Montag, 28. April 2014
Heike Kühn „Schlangentöchter“
In den sechziger Jahren wird in Frankfurt ein Mädchen geboren: Tonie. In einer Zeit in der in Frankfurt die ersten großen Prozesse gegen NS Verbrecher beginnen; in eine Generation die immer noch unter den Folgen des Krieges leidet und in eine Familie, in der jedes Mitglied schwer an seiner eigenen Vergangenheit trägt. „Mehr oder minder sind alle aus der Zeit gefallen“ (Zitat Seite 26) in dieser Familie. Hartmut, der Vater, der in Kriegsgefangenschaft entnazifiziert werden musste, die Mutter Milla, einst aus ihrer Heimat Tschechien vertrieben, Tante Christine, deren Baby verhungert ist, Onkel Rudi der Judenhasser und Oma Elsbeth die das lange Erbe der Schlangentöchter anführt. Denn jede Tochter der Familie Alles wird mit einem Schlangenschwanz geboren. So auch Tonie, die jüngste einer langen Generation von Schlangentöchtern. Entgegen der uralten Bestimmung, dass nach dem ersten Liebesakt der Schlangenschwanz abfällt, geschieht das bei Tonie durch eine Unachtsamkeit ihrer Tante bereits einige Tage nach ihrer Geburt. Was sie dagegen, wie die anderen vor ihr, nicht verliert, ist die Gabe mit Geistern, Toten und dem Überrest des Schwanzes zu kommunizieren.

Aber nicht nur dieses mystische Geheimnis wurde in der Familie Alles weitergegeben, sondern auch die Brutalität und die Unterdrückung gegenüber den Frauen. Die gefährliche Herrschsüchtigkeit Hartmuts bekommen in erster Linie Milla und ihre fast erwachsene Tochter aus erster Ehe zu spüren. Denn liebevoll ist Hartmut nur zu seinen Schlangen im Exotarium des Frankfurter Zoos, in dem er als Tierpfleger beschäftigt ist. Als später auch Tonie vom wahren Wesen ihres Vaters nicht mehr verschont bleibt, sucht sie nach Möglichkeiten das Familienschweigen für immer zu brechen.

Heike Kühn erzählt eine spannende Familienchronik, mal mystisch, mal spirituell und mit einer großen Portion Phantasie. In schönen poetischen Sätzen und bildreicher Sprache lässt sie Realismus und Magie nebeneinander existieren. Der Debutroman der Frankfurter Journalistin besticht durch Zeitgeschichte, mit Fabelhaftem und menschlichem Schicksal. Das schöne darin ist, dass er sich nicht nur einem einzigen Genre zuordnen lässt. Er trifft den Leser im emotionalen Kern und lässt ihn so die vielen Jahre der Familie Alles miterleben.

Eine fesselnde Erzählung von Anfang bis Ende, die auch Nicht-Schlangentöchtern geradewegs unter die Haut geht.

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