehung auch Arbeit und Verantwortung bedeutet. Und so kommen den beiden Liebenden die verschiedensten Dinge dazwischen, Konflikte, Alltagsfliegen, Realitäten; kurz gesagt: es kommt ihnen das Leben dazwischen.

„Gewisse Erkenntnisse sollten erst später im Leben kommen, wenn sie vielleicht weniger schmerzlich sind.“ (Seite 181)

Julian Barnes zeichnet ein eher unromantisches, ungeschöntes Bild vom Leben und der Liebe. Nichts wird in sanfte Wolken gepackt, noch durch eine rosarote Brille betrachtet. Er lässt seinen Protagonisten aus dem Heute auf die erste Liebe zurückblicken. Lässt ihn in seinen Erinnerungen kramen, ihn analysieren und sein Verhalten genauestens unter die Lupe nehmen. Erst jetzt scheint Paul klar zu werden, dass der Grat zwischen Liebe und gegenseitiger Abhängigkeit ein schmaler ist. Der Autor schaut genau hin, geht ins tiefste Innere seiner Figur, die nicht unbedingt sympathisch daherkommt, aber authentisch und menschlich. Und gerade diese Beschreibung des Menschlichen mit all seinen Schwächen und Fehlern macht für mich diesen Roman so lesenswert. Ich hatte den Eindruck, als rechne Julian Barnes mit der Vorstellung der romantischen Liebe ab. Verpackt es in einen sprachlichen Ausdruck, der je nach Perspektive (junger Paul, erwachsene Paul) wechselt. Von jugendlich, spritzig, naiv zu weise, erfahren und eloquent. Auch spricht er zwischendurch den Leser immer wieder direkt an und macht ihn damit zu einer Art Verbündeten.

Ein gelungenes Psychogramm eines Liebenden!


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