Freitag, 1. März 2019
William Kent Krueger „Für eine kurze Zeit waren wir glücklich“
Der mittlerweile erwachsene Frank Drum erzählt uns von 50 Jahre zurückliegenden Ereignissen, die sein Leben und das seiner Familie für immer verändert haben und das Ende seiner Kindheit bedeuteten. Geschehen in diesem einen langen, sehr heißen Sommer 1961 in Minnesota.

Die Beschaulichkeit der Kleinstadt New Bremen gerät ins Wanken, als der junge Bobby Cole tot auf den Eisenbahngleisen nahe der Stadt gefunden wird. Eine große Trauer befällt die Bewohner. Trost und Seelsorge finden sie bei dem Methodistenpfarrer Nathan, Franks Vater. Zuständig für drei Gemeinden, spannt dieser oft die ganze Familie ein. So helfen Frank und sein kleiner Bruder Jake bei den Vorbereitungen der Gottesdienste, die Mutter leitet den Kirchenchor und die ältere Tochter Ariel begleitet sie an der Orgel.

Die Kinder New Bremens werden angewiesen, nicht auf den Eisenbahngleisen an der Brücke zu spielen, und obwohl des Verbotes, oder gerade deswegen, zieht es den 13-jährigen Frank genau an diesen Ort. Am Rockzipfel stets den stotternden kleinen Bruder Jake. Aus kindlicher Neugier wollen die beiden herausfinden, was mit Bobby geschehen ist. Als sie an diesem Tag von der Eisenbahnbrücke herabblicken, entdecken sie am Ufer des Minnesota River einen leblosen Landstreicher, über ihn gebeugt ein alter Sioux Indianer. Bald darauf scheint nicht nur für die beiden Jungen klar zu sein, dass es sich beim Tod des kleinen Bobby Cole nicht um einen Unfall handelte.

Nach den beiden Todesfällen kehrt etwas Ruhe ein, alle gehen ihren Beschäftigungen nach, die Polizei ermittelt, Nathan konzentriert sich auf seine Gottesdienste, Mutter und Tochter beschäftigen sich mit einem musikalischen Auftritt und die beiden Jungs tun Dinge, die kleine Jungs eben so tun in einem heißen Sommer in Minnesota. Dann plötzlich verschwindet Ariel und die Welt der Familie Drum stürzt zusammen.

„Die Zeit im Hause Drum veränderte sich in dieser Nacht. Wir traten in eine Phase ein, in der jeder einzelne Augenblick zugleich mit vollkommen unerlässlicher Hoffnung und grauenhaften, fast unerträglich schlimmen Befürchtungen aufgeladen war. Vaters Reaktion bestand im Beten.“ (Seite 236)

In ruhigen Bildern und mit sanfter Sprache beschreibt der Autor Kleinstadt und Umgebung, spricht alle Sinne des Lesers an und schafft trotz tragischer Umstände eine nahezu friedliche Atmosphäre. Er führt uns durch die Geschichte, nicht ohne uns ab und zu in die Irre zu leiten. Seine Charaktere zeichnete er mit viel Einfühlungsvermögen und Detail. Ganz besonderen Wert legt er hier auf die beiden Brüder, die so unterschiedlich sind wie zwei Seiten einer Medaille. Der eine wild und draufgängerisch, ohne Furcht, der andere zurückhaltend und ängstlich, aber mit hoher emotionaler Intelligenz. Die Unterschiedlichkeit all seiner Figuren in diesem Roman lässt jeden anders mit den Ereignissen umgehen.

Zwischendurch gestalteten sich für mich einige Seiten etwas zäh, doch dann entwickelte der Text eine Dynamik, der ich mich nur schwer entziehen konnte. Im Nachhinein betrachtet waren aber genau diese Seiten notwendig, um zu begreifen, an welchem Punkt eine Veränderung aller stattgefunden hat und worin der große Unterschied zwischen Glück und Unglück liegt.

Ein sehr gefühlvoller Roman, der nachdenklich macht und Fragen aufwirft. Ist immer alles so, wie es scheint? Halten wir uns an Vorurteilen fest, um die Wahrheit nicht zu erkennen? Lohnt sich ein zweiter Blick auf die Dinge? Ist es nicht ratsam, die eigene Sicht auf die Welt zu verändern, statt darauf zu hoffen, dass die Welt sich ändert?


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